Canal du Midi

Am beschaulichen Canal du Midi (240 km; Erbauer Pierre-Paul Riquet, 17. Jh), liegt ein kleiner Hafen namens Le Somail.

Viele Gebäude in diesem Ort gelten als “Monument historique“. In einem davon, einer Art Scheune, befindet sich das zweitgrößte Antiquariat Frankreichs – mit mit als 50 0000 Büchern.

Ein Eldorado für alle Leseratten! Hier möchte man einen langen Urlaub verbringen!

Und zwischendurch am Wasser sitzen, den vorbeituckernden Booten zuwinken …

ein Glas Rotwein trinken und träumen …

(In Memoriam Bernd)

… oder aber sofort – windzerzaust – im benachbarten Café die gekauften Bücher auspacken und schmökern …

Keine Frage, dass der Canal du Midi auch in meinen Romanen beschrieben wird. Nachstehend einige Zeilen aus “Die Affäre Calas”, S. 23:

“Ich denke an Castelnaudary, wo wir als Kinder unter dem Milchblau des Himmels die Beine ins Wasser des ruhigen Canal du Midi hängten, Steine springen ließen, plauderten und den Tag verträumten.”

In Béziers stieß ich auf ein Denkmal des Erbauers. Voilá –

Pierre-Paul Riquet, 17. Jh.

 

Béziers

In Memoriam Béziers …

 

Im Mai 2009 lernte ich Béziers näher kennen, eine südfranzösische Stadt, die in meinem historischen Roman ALIX – Das Schicksalsrad eine Rolle spielt.

Ai! Tolosa e Provença e la terra d` Argença, Besers et Carcassei:

Com vos vi et c`us vei!

O weh! Toulouse und Provence,
Und auch ihr, Land an der Argens,
Béziers und Carcassonne:
Wie habe ich euch gesehen,
wie muss ich euch jetzt sehen!

Bertrand Sicard de Marvéjols,
Troubadour, um 1200

 

 

Béziers (ca. 80 000 Einwohner) liegt auf einem Karsthügel über dem Fluss Orb. In vorrömischer Zeit existierte hier ein keltisches Oppidum; in römischer Zeit eine wichtige Etappenstation auf der Via Domitia. Im Hochmittelalter herrschte der berühmte Vizegraf von Albi und Carcassonne, Raymond-Roger Trencavel (1185-1209) mit seinen Konsuln über die wohlhabende Stadtrepublik: Ein junger Mann mit blondem Haar, wie er beschrieben wird, freigiebig, gebildet und tolerant. Als Vasall des Grafen von Toulouse beschützte er sowohl die Juden als auch die Katharer.

 

 

Wilhelm von Tudéla schreibt über den jungen Trencavel:

“Er ist überaus christlich gesinnt … Aber er ist jung, hélas, und zu gutgläubig. Er lacht mit seinen Leuten, ist mit seinen Rittern gut Freund und dabei kaum wie ein Gebieter.” (Chanson 15, 1 ff.)

 

Von seinem einst stolzen Schloss in Béziers ist leider nur ein kümmerlicher Rest erhalten geblieben:

 

In Béziers gab es im Mittelalter aber nicht nur viele Katharer, sondern auch eine große jüdische Gemeinde – und die Geschichte, dass sich Raymond-Roger Trencavel vor dem Einfall der Kreuzfahrer mit einem Großteil dieser Juden davonmachte, um sie in Carcassonne in Sicherheit zu bringen. Vergebens, wie man heute weiß …

 

 

Im nächsten Bild sehen Sie eine der festlich geschmückten Gassen mit dem Wappen des Trencavel (schwarze Hermeline)

 

Vor 800 Jahren …

Am 22. und 23. Mai 2009 durfte ich an den Feierlichkeiten zum 800sten Gedenken an die Belagerung der Kreuzfahrer aus dem Norden Frankreichs teilnehmen.

Ein Zufall oder Absicht?

Das Massaker fand jedoch ursprünglich am 22. Juli 1209 statt, am Tag der Heiligen Maria Magdalena. Der Chronist des Albigenserkreuzzugs, der Zisterziensermönch Pierre des Vaux-de-Cernay, schreibt darüber:
“Die mehrfach genannte Stadt Béziers wurde 1209 am Tag der heiligen MM (22. Juli) eingenommen. Wie wir zu Beginn dieses Buches ausgeführt haben, behaupten die Häretiker, dass die heilige MM die Konkubine Christi gewesen sei.”


Hier die Einladung zum Festakt:

 

 

Das Hotel, in dem ich untergebracht war, lag im Stadtzentrum; alle Veranstaltungsorte waren fußläufig erreichbar. (Ich kann das Haus wärmstens empfehlen).

 

Kaum, dass der Koffer ausgepackt war, ging es los: Die ersten Böllerschüsse waren zu hören:

DIE BELAGERUNG VON BEZIERS WURDE NACHGESPIELT!

 

Auf der breiten Straße, direkt vor dem Hotel, war ein bunter Mittelaltermarkt aufgebaut:

 

 

… auf dem allerlei Kurioses zu sehen und zu hören war:

 

 

Dualismus … (augenzwinkernd!)

 

Operationsbestecke anno dazumal …


Das okzitanische Kreuz

Und überall gelb auf rot das okzitanische Kreuz – das Wappen der Grafen von Toulouse, die im Mittelalter (12./ 13. Jh) zu den ruhm- und einflussreichsten Fürsten des Südens zählten, verwandt und verbündet mit dem Vizegrafen Trencavel.

 

Selbst auf der “Satteldecke” für den Hund zu sehen:

 

 

Einer der tapferen Verteidiger der Stadt
– nun völlig erschöpft! 🙂

 


Der eigentliche Festakt


fand bei Einbruch der Dunkelheit statt und zwar vor der berühmt-berüchtigten Magdalenenkirche, in der im Jahr 1209 die Einwohner Schutz vor den hereinbrechenden Horden der Kreuzfahrer suchten – und ein schreckliches Ende fanden.

“Tötet sie alle (Katholiken, Katharer, Juden) – Gott wird die Seinen schon erkennen!”

(Arnaud Amaury, Zisterzienserabt und
und Geistlicher Anführer der Kreuzfahrer)

 

 

Schon ab 20 Uhr wuchs die Besucherschlange und sie wurde länger und länger …

 

 

Erst spät ging es los, wie immer in Frankreich! Die Kirche war mit großen weißen Tüchern abgehängt und eine Licht-Show zeigte das mittelalterliche Geschehen:

 

 

“Se Canta …”

Als zum Schluss die Kapelle “Oc” das alte okzitanische Lied Se Canta spielte, fielen gute tausend Stimmen ein:
Die Bitterois (wie man die Leute von Béziers nennt) sangen dieses Lied nicht zuletzt im Gedenken an Raymond-Roger Trencavel – und sie taten dies mit Hingabe und Leidenschaft, was nicht nur mich zu Tränen rührte …

 

 

“Dejos ma fenèstra, l a un auselon,

tota la nuèch canta, canta sa cancon …

Se canta, que cante, Canta pas per ieu,

Canta per ma mia, Qu`es al luèn de ieu.

Der Festumzug am nächsten Morgen

Am nächsten Morgen wälzte sich ein farbenprächtiger (und lautstarker) Umzug durch die festlich geschmückte Stadt:

 

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Präludium zu einem Roman

Präludium zu einem Roman

  • oder wie „Die Affäre Calas“ entstand

Als mir vor vier Jahren in einem Antiquariat eine der Schutz- und Denkschriften Voltaires zum „Fall Calas“ in die Hände fiel und ich sehr betroffen war, als ich diese Zeilen las, dachte ich lange über Zufälle nach und darüber, ob es stimmt, dass sich bestimmte Themen ihre Schriftsteller aussuchen. Nach Albigenserkreuzzug (Die Ketzerin vom Montségur), Gralsverschwörung (Die Erbin des Grals) und Inquisition (Das Gold von Carcassonne), nun auch noch Hugenottenverfolgung, fanatische Bußbruderschaften, religiöse Intoleranz?

Eigentlich hatte ich einmal etwas „Leichtes, Lockeres“ schreiben wollen, ein Buch, hinter dem kein großes Anliegen stand. Ich legte das kleine graue Heftchen zur Seite.

Doch damit war es nicht abgetan. Wohl wissend, dass aus einem Schneeball eine Lawine werden kann, kaufte ich mir die Werke Voltaires. Es schadet nichts, alles über die Familie Calas und den Mann zu wissen, der sich seinerzeit für eine Wiederaufnahme des Falles eingesetzt hat, sagte ich mir, vielleicht schreib ich die Geschichte später einmal auf. Ja, später.

 

Voltaire fesselte mich. Er schrieb „leicht und locker“ (dazu zeitlos, amüsant, ironisch, pointiert), bekämpfte in seinen Schriften aber auch „mit der ganzen Kraft seiner Empörung“ (Gier/Paschold) den religiösen Fanatismus. Als ihn jemand fragte, weshalb er sich für den Fall Calas eingesetzt hätte, antwortete er: „Weil sich sonst keiner darum gekümmert hat!“

Sollte ich (ohne mich je mit ihm vergleichen zu wollen, oder zu können) mit meinen Worten erzählen, dort einsteigen, wo mich die Wut gepackt hatte, wo es weh tat?

Ich entschloss mich dazu. Mit Voltaires Traité sur la tolérance im Reisegepäck fuhr ich nach Collioure, einem der späteren Schauplätze meines Romans, las Voltaires Abhandlung noch einmal in aller Ruhe, im Schein einer kalten Ostersonne, verstand, weshalb man ihn „das Gewissen Frankreichs“ nannte. In der Nacht zuvor, die Karfreitagsprozession von Collioure: Dröhnende Trommelschläge, Büßer mit hohen spitzen Hüten, laute Schreie, versteckte Augen hinter Kapuzenschlitzen… Unheimlich, ja suggestiv war die Stimmung, die über Collioure lag, schrieb ich später.

Eine Recherchereise weiter, auf der Zugfahrt nach Toulouse, war der Plot bereits entwickelt, die Affäre Calas in eine weitgehend fiktive Gegenwartshandlung eingebunden. Auch die Zugfahrt würde im Roman eine Rolle spielen.

(Foto priv. Capitouls – die Ratsherren von Toulouse, die das Urteil sprachen.)

In La ville rose angekommen – so nennt man die Stadt ihrer roten Backsteinhäuser wegen -, gewährte mir der Konservator des Augustiner-Museums am einzigen Ruhetag der Woche eine Privatführung. Er machte mich auch auf die Symbolsprache des Malers Nicolas Tournier aufmerksam, der zu seiner Zeit für die Büßer gearbeitet hatte.

Nicht ahnend, dass ich eines einzigen Fotos wegen meinen Plot noch einmal umschreiben würde, fuhr ich zurück. Bei der Vergrößerung der Aufnahme (Portalwappen der Büßer von Toulouse) entdeckte ich eine geheimnisvolle Inschrift, worauf ich neue Fäden in ein bereits gewebtes vielschichtiges Muster zog, die ihrerseits eine Tempoanpassung erforderlich machten – gewissermaßen von andante zu presto

Aus der Geschichte eines der rätselhaftesten Kriminalfälle des 18. Jahrhundert entwickelte sich ein Thriller: “Die Affäre C.”

Helene Luise Köppel