Aus:
“Die Affäre C.” (Thriller) von Helene Luise Köppel
“Als Henri gegen zweiundzwanzig Uhr zurückkam, war er gut aufgelegt. Er müsse allerdings morgen beizeiten aus den Federn, meinte er, um mit Sokrates nach Limoux zu fahren. Das kam mir sehr gelegen, denn der versprochene Besuch bei Marceau hatte mir bereits Kopfzerbrechen bereitet. Ich sagte es schon: die halben Lügen!
Henri ging unter die Dusche, sang dabei aus voller Kehle Sous le vent von Celine Dion, während ich es mir im Bett gemütlich machte. Als er aus dem Bad kam, die Haut noch feucht vom Duschen, tranken wir ein Glas Landwein (aus der Gegend um den Agly – Charlottes Weinkeller barg wahre Schätze) – und aßen Käse und Baguette dazu, bis das ganze Bett voller Brösel war. Dann liebten wir uns leidenschaftlich und völlig ungeachtet der Krümel und der kleinen Heimlichkeiten, die wir voreinander hatten. Steffi, aber vor allem Sam und die Pflicht waren weit weg, und es war mir unbegreiflich, dass ich noch vor einer Woche unter der Trennung von meinem Mann gelitten hatte … Das Telefon läutete. Als ich mich meldete, wurde aufgelegt. Das dritte Mal an diesem Tag! Wirklich ärgerlich! Aber solche Anrufe hatte es auch in Nürnberg oft gegeben, bis Ramon dafür gesorgt hatte, dass sie zurückverfolgt wurden.
Später, als wir zärtlich Rücken an Rücken beieinander lagen, um endlich zu schlafen, sagte mein Geliebter aus heiterem Himmel: „Sandrine, hast du Lust über Ostern ans Meer zu fahren?
Ich lachte auf. „Ans Meer? Wie kommst du jetzt darauf … oha!“ Ich drehte mich zu ihm um und schüttelte ihn sanft: „Ja, natürlich … ich weiß, was du im Schilde führst: Abbé Maury! Dir spuken die Sanch-Bruderschaften und ihre Prozessionen im Kopf herum, die Weißen Büßer!“ Ich knipste noch einmal die Lampe an und setze mich auf.
„Ja, ich muss sie mir einfach ansehen“, sagte er. „Weißt du, ich werde eine Reportage über das Renouveau der frommen Bußbrüderschaften schreiben, keine Angst, nicht über den Fall Calas. Das überlasse ich dir. Doch für mein Vorhaben brauche ich aktuelle Fotos, und das gewisse Feeling … Du weißt schon … aber ich …“ Henri schwieg und sah zur Decke.
“Was ist los? Was hast du?”
Er bohrte mit der Zunge in seiner Wange herum, dann sah er mich wieder an und lächelte ein wenig traurig. „Ich will dir nichts vormachen, Sandrine, mir fehlt es am Geld. Ich habe ein klassisches Henne-Ei-Problem: ohne Geld keine ordentlichen Recherchen, ohne Recherchen keine sauberen Artikel, ohne Artikel kein Geld. Die Verlage weigern sich, freien Mitarbeitern wie mir Vorschüsse zu zahlen. Obendrein ist Collioure nicht gerade billig. Glaub mir … es ist mir mehr als peinlich, dich anzupumpen, gerade jetzt, wo wir … wo wir uns lieben. Meinst du, du könntest mir etwas vorstrecken? Sobald ich den Artikel verkauft habe, bekommst du das Geld zurück. Großes Ehrenwort.“
Er sagte tatsächlich … lieben! „Das geht schon in Ordnung“, beruhigte ich ihn. „Ich mach dir einen Vorschlag. Ich gebe dir gleich morgen einen Vorschuss von … nun sagen wir, zweitausend Euro. Ich freu mich auf Collioure. Allerdings muss ich am Dienstag nach Ostern nach Nürnberg fahren, um dort bestimmte Dinge zu erledigen.“
Da Henri nicht weiter nachfragte (was ich ihm hoch anrechnete), beugte ich mich zu ihm hinüber und küsste seine nackten Schultern – noch heute träume ich von ihnen –, und er genoss sichtlich meine Zärtlichkeit, sah mich aber dennoch nachdenklich an. „Glaub mir, ich nehme dein Geld nur äußerst ungern …“, sagte er leise und in seinen Augen stand Stolz. „Es ist beschämend für mich.“
„Ja, ja, ich weiß“, sagte ich und legte ihm meinen Zeigefinger auf den Mund. „Doch weshalb sollen für einen Liebhaber andere Maßstäbe gelten als für einen guten Freund?“
Dass Voltaires Pergamente und der Hinweis des Priesters Maury auf die Büßer von Collioure zum Auslöser all der schrecklichen Ereignisse werden sollten, die wenig später auf uns einstürmten, ahnte ich in dieser wundervollen Nacht nicht, denn sonst hätte ich die eiserne Kassette mitsamt Inhalt nach Castelnaudary zurückgebracht und sie eigenhändig wieder in Charlottes Keller eingemauert. Doch ob ich damit das Sejanische Pferd hätte aufhalten können, wage ich zu bezweifeln.
Das Böse verbarg sich unter einer Maske.
Nägelkauendes Lesevergnügen wünscht
Helene Köppel
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