Toulouse – “von allen Städten die Blume und die Rose”

LA VILLE ROSE.

“Die Stadt, die die Franzosen ihrer vielen alten Backsteinhäuser wegen La ville rose nennen, war an diesem Tag in ein eher malvenfarbenes Licht getaucht …”, erzählt Sandrine Feuerbach, als sie in Toulouse eintrifft, um ihre Tante zu beerdigen (Die Affäre Calas, Roman).
Das Farbenmeer hatte mit dem obligatorischen Veilchenfest zu tun – das auf Napoleonische Soldaten zurückgeht, die das Parmaveilchen aus Italien mitgebracht hatten. Seitdem ist diese Blume der ganze Stolz der Toulouser Blumenhändler mit ihren Gewächshäusern im Norden der Stadt, der Parfumhersteller sowie der Pâttisserien, die in dieser Zeit von kandierten Veilchenblüten geradezu überquellen.
Eine Vorliebe für Veilchen besaß Toulouse aber schon im 14. Jahrhundert, als hier erstmals die berühmten Jeux floraux* abgehalten wurden, die sog. Blumenspiele. Es handelte sich um einen Dichterwettbewerb, der sich auf die Fahne geschrieben hatte, die provenzalische Troubadourdichtung zu erhalten. Das Fest stand unter dem Schutz der damaligen Capitouls (Ratsherren). An jedem dritten Mai wurden seitdem durch die Académie de Jeux Floraux** die besten Gedichte in französischer und okzitanischer Sprache prämiert: Es winkten fünf goldene oder silberne Blumen: das Veilchen, die Heckenrose, die Ringelblume, der Amaranth und die Lilie.
Wer drei dieser Blumen erhielt, wurde zum “Meister der Dichterspiele” ernannt.

*Die Jeux floraux gehen auf die römischen Blumenspiele zurück, die zu Ehren der Göttin Flora gefeiert wurden.
**Die Académie des Jeux Floraux (okzitanisch, Acadèmia dels Jòcs Florals) ist eine literarische Gesellschaft, die 1694 von Ludwig XIV. als königliche Akademie anerkannt wurde und das 1323 in Toulouse von sieben Troubadouren gegründete Consistori del Gay Saber ablöste, das unter dem Schutz des Capitouls stand.

Der Brunnen auf dem Place Wilson wurde dem provenzalischen Dichter Pierre Godolin (17. Jh.) gewidmet.

Godolins Meisterwerk ist Ramelet Moundi, was mit “Der Strauß von Toulouse übersetzt werden kann, aber ein Titel mit mehreren Bedeutungen ist: Ramelet bedeutet auch “der Zweig”, und “Moundi” ist ein Wortspiel mit Moundi = Raymond, dem Vornamen der Grafen von Toulouse, aber auch “die Welt”, sogar “mein Gott”, und auch “mon dire” = “das, was ich sage”.
Die Veröffentlichung dieser Sammlung in okzitanischer Sprache erfolgte zwischen 1617 und 1648.

Ein kleiner Spaziergang durch die Altstadt von Toulouse

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Die berühmten “Raymonds” – die Grafen von Toulouse

“Das Glockenspiel von St. Sernin schlug gerade elf, als wir an der Mauernische mit den steinernen Sarkophagen der vier berühmten Raymonds, der Grafen von Toulouse, vorbeischlenderten. Ein Gitter versperrte uns beinahe die Sicht, der Gehsteig davor war aufgerissen, es wurden Leitungen verlegt, und wir mussten auf die Straße ausweichen …

Der bekannteste Toulouser Graf, Raymond VI., war einer der ruhm- und einflussreichsten Fürsten Frankreichs, ein Freund der Katharer wie auch sein Sohn, Raymond VII., und Toulouse zu jener Zeit – im 13. Jahrhundert – eine der größten Städte des Abendlandes …”

aus “Die Affäre Calas”, S. 181 ff

Toulouse – Luft- und Raumfahrtmetropole

Die alte Metropole Okzitaniens, einst Sitz der großen und mächtigen Grafschaft Toulouse, hat sich längst der Zukunft verschrieben: Heute ist Toulouse (mehr als 400 000 Einwohner) nicht nur die Hauptstadt der Verwaltungsregion Okzitanien sowie Verwaltungssitz des Départements Haute-Garonne – Die Stadt gilt u.a. auch als Luft- und Raumfahrtmetropole. (Fertigung der Concorde und Airbus-Flugzeuge, Trägerrakete Ariane, Raumgleiter Hermès usw.)
Unvergessen in der Bevölkerung ist die schreckliche Chemiekatastrophe in der Stadt, die sich im Jahr 2001 ereignete, eine Explosion größten Ausmaßes in der Düngemittelfabrik Azote, die zu TotalFinaElf gehörte. Sie beschädigte große Teile der Stadt, forderte 31 Todesopfer und tausende Verletzte. Bis heute ist das Unglück nicht restlos aufgeklärt. Im Jahr 2006 entschieden die Untersuchungsrichter jedoch, die Akte zu schließen; ein Jahr später lehnte das Berufungsgericht alle neuen Nachforschungsanträge ab.

Das Hôtel Clary in der Rue de la Dalbade

Unter den zahlreichen Kirchen in Toulose, (z.B. Saint-Sernin – die größte erhaltene romanische Kirche Frankreichs, an deren Außenseite die Sarkophage der Grafen stehen, Fotos oben), ist die alte Basilica minor Notre-Dame-la Daurade erwähnenswert. Sie liegt im Herzen des Stadtteils Carmes, in Flussnähe.
Auf dem Weg dorthin, durch die Rue de la Dalbade, sollte man unbedingt noch einmal innehalten, denn hier stehen die prachtvollsten Bürgerhäuser von Toulouse aus Stein, nicht wie üblich aus Ziegeln. Sehenswert ist vor allem die Fassade der Hausnummer 25 – des sog. “Hôtel Clary”. Dieses imposante Privatgebäude ist eines der Schmuckstücke der zivilen Architektur in Toulouse. Es wurde im 16. Jahrhundert für die Familie Clary von dem berühmten Architekten Nicolas Bachelier erbaut.

Die Basilica Notre Dame de Daurade und ihre Legenden

Der Name “Daurade” bezieht sich auf die Basilica Notre Dame de la Daurade. An diesem Ort stand in römischer Zeit ein Apollontempel. Die im 6. Jahrhundert erbaute Kirche Notre Dame de la Daurade wurde nach einem Brand am Ende des 15. Jahrhunderts vollständig neu errichtet. Ursprünglich war das Äußere mit Kalk bedeckt, was ihm ein makelloses Weiß verlieh. Äußerlich ist das Weiß heute nur noch im Inneren der Kirche zu finden. Bestechend hingegen das “farbenfrohe” Renaissance-Portal aus dem Jahr 1878, ein Werk von Gaston Virebent, einem berühmten Keramiker, inspiriert von der “Marienkrönung” von Fra Angelico. (Foto Mitte).
Der Turm der Kirche war mit 91 Metern lange Zeit der höchste der Stadt, stürzte aber 1926 plötzlich ein.

Der Überlieferung nach (Quelle Ean Begg) soll die Schwarze Madonna von Toulouse, die sich in der Daurade-Kirche befindet, ursprünglich eine Statue von Pallas Athene gewesen sein, der griechischen Anath, wie es heißt, die mit der Legende um die “schwimmfüßige Königin des Südens, La Reine Pédauque” verbunden wird. Der Name “La Reine Pédauque” (Königin Gänsefuß) soll auch der (dunklen) Königin von Saba zugeschrieben worden sein.

Die Daurade-Madonna hat aber noch in einer weiteren Geschichte ihre Hände im Spiel …

Der Delphi-Schatz, ein merkwürdiger Fisch und das verfluchte “Gold von Toulouse

“Daurade” (Dorade) ist bekanntlich eine Art Fisch. Doch weshalb nannte man eine christliche Madonna “La Daurade”?

Die Bezeichnung könnte auf den römischen Konsul Servilius Caepio zurückgehen, der im Jahr 106 v. Chr. nach Toulouse kam, um hier die Herrschaft Roms wiederherzustellen. Er plünderte und zerstörte die gallischen Heiligtümer (Toulouse war damals die Hauptstadt der Tektosagen) und ließ dabei an der Stelle der heutigen Daurade-Kirche auch einen See trockenlegen, weil er darin das gesuchte “Gold von Toulouse” vermutete, das die Tektosagen angeblich aus Delphi* gestohlen hatten. Doch statt des Delphi-Schatzes schwamm die Statue einer “dunklen Mutter” in der abgelassenen stinkenden Brühe des “heiligen Sees”.
Diese Statue wurde tatsächlich bis in das 5. Jh. hinein als Pallas Athene verehrt. Nach dem Verbot aller heidnischen Kulte, im Jahr 415, beschloss man, dass die “Braune”, wie sie im Volksmund genannt wurde, in Wirklichkeit Maria, die Mutter Gottes sei.
Die alte Statue wurde im 14. Jh. gestohlen und später durch eine “Schwarze Madonna” ersetzt.
*Nach Posidonius (griech. Geschichtsschreiber um 50 v. Chr.) soll es sich beim Delphi-Raub um fünfzehntausend Talenten in Gold gehandelt haben –
darunter aber auch der berühmte Omphalos, der Nabelstein von Delphi, sowie andere heilige Gegenstände.

Eine weitere Wort-Erklärung: “Daurade könnte auf “Deaurata” zurückgehen (“von Gold bedeckt”), und sich auf die prachtvollen Mosaike der ersten Kirche beziehen.
Aber auch der Fisch ist noch nicht vom Tisch: Die Daurade (Dorade) ist schließlich als “Goldbrasse” bekannt. 🙂


Das verfluchte Gold von Toulouse

Beim “verfluchten Gold von Toulouse” handelt sich um eine von vielen antiken Autoren (darunter Strabo) erzählte Geschichte, in der sich Historie und Legende vermischen.
Ob der von dem römischen Konsul Caepio gesuchte Schatz tatsächlich mit der Plünderung des Apollon-Heiligtums von Delphi (anlässlich der Großen Keltenexpedition im Jahr 279 v. Chr.) zusammenhing, weiß man nicht. Gesichert ist wohl, dass der Konsul im Jahr 106 v. Chr. etwa siebzig Tonnen Gold, wie die Autoren berichten, sowie hunderttausend Pfund in Silberbarren erbeutete – und auf den Weg nach Rom schickte, wo jedoch dummerweise nur das Silber ankam.
“Apollos Rache”? Oder was war passiert?
Caepios Karawane war zwischen Toulouse und Marseille unter die Räuber gefallen. Die gesamte Eskorte wurde massakriert und die siebzig Tonnen Gold verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Die römische Welt stand Kopf: Caepio wurde beschuldigt, den Überfall erfunden zu haben, um das Gold für sich zu behalten. Man klagte ihn der Veruntreuung an und beschlagnahmte seinen Besitz. Einmal im Unglück, bezichtigte man ihn ferner (105 v. Chr.) die vernichtende Niederlage der Römer in Orange (Arausio) herbeigeführt zu haben, bei der 80 000 römische Soldaten von den Kimbern und Teutonen erschlagen wurden.

Kein Wunder, dass das “Gold von Toulouse” seitdem als verflucht gilt. Man sucht es übrigens noch heute – wie auch die drei Tore, von denen wiederum andere örtliche Legenden erzählen: “Das Tor des Geldes, das Tor des Goldes und das Tor der Myrrhe.
“Das verfluchte Gold” und Caepios Schicksal blieb in den Köpfen der Menschen hängen: Mit “Es un cépiou!” bezeichneten die Okzitanier noch im Mittelalter einen gierigen oder unehrlichen Menschen.

“Quintus Servilius Caepio raubt das Gold von Toulouse …”

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Musée des Augustins – Das ehemalige Augustiner-Kloster

Einer der Gründe, weshalb ich im Jahr 2004 nach Toulouse fuhr, waren die Recherchen für meinen Roman “Die Affäre Calas”. Für einen Besuch im ehemaligen Augustiner-Kloster (seit 1793 Musée des Beaux-arts, heute größtes europäisches Museum für Romanische Kunst) hatte ich mich telefonisch angemeldet. Der dortige Kurator für Gemälde, Axel Hémery, bot mir am Ruhetag des Museums eine Privatführung an und machte mich nicht nur auf die Symbolsprache des Malers Nicolas Tournier (+1639 in Toulouse) aufmerksam, sondern beantwortete mir auch geduldig meine Fragen nach den Büßern von Toulouse im 18. Jahrhundert.
Bei der späteren Auswertung bzw. Vergrößerung meiner Fotos entdeckte ich auf dem Portalwappen der Schwarzen Büßer (letztes Zeugnis dieser Bruderschaft!) merkwürdige Buchstaben, die mit bloßem Auge nicht zu sehen waren: Die Inschrift links unten lautet NIGRA SUM SED FORMOSA – Schwarz bin ich, aber schön …
– womit sich für mich im Nachhinein der Kreis zur Schwarzen Daurade-Madonna schloss.

Südländisches Treiben in Toulouse

Toulouse bietet nicht nur Flaniermeilen mit exklusiven Modeboutiquen und Schuhläden, zahlreiche Kirchen, Museen und Ausstellungen, gemütliche Straßencafés und kulinarische Köstlichkeiten (in der Markthalle oder den Restaurants mit regionaler oder internationaler Küche). Ein Hightech-Themenpark im Südosten der Stadt gehört dazu, wie auch eine Bootsfahrt auf – oder einfach nur der herrliche Sonnenuntergang an der Garonne.
Toulouse ist eine Stadt besonders für junge Leute, eine StudentInnenstadt. Schon im 12. Jh. gab es hier Universitäten, an denen mehrere Sprachen gelehrt wurden, u. a. auch Hebräisch – während zur selben Zeit im Norden Frankreichs viele Adelige nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben konnten. Heute zählt Toulouse, nach Paris und Lyon, die meisten Studierenden in Frankreich.

Anerkannte Street art-Künstler haben sich in Toulouse einen Namen gemacht und die multikulturelle Kulturszene steht den Millionenstädten Marseille und Lyon in nichts nach. Dass tatsächlich auch südländisches “Treiben” in Toulouse herrscht, spürt man abends. Hier tanzt man in den Diskotheken schon mal nach afrikanischen oder karibischen Rhythmen – manchmal sogar draußen, mitten auf der Straße, was aber selbst von den Autofahrern lächelnd goutiert wird.

Das berühmte Château Narbonnaise, der Sitz der ruhmreichen Grafen Raymond, damals ebenfalls aus rosa Ziegelsteinen erbaut, existiert leider nicht mehr. Das ist ein echter Verlust. Vergessen haben die Toulouser (oder Tolosaner) ihre Vergangenheit jedoch nicht. Nicht die tausenden Katharer, die ihr Leben in den Albigenserkriegen verloren haben, und auch nicht den alten Tuchhändler und Hugenotten Jean Calas, der hier in den Religionskriegen (1762) auf dem Rad sein Leben lassen musste.
Überlassen wir das Schlusswort dem südfranzösischen Dichter und Geschichtsschreiber Wilhelm von Tudela (13. Jh.), der Toulouse kannte. Er beschreibt die alte Metropole Okzitaniens – die frühere Hauptstadt der Tektosagen, Galloromanen und Westgoten mit folgenden Worten:

Que de totas ciutatz es cela flors e rosa – von allen Städten ist sie die Blume und die Rose!

(s. “Sancha, Das Tor der Myrrhe”, S. 517)

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Dijon – “folgt dem Flug der Eule!”

“Welch schöne Stadt!”, hat der Ritterkönig Franz I.* ausgerufen, als er Dijon sah, wobei er besonders von der großen Zahl der Türme beeindruckt war, die es hier früher gab. Die im Osten Frankreichs liegende Hauptstadt des Départements Côte-d’Or ist zugleich die Hauptstadt der Region Bourgogne-Franche-Comté. Dijon, mit ungefähr 150 000 Einwohnern ist ein Verkehrs-, Handels- und Industriezentrum, aber auch Sitz der Université de Bourgogne, die 1722 gegründet wurde. Bereits in römischer Zeit lag Dijon an einer wichtigen Fernstraße, deren Reste sich nördlich der Stadt bei Bretigny erhalten haben. Heute liegt die Stadt an der A 31 (Beaune-Luxemburg) und ist Ausgangspunkt der A 38 nach Paris und der A 39 in Richtung Bourg-en-Bresse.
Der Besucher trifft auf ein gepflegtes historisches Zentrum mit pittoresken mittelalterlichen Häusern, prachtvollen Gebäuden aus dem 17. und 18. Jahrhundert, auf reich ausgestattete Gotteshäuser, viele Grünanlagen und Fußgängerzonen. Besondere Bedeutung hat hier der Weinbau der Côte de Nuits, eines Gebietes, das in unmittelbarer Nähe von Dijon liegt – und natürlich der leckere scharfe Tafelsenf, der nach der Stadt benannt ist.
Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft – in Dijon sind alle Zeiten harmonisch vereint.

*Franz I., auch genannt der Ritterkönig, war ein französischer König aus dem Haus Valois-Angoulême, einer Nebenlinie des Hauses Valois. Er wurde am 25. Januar 1515 in der Kathedrale von Reims zum König von Frankreich gesalbt und regierte das Land bis zu seinem Tod 1547.

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Die buntglasierten Dächer sind typisch für die Region Burgund

Dijon – vor dem 10. Jahrhundert

Vor dem 10. Jahrhundert war Dijon ein bescheidenes Städtchen. Erst als Hauptstadt der Großen Herzöge von Valois kam es zu Ruhm und Ehre. Bei den Grands Ducs (14. – 15. Jh.) handelte es sich um Philipp den Kühnen, Johann Ohnefurcht, Philipp den Guten und Karl den Kühnen.
Nach dem Tode Karls des Kühnen fiel die Stadt mit dem gesamten Burgund an Frankreich zurück. Das heutige historische Zentrum zeugt mit seinem Reichtum an Gebäuden und Museen noch von dieser Zeit.

Die während der Revolution leider zerstörte Sainte-Chapelle der Herzöge: Hier traf sich der Orden vom Goldenen Vlies, den Philipp der Gute 1429 gegründet hatte (Reaktion auf die Zerschlagung des Templerordens durch Philipp den Schönen.)
Linkes Bild: La Sainte-Chapelle du palais des ducs de Bourgogne, Detail einer Ansicht des Palasts 1688 von Jules Hardouin-Mansart.

Die vier Großen Herzöge machten Dijon zu ihrer Hauptstadt

Die Kathedrale von Dijon – wo man von unzähligen Wasserspeiern und vom Teufel persönlich begrüßt wird …

Notre-Dame de Dijon ist ein gotisches Bauwerk. Die Arbeiten wurden im Jahr 1230 begonnen und endeten im Jahr 1251. Die ungewöhnliche Westfassade zeigt über der schmalen offenen Vorhalle (Narthex), die in das Gebäude integriert ist, zwei Geschosse von Arkadenreihen, mit drei Reihen von Gargoyles (Wasserspeiern). Flankiert wird die Fassade von zwei säulenartigen runden Türmen.
Zum Teufel: Die Löcher in den Mundwinkel dienten früher als Schließbleche für die alten Schlösser der beiden Türflügel. Der eiserne Ring zwischen seinen Zähnen bedeutet, dass das Böse an den Eingang der Kirche gekettet bleibt! Also keine Angst beim Eintritt in die Kathedrale! 🙂

Notre-Dame du Bon-Espoir – Die Schutzherrin von Dijon

Die Schwarze Madonna von Dijon ist eine Besonderheit. In meinem Roman “Talmi”, in dem eine kleine, bunt zusammengewürfelte Reisegruppe erstmals Dijon besucht, wird die Madonna vorgestellt:

“Nach der Eucharistiefeier leerte sich zwar die Kathedrale, die berühmte Madonna jedoch, mit einer steifen weißen Robe bekleidet, war jetzt von gläubigen Frauen regelrecht belagert. Lisa hatte Mühe, auch nur einen Blick auf das längliche, wilde Gesicht zu werfen, das aus dem zeltartigen Gewand lugte.
‘Wieso hat sie eigentlich kein Kind auf dem Arm?’, flüsterte Anne-Sophie.
‘Hier hast du die Antwort’, sagte Walter hinter ihrem Rücken, “es ist noch nicht geboren!”
Alle starrten auf die Kunstkarte, die er inzwischen gekauft hatte. Auf ihr war die Madonna in ihrem Originalzustand zu sehen, so wie der Künstler sie vor nahezu tausend Jahren aus dunklem Holz geschnitzt hatte: Ein nackte hochschwangere Frau mit schweren Brüsten …”

“Talmi”, Helene L. Köppel, S. 86 ff


Der Autor Ean Begg, der sich ausgiebig mit den Schwarzen Madonnen befasst hat, beschreibt die Dijon-Madonna folgendermaßen:

Notre-Dame du Bon-Espoir*, auch du Rapport oder du Marche, in der Kirche von Notre Dame, Dijon. Eichenfigur aus dem 12. Jh., im Unterschied zu anderen Schwarzen Madonnen Hängebrüste und vorstehender Bauch. Sie ist mit galloromanischen Statuen von Kybele und Isis verglichen worden, wirkt jedoch eher wie eine germanisch-keltische “gute Hexe”.

* gute Hoffnung

The Cult of The Black Virgin”, London 1985

Folgt dem Flug der Eule … (aus “Talmi” …)

‘Es soll hier eine Eule geben, Madame, die eng mit der Geschichte von Dijon verbunden ist? Haben Sie davon schon gehört?’, fragte Lisa eine Passantin.
‘Mais qui’, antwortete die Französin und deutete mit dem Silberknauf ihres Stocks auf den Gehweg. ‘Sie sind im Begriff, auf eine zu treten.’
Erschrocken zog Lisa den Fuß zurück und starrte auf den Trottoir, wo in fast jeder zweiten Steinplatte eine kleine Messing-Eule eingelassen war, was sie bei ihrer Ankunft übersehen hatten. ‘Ein Wegweiser?’, fragte sie die Dame.
‘Der wohin führt?’, hakte Walter Schilcher nach, das graumelierte Haar noch feucht vom Duschen. Unbemerkt hatte er sich an Lisa herangepirscht. Hinter ihm drängten lachend Nigel, Frédéric und Anne-Sophie aus dem Hotel. Die alte Frau sah zu Walter hoch und lächelte ihn verschmitzt an. Dann deutete sie erneut mit ihrem Gehstock auf den Boden: ‘Zur ehrwürdigen Chouette, Monsieur, die demjenigen Glück bringt, der sie streichelt. Folgt dem Flug der Eule!”

“Talmi”, Helene L. Köppel, S. 86 ff

Die Eule von Dijon, die sich an der Außenmauer der Kathedrale, in der benachbarten Rue de la Chouette, an einem Pfeiler befindet, ist heute sehr alt und schon ganz mager vom vielen Streicheln. Sie wird mindestens ebenso “verehrt” wie die Schwarze Madonna, denn zwischen beiden gibt es einen Zusammenhang:
Es heißt, die Menschen in alter Zeit hätten die Virgo paritura, also die noch gebärende Jungfrau, auch in Gestalt einer weisen Eule verehrt.

Ganz wichtig: Damit die Eule Glück bringt, sollte man sie mit der linken Hand streicheln! 🙂

Abschied von Dijon – und vom Ritterkönig Franz I.

Weitere Sehenswürdigkeiten:

Herzogspalast,
Musée des Beaux-Arts,
Kirche Saint-Michel,
Musée Magnin,
Justizpalast,
Kathedrale Saint-Bénigne,
Archäologisches Museum,
Kirchen Saint-Philibert und Saint-Jean,
Jardins de l` Arquebuse
.

Jährliche Veranstaltungen in Dijon:

Mai: “Jazz in der Stadt”, “Theater im Mai”,
Juni: “Musiksommer”; Festival “Estivade”,
September: “Festival der Abenteuerfilme”, “Open du Rock” sowie Festival Nouvelles Scènes – Theaterfestspiel.


Übrigens: Die besondere Qualität des Dijon-Senfs, der angeblich auf das 13. Jahrhundert zurückgeht, wurde einst auf den Burgunderwein der Region zurückgeführt. 


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Giverny – in den Gärten von Claude Monet

Claude Monet

Claude Monet (1840 in Paris – 1926 in Giverny) war ein französischer Maler des Impressionismus.
Berühmt sind aber nicht nur seine Werke, sondern auch seine beiden Gärten, die er mit eigener Hand in dem französischen Dorf Giverny, im Département Eure (Normandie) angelegt hat.
Diese Gärten war für ihn ein einziger Quell der Inspiration.

Der Blumengarten des Malers

Der Blumengarten des Malers – Clos Normand genannt – ist vor dem Haus angelegt, in dem er wohnte. Auf einer Fläche von etwa einem Hektar wechseln sich Blumenwiesen mit regelmäßigen Beeten ab, Obstbäume mit Zierbäumen, Sträucher mit Büschen, Kletterrosen mit langstieligen Stockrosen usw.
Ganz besonders beeindruckend sind die vielen Mohnblumen, worunter sich auch ganz seltene Sorten befinden.
Was Claude Monet wichtig war, waren die Farben

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Der Wassergarten des Malers

Zehn Jahre nach seiner Ankunft in Giverny erwarb Monet ein benachbartes Grundstück, auf der anderen Straßenseite. Es wurde von einem kleinen Bach durchquert. Er ließ einen Teich graben, obwohl seine Nachbarn befürchteten, das die “seltsamen Pflanzen”, die er kaufte, das Wasser vergiften würden. Hier ließ sich Monet von japanischen Gärten inspirieren, die er von Holzschnitten her kannte und leidenschaftlich sammelte. Trauerweiden, eine japanische Brücke und weitere kleine Brücken, Glyzinien, aber vor allem Seerosen hatten es ihm angetan.
Wie getrieben, war Monet ständig auf der Suche nach seltenen Pflanzen, so dass er oft klagte, sein ganzes Geld ginge in seine Gärten.
Er liebte es, Blumen und Pflanzen nach ihren Farben zu kombinieren, ließ sie aber vorzugsweise frei wachsen.

Wissenswertes für Besucher (u.a. in Corona-Zeiten)

Das Anwesen ist seit September 1980 für die Öffentlichkeit zugänglich.
Jährlich kommen oft mehr als 600 000 Besucher nach Giverny. Um die Pflanzen zu schützen, werden die Besucher auf Seitenalleen und gesonderte Wege geleitet, die jedoch rund um den Garten führen. Zum Wassergarten gelangt man durch eine Unterführung.
Fotografieren ist erlaubt, jedoch nur von den Gehwegen aus.

Die Fondation Claude Monet in Giverny öffnet aktuell wieder am 19. Mai 2021.
Die Gärten können täglich von 9.30 Uhr bis 18 Uhr besichtigt werden (bis 1. November).
Wegen Corona wird Besuchern empfohlen, ihre Eintrittskarten im Vorfeld online zu kaufen und einen Termin zu buchen.
Abstandhalten und das Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung ist derzeit verpflichtend.
Das Mitbringen von Tieren ist untersagt, der Verzehr von Speisen und Getränken verboten.

Vielen Dank für Ihre Begleitung durch die Gärten von Giverny!

Die Kathedrale von Chartres – “wo das Suchen zur Sucht wird”

– Einst ein vorchristlicher Kultplatz –

“Die Kathedrale von Chartres – wo das Suchen zur Sucht wird” – so beschreibt der Autor Louis Charpentier (1905-1979) diesen besonderen Anziehungspunkt, neunzig Kilometer südwestlich von Paris. Charpentier war ein Suchender, hat sich zeitlebens mit den Rätseln der Vergangenheit und mit verloren gegangenem Wissen beschäftigt. Fragen gestellt.
Die Kathedrale von Chartres ist unbestritten eine der geheimnisvollsten Kathedralen Frankreichs – und damit eine Herausforderung für Generationen. Mit ihrer Architektur, den leuchtenden Glasfenstern und den unvergleichbaren Gewändeskulpturen erinnert sie mich an einen nie enden wollenden Roman, der jedoch so spannend ist, dass man mit dem Lesen sowieso nicht aufhören kann. In jedem Kapitel, auf jeder Seite, die man aufschlägt, entdeckt man etwas Neues, das man bewundern, erforschen oder analysieren kann. So ist Chartres.
Ich selbst war dreimal vor Ort, stehe aber, das gebe ich gerne zu, noch immer am Anfang meiner Entdeckungen.

Neugierig darauf, wie frühere Menschen diese Kathedrale gesehen und beschrieben haben, stieß ich, neben Charpentier, auf den Bildhauer Auguste Rodin, der sie die “Akropolis Frankreichs” nannte, auf den Autor Joris-Karl Huysmans (1848-1907), der einen Roman über sie schrieb, und nicht zuletzt auf den Pariser Maler Jean-Baptist Camille Corot (1796-1875), der sie im Jahr 1830 wie nachstehend gemalt hat:

Chartres hat knapp 40 000 Einwohner und liegt auf einer weiten Ebene an einem Nebenfluss der Seine, der Eure. Die Kathedrale, Bischofssitz des Bistums Chartres, dominiert die Stadt. Das Bauwerk ist über 130 Meter lang und 64 Meter breit. Im Jahr 876 gewann der Ort an Bedeutung, als Karl der Kahle hier eine kleine Kirche weihte und ihr eine ganz besondere Reliquie übergab: Eine als “Sancta Camisia” bezeichnete Tunika, ein Hemd, das angeblich der Erzengel Gabriel der Jungfrau Maria überreichte, als er ihr die Geburt Jesu ankündigte. Diese heilige Reliquie sollte fortan wie ein Magnet die Pilgerscharen anziehen …

Die zwei hohen, ungleichen Türme der Kathedrale von Chartres prägen gewissermaßen die nordfranzösische Landschaft. Gleich, von welcher Straße aus man sich der Stadt nähert, springen sie einem ins Auge. Der gotische Neubau begann um 1194 und dauerte bis 1260. Die Kathedrale, die wir heute sehen, ist eine der wenigen nahezu unverfälschten Bauwerke dieser Epoche, denn sie überstand fast unzerstört den Bildersturm der Hugenotten und die Verwüstungen durch die Französische Revolution. Auch das macht sie einzigartig.
Im Jahr 1908 wurde die Kathedrale Notre-Dame de Chartres zur Basilica minor erhoben und im Jahr 1979 in das Register des Kulturerbes der UNESCO aufgenommen.

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Chartres – ein vorchristlicher Kultplatz

Es war keine Zufallsentscheidung, weshalb man gerade hier, auf einem Erdhügel, mitten im fruchtbaren Flachland, ein solches Bauwerk errichtet hat: Es handelte sich um einen uralten, vorchristlichen Kultplatz mit einer “wundertätigen” Quelle – ein großes Druidenheiligtum, das selbst in Caesars Bericht über den Gallischen Krieg (De bello gallico) Eingang fand.

Sogar jenseits des Rheins sollen die Kelten “von überall her” nach Chartres gepilgert sein, nachdem es sich herumsprochen hatte, dass die Druiden hier auch eine wundertätige “Virgo paritura” verehrten (eine junge Frau, die noch gebären wird), also vermutlich eine lokale Fruchtbarkeitsgöttin. Leider existiert diese Figur nicht mehr, man hat sie Ende des 18. Jahrhunderts aus der Krypta entfernt und vor dem Westportal der Kathedrale verbrannt.
Doch vielleicht sah sie der “Schwarzen Madonna von Dijon” ähnlich, eine der wenigen heute noch existierenden Madonnendarstellungen, die im Zustand der Schwangerschaft gezeigt werden.
Foto links: Schwarze Madonna von Dijon (virgo paritura), Website HLK.

Chartres – die christliche Baugeschichte

Ein erster christlicher Bau (heute Kathedrale des Aventius genannt), wurde Mitte des 4. Jahrhunderts zu Füßen der gallo-römischen Ringmauer errichtet. Um das Jahr 750 wurde dieser Bau von den Westgoten niedergebrannt. Einen Nachfolgebau zerstörten die Wikinger. Bischof Giselbert ließ ihn im 9. Jh. wieder aufbauen und erweitern.
Auf den berühmten Abt und späteren Bischof von Chartres, Fulbert, geht der Bau der 4. Kathedrale (nun Romanisch) zurück, inklusive der neu geschaffenen Krypta. Bei einem Brand im Jahr 1134, wurde die Westfassade zerstört.

In der Nacht vom 10. auf den 11. Juni 1194 zerstörte ein weiterer verheerender Brand die halbe Stadt, den Bischofspalast und auch große Teile der Kirche. Doch erneut verschonten die Flammen das seit dem 9. Jh. hier verwahrte Gewand der Muttergottes – eine der kostbarsten Marienreliquien. Der “Schleier Mariens” geht auf eine Schenkung der Kaiserin Irene von Konstantinopel zurück, die die Reliquie im Jahr 800 Karl dem Großen überreichte. Dessen Enkel, Karl der Kahle, stiftete sie dann im Jahr 876 der Kathedrale von Chartres. Heute existiert nur noch ein Stoffrest in der Größe von 30×30 cm.

Die Abbildung der “Sancta Camisia” auf der Kanzel (Foto oben) soll an die wundersame Rettung aus der Feuersbrunst erinnern – und vielleicht auch ein bisschen daran, dass das Hemd, aufgestellt auf der Stadtmauer, einst den Normannenherzog Rollo in die Flucht schlug.
Im Bereich zwischen nördlichem Querschiff und Chor befindet sich, hoch oben auf einer Säule eine weitere Madonnen-Statue aus dem 16. Jahrhundert: Notre Dame du Pilier; sie wurde 2013 restauriert.

Chartres – die “Schule von Chartres”

Von einer “Schule von Chartres” ist eigentlich erst seit dem 19. Jahrhundert die Rede. Hier ist zum einen die Domschule gemeint, die bereits auf das frühe 6. Jahrhundert zurückgeht.
Der berühmte Fulbert von Chartres (+1028, s. Glasfenster unten) war in seiner Eigenschaft als Kanzler des Bischofs bzw. des Domkapitels zugleich Leiter der Domschule. Er sorgte für den Nachschub fähiger Theologen, stattete die umfangreiche Bibliothek mit bedeutenden Werken aus und wird daher oft als “Gründer” der Schule von Chartres bezeichnet. Im Jahr 1006 wurde Fulbert selbst Bischof von Chartres. Fulbert galt als angesehener, aber konservativer Theologe, der seinen Schülern riet, sich an die Schriften der Väter zu halten.
Ihre Blütezeit erreichte die “Schule von Chartres” im 12. Jahrhundert, einer Zeit, in der es in Europa kaum Universitäten gab und jeglicher Unterricht in den Domschulen und Klöstern stattfand. Der Ruf von Chartres sprach sich schnell herum. Aus ganz Europa strömten junge Männer hierher, um Theologie zu studieren. Chartres entwickelte sich fast zwei Jahrhunderte lang als das philosophische, wissenschaftliche und künstlerische Zentrum Frankreichs, wobei man der Philosophie Platons und dessen Konzept einer Weltseele als kosmologisches Prinzip folgte.
Erst als in Paris die Sorbonne gegründet wurde, wo man den Lehren des Aristoteles folgte, verlor Chartres seine Vorrangstellung.
(Foto rechts, HLK 2012)

Chartres – Die Fenster

Glücklicherweise haben auch die herrlichen Fenster die Jahrhunderte überlebt. Sie wurden in der Zeit von 1215 – 1240 geschaffen. Heute besitzt Chartres den wohl größten Bestand an erhaltenen Originalfenstern unter allen Kathedralen.
Viele zeigen das berühmte Chartres-Blau. Das Geheimnis der Herstellung dieser Farbe ist von den Glasmachern mit ins Grab genommen worden. Nach neueren Untersuchungen beruht die Färbung auf Kobalt, das aus dem sächsischen Erzgebirge stammt.

Chartres – die Krypta

Weitgehend vom Brand verschont geblieben ist auch die Romanische Krypta der Kathedrale, der heilende Kräfte nachgesagt wird. Keine andere Krypta wurde durch die Jahrhunderte von so vielen KönigInnen besucht wie die von Chartres. Sie ist jedoch keine Grablege, kein Ort des Todes*, sondern ein Ort des Lebens. Schließlich fand dort unten eine Art “Geburt” statt, denn hier wurde der Wechsel von der heidnischen Virgo paritura zur Virgo qui paeperit vollzogen – also der Jungfrau mit Kind: Notre-Dame-Sous-Terre (Foto rechts unten). Bei der heutigen Madonna handelt es sich um die Kopie einer ersten Ersatzfigur, die man 1857 aus Birnbaumholz geschnitzt und braun eingefärbt hat. In der Krypta, eine der längsten in Europa, sind auch noch alte Fresken erhalten (u.a. auch ein Hinweis auf den Ausbruch der Cholera im Jahr 1832, s. unten)

*Off-topic: Nicht zur Kathedrale, aber zur gallorömischen Geschichte von Chartres gehörend: Im Jahr 2016 machten Archäologen bei Ausgrabungen im Kirchenschiff von Saint-Martin-au-Val in Chartres eine sensationelle Entdeckung. Unter dem Gebäude aus dem 11. Jahrhundert, das auf den Ruinen eines riesigen gallorömischen Heiligtums errichtet wurde, fand man einen winzigen, noch perfekt versiegelten Sarkophag aus weißem Kalkstein, in dem ein Merowinger-Baby lag.
(aus Le Point, Sciences, 21.4.2016)

Chartres – und die Pilger

Die Pilger im christlichen Zeitalter nächtigten für gewöhnlich in der Herberge eines nahegelegenen Benediktinerklosters, wo auch die Kranken versorgt und gepflegt wurden. Unter Bischof Fulbert diente aber auch die Krypta selbst als Lazarett. Mit ihren fast dreißig Jochen (Gewölbeabschnitten) war sie dafür bestens geeignet.
Eigentliches Ziel der Pilgerreise war natürlich die Anbetung der Heiligen Jungfrau – wobei wohl jahrhundertelang beide Figuren verehrt wurden, die Schwarze Druidenmadonna und die (erste) Romanische aus dem Hochmittelalter. (Für das einfache Volk standen sie ja nicht in Konkurrenz zueinander.)
Nachdem die Pilger also ihre Gebete verrichtet hatten, ließen sie sich mit dem Wasser aus dem Heiligen Brunnen besprengen oder tranken davon. Die einen gingen daraufhin nach oben, um sich auf den Weg durchs Labyrinth zu machen (auf Knien!), andere blieben tage- und wochenlang in der Krypta, um Heilung zu finden.

Zum Brunnen: Er wurde im 17. Jh. zugeschüttet, erst zu Beginn des 20. Jh. entdeckte man ihn wieder, wobei man herausfand, dass er rechteckige Fundamente besaß, also gallorömischen Ursprungs war.
Heute, neu aufgemauert, reicht er 33 Meter in die Tiefe bis zum Fluss Eure, ist jedoch versiegt.

Übrigens: Ohne Führung durch diese schummrige Krypta würde man wohl schnell die Orientierung verlieren!

Chartres – und das Labyrinth

Beim Labyrinth von Chartres, entstanden nach 1200, handelt es sich um ein sog. “klassisches” Labyrinth, weil sich, nach einer Beschreibung aus dem Jahr 1640, in der Mitte eine Darstellung des Kampfes von Theuseus mit dem Minotauros befand. Die heidnische Symbolik hat man umgedeutet: Aus Theseus wurde Jesus, der das Böse, also den Minotaurus überwindet. Das aus grauen und schwarzen Steinplatten gefertigte Labyrinth misst über 12 Meter im Durchmesser und ist ein insgesamt 261,50 Meter langer Weg, der sich durch 11 konzentrische Kreise und 34 Kehren auf das Zentrum hinbewegt. Es handelt sich also um einen einzigen, vielfach verschlungenen Pfad, der auf möglichst langer Strecke zum Mittelpunkt führt, und auf dem man sich nicht verlaufen kann, auch wenn dies mitunter den Anschein hat.

Leider kann man das Labyrinth in seiner vollen Schönheit nur Freitags bewundern, wenn die Stühle beiseite geräumt werden. Weil ich es nie schaffte, an einem solchen Tag vor Ort zu sein, hat mir mein inzwischen verstorbener Mann eine kleine Nachbildung für die Hauswand im Garten angefertigt, die mich noch heute freut. Das echte Ablaufen eines Labyrinths habe ich dann später in Schweden nachgeholt, als ich überraschend am Waldrand auf ein solches stieß. (s. meine Fotos oben und unten).

Chartres – und der Ostertanz

Rundtänze haben ihre Wurzeln in der vorchristlichen Zeit: David tanzte vor der Bundeslade, Druidinnen bekamen ihre prophetischen Eingaben während des Tanzes, usw. Auch die Labyrinthe in den christlichen Kathedralen, so unterschiedlich sie sein mögen, sind keine Irrgärten, sondern Tanzplätze für besondere Rituale.
So tanzte man in Chartres im Mittelalter, am Ostersonntag, den Ostertanz, wobei der jeweilige Bischof den Tanz durchs Labyrinth anführte. Die Schrittfolge war vorgegeben. Unter den Klängen des Osterhymnus warfen sich Bischof und die Kleriker, die ihm, teils gegenläufig, durchs Labyrinth folgten, wechselseitig einen goldenen Ball zu. Dieser Ball stellte die Ostersonne dar, das aufgegangene Licht.
(Siehe auch: Mirepoix und Eunate.)

In meinem Thriller “Talmi”, in dem es u.a. um die Cagoten geht, habe ich ebenfalls die alten Ritualtänze thematisiert:
»Sowohl die Steine als auch der Tanz durchs Labyrinth selbst«, fuhr Sabot fort, »waren vermutlich ein Lehrmittel, um entweder zur höheren Erkenntnis zu gelangen oder um ein bestimmtes Wissen zu erfahren – darunter fiel möglicherweise auch die Kunst des Kathedralbaus …”

Chartres – und die Gewändefiguren

Die Kathedrale von Chartres verfügt über neun Portale mit über 1.500 Skulpturen – darunter Szenen aus dem Alten und Neuen Testament, Apostel, KönigInnen, Heilige und Propheten inbegriffen. Leider kann ich hier nur eine kleine Auswahl der für mich schönsten Kunstwerke zeigen, wobei mich vor allem die ausdrucksstarken Gesichter, die Faltenkaskaden der Gewänder aber auch die prachtvollen Zöpfe der Damen begeistert haben.

Das letzte Foto ist eines der rätselhaftesten, das ich 2012 in Chartres gemacht habe. Noch immer suche ich nach einer Erkärung. Wer steckt hinter diesen gekrönten Häuptern? Der Mann weist indische Züge auf, trägt aber das französische Lilienzepter. Sonderbar finde ich auch die Haltung seiner Hand. Handelt es sich um einen christlichen Segensgruß? Oder doch, woran ich spontan dachte, um eine Mudra-Geste aus dem Buddhismus, die auf einen Lehrer hindeutet?
Fest steht: Überall in der Kathedrale finden sich auch Hinweise auf andere Kulturen und Religionen. Das Weltbild der “Schule von Chartres”, wo man auch eifrig die nichtchristlichen Schriften der Antike studierte, hatte viele Facetten.
Lassen Sie mich mit Bernhardt von Chartres schließen, der ein Gelehrter und Magister an der hiesigen Domschule war, geprägt vom Platonismus seiner Zeit:

Wir sind Zwerge auf den Schultern von Riesen sitzend, um mehr und weiter als sie sehen zu können.”

Bernhardt von Chartres (+ nach 1124); mit den “Riesen” spielte er auf die Gelehrten aus der Antike an.


Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Normandie: “Fischerboote im Hafen von Honfleur”

Honfleur – und seine Künstler
“Fischerboote im Hafen von Honfleur” – so hat der Maler Claude Monet eines seiner vielen Bilder genannt, die er in der kleinen Hafenstadt an der Seinemündung gemalt hat. Honfleur, seit dem 11. Jahrhundert nachgewiesen, spielte nach dem Hundertjährigen Krieg* eine wichtige Rolle vor allem in der Kunst und der Literatur. So hielt sich der Schriftsteller und Lyriker Charles Baudelaire häufig hier auf (La danse macabre, Totentanz, entstand in Honfleur). Dem hier gebürtigen Küstenmaler Eugène Boudin (1824-1898) hat man sogar ein Museum gewidmet. Aber auch andere berühmte Maler wie Courbet, Sisley, Jongkind, Monet, Pissarro, Renoir und Cézanne kamen gerne und oft nach Honfleur. Sie trafen sich meist in einem alten Bauernhof, der Ferme St.-Siméon, die als eine der Geburtsstätten des Impressionismus gilt (heute ein Hotel). Nicht zu vergessen: Honfleur ist auch der Geburtsort des französischen Komponisten Erik Satie.

*Der Begriff „Hundertjähriger Krieg“ wurde von Historikern rückblickend eingeführt und bezeichnet traditionell die Zeit von 1337 bis 1453, in der englische Könige versuchten, ihre Ansprüche auf den französischen Thron mit Waffengewalt durchzusetzen. Dennoch bestand dieser Konflikt aus mehreren Phasen und einzelnen Kriegen, die erst später als ein einziger Komplex gesehen wurden. (Quelle Wikipedia)

Honfleur – das berühmte Vieux Bassin
Das stete Klackern der Bootsgestänge, das Schreien der Möwen und dieser unbeschreibliche Geruch nach Meer und frischen Austern, die man hier überall probieren kann … Das Hafenbecken, vor allem seine westliche Begrenzung – der Quai Sainte-Catherine – gehört wohl zu den meist besuchten und fotografierten Ansichten der Normandie. Die knapp fünfzig Häuser entstanden zusammen mit dem Hafenbecken nach 1630, auf Anordnung Colberts, der zuvor die alten Befestigungsanlagen beseitigen ließ. Die malerischen, teils vorkragenden Häuser sind mit Schiefer bedeckt.
Und die Maler? Nun, die stehen noch immer am Rand des Hafenbeckens, den Pinsel in der Hand!

Honfleur – Ein weiterer Tipp für Kunstinteressierte:
In zwei alten Lagerhäusern, den Greniers à Sel, die einst (1670) östlich des Vieux Bassin zur Salzlagerung erbaut wurden, werden heute Ausstellungen zeitgenössischer Künstler organisiert.

Honfleur – und sein Name
Die erste Erwähnung fand Honfleur im Jahr 1025. Im Namen steckt offenbar das normannische Wort fleu (fleur – Blume); es wird noch immer wie fleu “Küstenfluss” im altnormannischen Dialekt ausgesprochen. (Der Endvokal, also das “r” wurde erst im 19. Jahrhundert hinzugefügt.)
Eine andere Erklärung besagt, dass der Name von “Honna Flow” käme, wobei Honna ein Eigenname und Flow mit “kleine Bucht” übersetzt worden sei.

Honfleur – das Marinemuseum
In Saint-Etienne, der wohl ältesten Kirche von Honfleur, gegenüber dem Vieux Bassin, ist heute das Marinemuseum untergebracht. Eine bedeutende Sammlung von Schiffsmodellen, Stichen und anderen Objekten, die mit dem Meer zu tun haben.

Honfleur – zu Fuß
Häuser in Specksteinbauweise, das alte Gefängnis, Fachwerk, Kunst …
(Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!)


Honfleur – und die Kirche Sainte-Catherine
Die wohl größte der selten erhaltenen Holzkirchen Frankreichs ist die Kirche Sainte-Catherine in Honfleur, die auf dem gleichnamigen Platz steht. Sie besitzt einen separaten Glockenturm und wurde, nach dem Abzug der Briten, in den Jahren 1468 – 1496 in Eigenregie von den Einwohnern und ansässigen Schiffsbauern (mit Holz aus dem Wald Touques) errichtet. Die Dachkonstruktion gleicht Schiffsrümpfen, bemalte Glasfenster und Kunstwerke komplettieren das interessante Bauwerk. Das seit 1879 unter Denkmalschutz stehende Gebäude zog die Aufmerksamkeit vieler Archäologen und Historiker auf sich.

Mit einem letzten Gruß aus dem schönen Honfleur bedanke ich mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit!



Normandie: Dieppe – seine Korsaren und Elfenbeinschnitzer

Dieppe – der Name und die Geschichte

Der Name Dieppe leitet sich aus dem angelsächsischen “deep” (tief) her, was die zwischen steilen Kreidefelsen eingebettete Lage beschreibt.
Die Stadt hat knapp 30 000 Einwohner und liegt im Département Seine-Maritime in der Region Normandie. Dieppe markiert den Beginn eines Küstenabschnitts, den man aufgrund der braungoldenen Farbtöne der Kreidefelsen, die sich hier auftürmen, “Côte d’Albâtre” nennt, die “Alabasterküste”.


Es waren die normannischen Könige Englands, die Dieppe zu einem wichtigen Hafen ausgebaut haben, womit diese Stadt, wie das bretonische Saint-Malo, zu einem Ausgangspunkt für Entdecker, Korsaren und reiche Handelsherren wurde.
Als ältestes Seebad an der Kanalküste konnte sich Dieppe zu allen Zeiten auch mit illustren Gästen schmücken: Wilhelm der Eroberer, Franz I., die beiden Kaiser Napoleon waren ebenso hier zu Gast wie die englischen Könige Johann Ohneland und Eduard VII. Erwähnt werden auch andere berühmte Zeitgenossen, z.B. Châteaubriand, Monet, Renoir, Pissarro, Oskar Wilde und Winston Churchill, die sich gerne in Dieppe sehen ließen.

Im Zweiten Weltkrieg (am 19.8.1942) versuchten die Alliierten Truppen am Strand von Dieppe zu landen. Die Stadt war zu diesem Zeitpunkt von deutschen Truppen besetzt. Fast Tausend Soldaten (darunter über 900 Kanadier) fielen, ungefähr 2000 kamen in deutsche Kriegsgefangenschaft.

Dieppe – und seine Korsaren

Im Jahr 1523 kaperte Jean Florin (oder Fleury), Kapitän der Seeräuberflotte des Reeders Jean Ango aus Dieppe, vor dem Kap Saint-Vincent eine Galeone, die den „Schatz des MOCTEZUMA“ nach Spanien brachte, den Cortez Karl V. schickte …”
“Ein anderer Hugenotte, Guillaume Le Testut, Mitglied der Kartographieschule in Dieppe, verbündete sich im März 1573 (oder 1572) mit dem berühmten englischen Kapitän Francis Drake. Sie bemächtigten sich eines beträchtlichen Gold- und Silbertransports aus Peru …”
(Thierry Durand-Gasselin)
Nun, vielleicht gibt es noch weitere spannende Geschichten um die Diepper Korsaren, wer weiß! 🙂

Fakt ist, dass von Dieppe aus, im 15. und 16. Jahrhundert, die Kapverdischen und die Kanarischen Inseln, Brasilien und Florida erfolgreich angesteuert, besiedelt und teilweise in Besitz genommen wurden.

Dieppe – und seine Elfenbeinschnitzer

Berühmt ist Dieppe auch für seine Arbeiten einheimischer Elfenbeinschnitzer vom 16. – 19. Jahrhundert.
Die Sammlung (Museum im Château de Dieppe) gilt weltweit als die wichtigste ihrer Art. Eines der wertvollsten Stücke ist ein Dreimaster, bei dem sogar die Segel aus Elfenbein geschnitzt sind. Der Ruf der Elfenbeinschnitzer von Dieppe war so legendär, dass ihnen fast alle Arbeiten am Hof Ludwigs XIV. übertragen wurden. Kein Wunder, dass bald das Gerücht umging, der Erfolg beruhe auf einem sorgsam gehüteten “Geheimverfahren zur Erweichung des harten Materials” vor der Bearbeitung. 🙂

Dieppe – die Kathedrale

Die Kathedrale Saint-Jacques wurde im 13. Jahrhundert, im gotischen Stil, an der Stelle einer der Heiligen Katharina geweihten romanischen Kapelle errichtet, die im Jahr 1195 während der Auseinandersetzungen zwischen Richard Löwenherz und Philippe-Auguste abbrannte. Saint-Jacques gilt heute als das “Herz” der Stadt. Von der alten Kapelle sind nur die Basen der Querschiffe und die beiden Portale erhalten geblieben, die allerdings durch Vorbauten stark verändert wurden.
Der Neubau dauerte bis ins 15. Jahrhundert, wurde von verschiedenen “See-Bruderschaften” unterstützt und mit dem 42 m hohen, dreigeschossigen herrlichen Südwestturm (Flamboyant-Stil, Foto unten) abgeschlossen. Der im großen Foto sichtbare Kuppelturm stammt aus dem 18. Jahrhundert.

Das untenstehende Gemälde “Die Kirche des Heiligen Jacques in Dieppe in der Morgensonne” stammt vom Maler Camille Jacob Pissarro. Er hat es im Jahr 1901 gemalt.

  • Gemälde Pissarro 1901
  • Ansicht der Kathedrale, Foto HLK aus 2012

Dieppe – der Strand
Mit einem Foto, das den berühmten Strand von Dieppe zeigt, schließe ich diesen Artikel. Danke für Ihr Interesse!