Bildquelle: Von Matthew Paris
“Nach Rom wohl nie das Netzwerk ging, mit dem Sankt Peter Fische fing. Sein Netz wird dort missachtet.
Römisches Netzwerk trachtet nach Silber, Golde, Burgen, Land. Dies war Sankt Peter unbekannt.”
(Freidanks Bescheidenheit, 152, 16 / vor dem Jahr 1233)
Das 4. Laterankonzil (lat. Concilium Lateranense IV.) wird als das bedeutendste Konzil des Mittelalters gesehen.
Zur Eröffnungszeremonie am 11. November 1215 versammelte sich in Rom alles was Rang und Namen hatte: Über 400 Bischöfe, mehr als 800 Äbte und Prioren, die Vertreter der Ostkirche sowie die Gesandten der meisten Könige und vieler Stadtrepubliken. Die Patriarchen von Antiochien und Alexandrien waren durch zahlreiche Abgesandte vertreten – wie auch der römisch-deutsche König (und spätere Kaiser Friedrich II.), der Kaiser des lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel Heinrich sowie die Könige von Frankreich, England, Aragon, Ungarn, Zypern und Jerusalem.
Ein kleiner Auszug aus meinem Historischen Roman “Sancha – Das Tor der Myrrhe”
(Ort: Rom, auf dem Weg in den Lateran)
“Rom. Glockengeläut. Hosiannarufe auf den mit Palmzweigen ausgelegten Straßen. Tausende von Bischöfen, Äbten, Priestern und Legaten sowie Abgesandte von Kaisern, Königen und Fürsten machen sich auf den Weg zur Basilika des Heiligen Erlösers. Das Volk schaut und staunt: Schwere Mitren und Kronen, farbenprächtige Umhänge, purpurrote Gewänder, spitzenbesetzte Alben und Pallien. Allüberall Samt und Seide, Pelz und Feh. Geglitzer und Gegleiß …
Die Hauptrolle maßt sich an diesem Tag jedoch der kalte, störrische Novemberwind an, der seit Tagen Römern wir Fremden den Atem nimmt. Übermütig fährt er in die Gewänder, bauscht die Seiden auf, zerrt eifersüchtig an den mitgeführten Baldachinen, die schon gefährlich knarzen. Kruzifixe, Monstranzen und Standarten bringt er zum Schwanken. Fahnen, Banner, Wimpel zum Knattern, und die langschwänzigen Banderolen überschlagen und verknoten sich. Frech treibt er sogar einen grünen Kardinalshut vor sich her, dessen Träger vergessen hat, ihn mit der Kordel unter dem Kinn festzuzurren. Bei dem unglaublichen Gedränge und Geschiebe wird der Bischof von Amalfi – seit Jahren am Stock gehend – niedergetrampelt und kommt zu Tode.
Doch daran trägt der Wind keine Schuld …”
(S. 312 ff)
(Papstpalast Avignon, Foto HLK)
Innozenz III. – „Owê, der bâbest ist ze junc. Hilf, hêrre, dîner cristenheit“) …
„Owê, der bâbest ist ze junc. Hilf, hêrre, dîner cristenheit“, beklagte im Jahr 1198 Walter von der Vogelweide, als Lothar Graf von Segni im Alter von “nur” 37 Jahren zum Papst gewählt wurde. Sein Papstname war Innozenz III.
Innozenz war von 1198 bis 1216 Papst der römisch-katholischen Kirche und gilt als einer der bedeutendsten Päpste des Mittelalters.
Im Verlauf des Konzils, das Innozenz III. am 19. April 1213 einberief und das vom 11. – 30. November 1215 in Rom tagte, ging es, um nur einige Punkte aufzuzählen, um die Rechtmäßigkeit des römisch-deutschen Königs, die Rückeroberung der biblischen Stätten um Jerusalem (die die muslimischen Sarazenen besetzt hielten), um Reformen im kanonischen Recht – wie die Wiederherstellung der Ordensdisziplin (mit dem Ziel einer sittlichen Verbesserung des Klerus) sowie um das Verbot des Handels mit Reliquien.
Ausführlich befasste man sich auch mit den Juden, untersagte ihnen Wuchergeschäfte; schloss sie von allen öffentlichen Ämtern aus und gebot ihnen sogar, ihre Kleidung zu so zu kennzeichnen (!), “dass sich Christen und Juden nicht irrtümlich miteinander einließen”.
Die Wahrung der Einheit der Kirche, lag Innozenz III. ganz besonders am Herzen. Und das kam nicht von ungefähr …
Im Süden Frankreichs (Okzitanien), aber auch in einigen Städten Ober- und Mittelitaliens, standen sich seit kurzem zwei christliche Kirchen gegenüber:
Die der Katharer (der sog. “Reinen”) und die der römisch-katholischen Kirche – wobei letztere, weil zunehmend korrupt, ständig an Einfluss verlor. In Scharen zog es die Menschen zu den friedfertigen “guten Christen”, den boni christiani, wie sich die Katharer selbst nannten. Die Häretiker fanden dabei breite Unterstützung beim okzitanischen Kleinadel, wo Unzufriedenheit über den Zehnt herrschte. Der Adel blute aus, hieß es, während die römische Kirche immer reicher würde. Und die Kirche der “Reinen” verlangte nun mal keine Abgabe des Zehnt.
Cuius regio, eius religio – wer das Land besitzt, bestimmt über den Glauben, befand hingegen Innozenz. Um “seine Macht” zu sichern und den Glauben der römischen Kirche “rein” zu halten, hatte er bereits im Jahr 1199 (also 16 Jahre vor dem 4. Laterankonzil) mit der Dekretale Vergentis die Häresie (Abweichung vom rechten Glauben) zum Majestätsverbrechen erklärt, auf das die Todesstrafe und die Konfiskation sämtlicher Besitztümer und Güter der Häretiker, der Ketzer, stand.
Doch diese Drohung zeigte kaum Wirkung. Die päpstlichen Legaten, die Innozenz für vier Jahre nach Südfrankreich geschickt hatte, “um die Füchse zu fangen, die den Weingarten des HERRN verwüsteten”, berichteten ihm, dass es die Menschen weiter in Scharen zu den Katharern ziehe. Man müsse wohl das Schwert sprechen lassen …
Inschrift Lateranbasilika Papst Innozenz III. (1161 – 1216)
Der Lateran wie er im Mittelalter aussah
Der “Alptraum” des Papstes vom Verlust der Macht
– und andere “Träume”
Auf dem nachstehenden Gemälde ist der in der Legenda aurea* geschilderte Traum des Papstes Innozenz III. dargestellt, in dem der Heilige Dominikus die Laterankirche vor dem Sturz bewahrt.
Der Heilige wird begleitet von dem ihm zugehörigen «Hund des Herrn» (Domini canis) – dessen Existenz lustigerweise ebenfalls auf einen “Traum” zurückgeht:
Der Überlieferung nach hatte Dominikus’ Mutter vor der Geburt ihres Kindes im Traum einen schwarz-weißen Hund gesehen, der mit einer brennenden Fackel um die Welt lief – was auf die “göttliche Redekunst” des späteren Ordensgründer hindeuten sollte.
*Legenda aurea: das bekannteste und am weitesten verbreitete geistliche Volksbuch des Mittelalters, verfasst vom Dominikaner Jacobus de Voragine.
«Der Traum des Papstes Innozenz III. : Der Heilige Dominikus stützt die Laterankirche , Foto: SIK-ISEA, Zürich (Philipp Hitz)
“Nehmt ihnen ihre Länder weg!”
Die Gefahr, dass die römisch-katholische Kirche ernsthaft ins Rutschen kommen könnte, wuchs noch weiter an, als man erfuhr, dass die Katharische Kirche bereits eigene Bistümer und eigene Bischöfe eingesetzt hatte – geduldet vom überaus toleranten Grafen Raymond VI. von Toulouse* (1156 – 1222), der, zum Leidwesen des Papstes, über verwandtschaftliche Verbindungen zum französischen König verfügte: Philipp II. August war Raymonds Onkel und zugleich sein Oberlehensherr.
Im Jahr 1209 (nun sechs Jahre vor dem 4. Laterankonzil) ließ Innozenz III. seinen Drohungen dennoch Taten folgen:
Die verwandtschaftlichen Bande ignorierend, forderte er den französischen König zu einem Kreuzzug gegen die Katharer und namentlich gegen den “abtrünnigen” Neffen auf:
» … nehmt ihnen ihre Länder weg, damit katholische Einwohner an die Stelle der vernichteten Ketzer treten können!”
Dieser Kreuzzug (1209 – 1229) entwickelte sich im Verlauf der Jahre zu einem brutalen Eroberungsfeldzug und bereitete letzten Endes den Weg für die im Jahr 1233 eingesetzte Inquisition, an der dann maßgeblich der Orden der Dominikaner beteiligt war.
*Der Toulouser Hof zählte im Mittelalter zu den zivilisiertesten Stätten des Abendlandes. Die damals ca. dreißigtausend Einwohner zählende Stadt Toulouse – “von allen Städten die Blume und die Rose” – war die Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft Toulouse, eines der mächtigsten Fürstentümer, die in der Folge vom Kreuzzug gegen die Katharer bedroht waren.
(Zu den umfangreichen Ländereien der Raimundiner-Grafen gehörte u.a. auch die Provençe.)
Grün eingefärbt: Die damaligen Ländereien der Grafen von Toulouse
Die Sarkophage der “Raimondiner”, der Grafen von Toulouse (Foto HLK 2004)
Rom im Jahr 1215: Die Proklamation der “leibhaftigen” Existenz des Teufels
Auf dem 4. Laterankonzil im November 1215 – also während in Südfrankreich bereits seit sechs Jahren der Kreuzzug gegen die Katharer tobte – verabschiedete Innozenz III., den viele Menschen hoffnungsvoll das “Licht der Welt” nannten, noch ein weiteres Dekret – eines, das jedoch eng mit der Glaubenswelt der Katharer im Zusammenhang stand:
Es ging darin um nichts weniger als die Proklamation der leibhaftigen Existenz des Teufels.
Unter Hinzuziehung der Glaubensbekenntnisse von Nizäa und Konstantinopel sowie des sog. Athanasischen Glaubensbekenntnisses bestimmte Papst Innozenz III. im 1. Canon, dass der Teufel und die anderen Dämonen “von Gott geschaffen” worden seien, dass sie ursprünglich gut gewesen, dann jedoch aus sich selbst heraus böse geworden wären, so dass der Mensch seither auf Veranlassung des Teufels sündigen würde.
Foto oben: Der Teufel sieht bei der Taufe zu: Taufkapelle in der Kathedrale von Medina Sidonia, Spanien
“Wir sind nicht von dieser Welt!”
Die neue päpstliche Bestimmung von der “Erschaffung des Teufels durch Gott” stand im höchsten Widerspruch zur Glaubensvorstellung der von Rom bekämpften Katharer, die – als Dualisten – nicht an die Existenz eines “leibhaftigen” Teufels oder eines guten Gottes “in menschlicher Gestalt” glaubten.
Die Katharer (“Wir sind nicht von dieser Welt“) wiesen in ihrer Glaubensvorstellung auf den Mythos von den “Gefallenen Engeln” hin, die seit ihrem Sturz aus dem Himmel in Menschenkörpern gefangen seien: Luzifer (oder der böse Gott, das dunkle Prinzip) sei dabei ein wertvoller Stein aus der Krone gefallen (der in späterer Zeit mit dem Gral in Verbindung gebracht wurde).
Der sog. Engelfall (auch Höllensturz genannt) galt den Katharern als Auslöser der Trennung von Gut und Böse.
Die These der Katharischen Bischöfe und Perfekten lautete:
Das gute Prinzip, der gute Gott des Lichts, schuf alle unsichtbaren Dinge, die Seele, den Geist.
Das böse Prinzip, Satan, schuf alle sichtbaren Dinge, die Erde und das, was sich darauf befindet – auch die menschlichen Körper.
Der Höllensturz Gefallener Engel (Meister von Cabestani)
Die Zweiteilung von Gott und Welt
Die Wurzeln des sog. Dualismus (vereinfacht, die Zweiteilung) reichen tausend Jahre vor Christus zurück: Gut und Böse, Hell und Dunkel, Oben und Unten – oder, um beim Glauben zu bleiben: Gott und Welt.
Stark beeinflusst wurde dieser Glaube auch von der Antike: Platon und Aristoteles vertraten z.B. gnostisch-dualistische Ansichten.
Der Ursprung des Katharerglaubens geht jedoch vermutlich auf einen persischen Propheten namens Mani (3. Jh n. Chr.) zurück, der sich als Gesandter Christi sah.
Mani gilt als Stifter des nach ihm benannten “Manichäerglaubens”. Er fasste das Denken von Zarathustra (Zoroaster), Buddha und Jesus zusammen und hatte bereits 800 Jahre vor den Katharern Rom das Fürchten gelehrt. Prominentester Anhänger der dualistischen Lehre war der spätere Kirchenvater Augustinus (354 – 430).
Auch damals war ein schwerer Kampf um die Vormachtstellung entbrannt:
Manichäismus oder Katholizismus?
Kein Wunder, dass Papst Innozenz III. – nach allem, was ihm aus Südfrankreich zu Ohren kam – an Alpträumen litt und irgendwann zur Tat schritt.
Kein Wunder auch, dass Rom die Frauen der Katharer, die große Rechte besaßen und wie die Männer lehren und predigen durften, als “Töchter des Teufels” beschimpfte.
Kirchenvater Augustinus im Gespräch mit dem Bischof der Manichäer Faustus
Jeder Mensch ist fehlbar, selbst “der Herre Papst”!
In einem weiteren Auszug aus “Sancha, das Tor der Myrrhe” geht es um ein “vertrauliches Gespräch” zwischen zwei befreundeten Knappen des Grafen von Toulouse:
Olivier von Termes (entrechteter Sohn eines von den Kreuzfahrern getöteten Katharers) und Damian von Rocaberti, (rechtgläubiger Katholik).
Die beiden befinden sich während der Tagung des o.g. Laterankonzils in Rom, wo in der Gesindeküche ihrer Unterkunft die Gerüchte brodeln …
»Ich sag dir, das geht eindeutig gegen meine Leute«, raunte Olivier Damian zu, als sie eines späten Abends mit einer Handvoll anderer Diener in der warmen Küche des Palazzos saßen.
“Gegen die Katharer?”
“Pst! Nicht hier! Komm mit raus!”
Die beiden erhoben sich unauffällig und nahmen den Ausgang linker Hand, der zum Ehrenhof führte. Obwohl die Diener des Conte von Scarpo auch hier Fackeln aufgesteckt hatten, lag der kleine Arkadengang, in den sie schlichen, weitgehend im Dunkeln. Nur einige der schlanken Marmorsäulen schimmerten im Mondlicht sanft rosafarben.
“Aber wieso”, fragte Damian, als sie sich nebeneinander an den Trinkbrunnen lehnten. “Ich seh hier keinen Widerspruch. Gerade ihr Katharer behauptet doch, dass die Erde und alles, was darauf ist, der Teufel erschaffen hat.”
Olivier hob in gespielter Verzweiflung die Hände. “Aber wir glauben nicht an eine lächerliche Gestalt aus Fleisch und Blut und mit Hörnern auf dem Kopf, wie sie uns der ‘Herre Papst’ weismachen will. Unser guter Gott des Lichts ist eine rein geistige Kraft, und sein Widersacher, der Demiurg, der Schöpfergott, ebenfalls. Und läuft dir beispielsweise dreimal hintereinander eine Elster über den Weg, so hat auch das keinerlei Bedeutung. Sie ist weder von Gott noch vom Demiurgen geschickt, um dich kleinzukriegen. Beim bärtigen Ganymed, Damian, sieh mich nicht wieder so zweifelnd an! Nur alte Weiber nehmen solche Zeichen ernst. Du selbst bist für dich und deine Taten verantwortlich. Natürlich ist jeder Mensch auch fehlbar, selbst der ‘Herre Papst’, und mag er noch so oft das Gegenteil beteuern …”
(Seite 313 ff)
(Gargoyle in Notre Dame de l’ Epine, Foto HLK)
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