Ille-sur-Têt und König David

Ille-sur-Têt (auf Katalanisch Illa) ist eine lebendige französische Gemeinde im Département Pyrénées-Orientales in der Region Languedoc-Roussillon. Der Ort hat ca. fünftausend Einwohner und liegt am Fuße der Pyrenäen, südlich der Têt, etwa 25 km westlich von Perpignan – und mitten im Zentrum des Pfirsichanbaus.
(alle Fotos HLK, 2013 bzw. 2008)

Unübersehbar ist die Kirche St. Etienne, 17. Jh. Sie steht im Ortszentrum, auf dem Platz ihrer romanischen Vorgängerkirche, von der es kaum noch Spuren gibt. Nur der imposante Turm (ein sog. “lombardischer” Turm) stammt noch aus dem Mittelalter und evtl. verschiedene Skulpturen, die man im Außenbereich der Kirche wieder angebracht hat, z.B. dieses alte Sonnensymbol:

Tausendfünfhundert Gläubige haben Platz in diesem Gotteshaus: Ein Schiff mit zwölf Kapellen und Seitenaltären.

Wie viele alte Kirchen (z.B. Limoux NDdM) – hat man auch den Vorgängerbau von St. Etienne in der Nähe eines Brunnens errichtet. Das deutet auf ein noch viel älteres, heidnisches Heiligtum hin (Brunnenheiligtum?), das sich dort einst befand.
Der “Font de la Vila”
ist noch heute zu besichtigen.

Am Eingangstor und auf den Stufen rosa Marmor, der aus dieser Gegend stammt und zwar aus Bouleternère. Fassade und Pfeiler sind aus Granit von Nefiach.

Innen und Außen ist viel Barock zu sehen. Nachstehend der Heilige Etienne (Stefan). Die roten Säulen sind aus Marmor von Caunes.

Dieses prachtvolle Fenster zeigt das Wappen/ die Flagge von Ille-sur-Têt:

Zur Baugeschichte: Die Stadtgemeinschaft von Ille-sur-Têt erhob im 17. Jahrhundert, zur Bauzeit dieser Kirche, eine eigene Steuer, um die nötigen Gelder zusammenzubringen. Verschiedene BRUDERSCHAFTEN (Sanchbrüder) – sowie Einzeltestamente von Mäzenen aus dem Bürgertum – trugen ihr Scherflein zum Bau bei.

Das Gemälde Kreuzabnahme, im nächsten Foto links, scheint eine Replik des Malers Tournier zu sein (?), das Original hängt in Toulouse.

Nachstehend einer der vielen Altäre:

König David

Und hier stieß ich auf eine ganz außergewöhnliche, vergoldete Figur, die David mit der Harfe darstellt. Der zweite König von Juda und Israel (nach König Saul), soll ein großer Sänger und Dichter gewesen sein (Psalmen). Er lebte um 1000 vor Christus.

(Anmerk.: Eine vergleichbare Statue steht in Jerusalem in der Nähe von Davids Grab auf dem Zionsberg. Diese wurde aber erst 2008 erstellt. )

Dass hier, wie in vielen Orten Kataloniens, Sanch-Prozessionen in der Karwoche stattfinden (in Ille-sur-Têt am Gründonnerstag!), davon zeugt auch dieses große Outragekreuz mit den Folterwerkzeugen. Im Hochmittelalter nannte man sie “Die Schwarzen Kreuze”.

Besondere Verehrung scheint in Ille-sur-Têt der berühmte Pfarrer von Ars zu erfahren, mit bürgerlichem Namen Jean Marie Vianney. Sein Leben wurde von dem französischen Autor Georges Bernanos (1888-1948) beschrieben, dem mit seinem Debütroman “Die Sonne Satans” der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Bernanos galt fortan als Vertreter des neuen theologischen Romans. Seine Stoffe beschäftigen sich mit der Stellung des Menschen zwischen Gut und Böse, zwischen göttlicher und teuflischer Macht. Das Buch wurde verfilmt.

Auch ein deutscher Autor – Walter Nigg –  hat sich mit dem Pfarrer von Ars beschäftigt:Von Reise zu Reise bewahrheitet sich für mich eines immer mehr: In Südfrankreich muss man in alle Ecken gucken, selbst in die finstersten! Hilfreich ist dabei eine kleine Taschenlampe, denn die Lichtschalter in den alten Kirchen befinden sich oft an den ungewöhnlichsten Stellen.

Auch in Ille-sur-Têt hat sich meine Neugierde ausgezahlt:  In der Nische einer abseits gelegenen, dunklen Seitenkapelle entdeckte ich eine der ROMANISCHEN MADONNEN  (Schwarze Madonnen), denen ich seit Jahren hinterherlaufe. Von ihrer Existenz in St. Etienne hatte ich nichts geahnt. Umso größer war natürlich meine Freude.

Ein alter Kult

Später fand ich heraus, dass in Ille-sur-Têt ein alter örtlicher Kult der NOSTRA SENIORA DE LA LLUNA existierte (Lluna = Mond) – vielleicht in Verbindung mit dem schon erwähnten Brunnenheiligtum?


Die Herrin vom Mond also. Eine Mondgöttin? Ganz sicher ein Hinweis auf ältere Glaubenskulte in der Gegend, s. auch meinen Artikel über Mirepoix – die Stadt der Belisama. Heute haben die alten Göttinnen keine Daseinsberechtigung mehr. Für sie balanciert längst munter die Muttergottes auf der Mondsichel, z.B. in Paris, Notre Dame:

Die Orgelpfeifen

Die wohl größte (und älteste) Sehenswürdigkeit in der Umgebung von Ille-sur-Têt sind die sog. Orgues: Es handelt sich um Sandsteinfelsen aus dem Pliozän im Tertiär. Der Fluss Têt hat das Material aus den Pyrenäen hier abgelagert. Die Orgues sind – wie die alten Götter –  dem Untergang geweiht, denn die Erosion hält noch immer an:

Danke für die Aufmerksamkeit!

Helene L. Köppel

Boule d’Amont und die Gekreuzigte Frau

Boule d’ Amont

Auf meiner Pyrenäenreise im Jahr 2013 verschlug es mich u.a. in den kleinen Ort Boule d’Amont  (Département Pyrénées-Orientales, Nähe Prades). Dieser Ort war bereits in der Jungsteineit bewohnt. In der Nähe gibt es Dolmen und Menhire.
Die im Ortskern stehende Pfarrkirche Saint-Saturnin stammt aus dem 11. Jahrhundert, sie wurde 1972 in das Zusatzverzeichnis der Monuments historiques eingetragen.

In dieser Kirche entdeckte ich sonderbare Dinge – doch alles der Reihe nach. Zuerst treten Sie bitte ein …

Beginnen wir mit Gott Vater, der sich hier im Kopfschmuck des Sol invictus zeigt. Auf Sonnensymbole trifft man in den Pyrenäen häufig.

Auch Maria, die Himmelskönigin, wird in Südfrankreich gern als Sonnenkönigin dargestellt – hier mit Strahlenkranz und prachtvollen Ohrgehängen:

Die “üblichen Verdächtigen” (Antonius von Padua, St. Germaine usw.), die man in fast allen Kirchen Frankreichs findet, stelle ich in diesem Beitrag nicht vor, dafür die berühmte und hochverehrte “Madonna von den Treppen” – (die ich an diesem Tag vergeblich im Kloster Marcevol gesucht hatte; die Madonnen befinden sich leider nicht immer dort, wo sie eigentlich hingehören).

Aber da war sie nun endlich, in Boule d`Amont, gut gesichert hinter Glas:

(Nachstehend oder besser “sitzend”: Notre Dame de las Gradas, 11. Jh, romanische Sitzmadonna, Foto HLK.)

Eine weitere spannende Entdeckung in Boule d`Amont:

Jahrelang suchte ich nach ihr, deshalb freute ich mich unbeschreiblich, als ich im Juni unverhofft auf sie stieß:

“Notre Dame de Vie” (Unsere Frau vom Leben)

Ich wusste, dass es sie gab, doch wo? Das Vertrackte bei meiner Suche war gewesen, dass auch etliche Romanische Madonnen diesen Namen tragen, z.B. in Villefranche de Conflent. Mein Interesse galt aber einer ganz besonderen “Dame vom Leben”, einer ländlich-rustikalen Pyrenäenmadonna – wie ich sie nun zufällig in Boule d`Amont fand.

Die Figur mutet androgyn an. Spontan erinnerte ich mich an die Offenbarungsrede auf dem Nag Hammadi-Papyrus, in der eine weiblich-männliche Allgöttin spricht:
“Ich bin das Haupt des Alls, die ich vor einem jeden da bin .. ich bin es, der das Wasser hervorsprudeln ließ”

(s. auch “Die Affäre C.“)

Mein Interesse an dieser Madonna hängt – wie soll es anders sein – mit meiner Arbeit zusammen, der Schriftstellerei – und hier insbesondere der Cagotenforschung (Cagots = eine noch im 19. Jh verachtete Pyrenäenpopulation). Mein dritter Thriller “Talmi” beschäftigt sich im historischen Part mit diesen Cagoten. Deshalb möchte ich hier nichts verraten. Es war jedenfalls ein unbeschreibliches Gefühl für mich, als ich die Inschrift unter den Füßen dieser sonderbaren Madonna entdeckte:
Notre Dame de Vie.


Und nun zur Gekreuzigten Frau:

Es gibt sie, die Gekreuzigten Frauen, aber ich selbst hatte noch kein Abbildnis vor Ort gesehen. In den meisten Fällen handelt es sich wohl um die Heilige Kümmernis  (auch St. Wilgefortis genannt). Vom eigenen Vater (König) gezwungen, einen Heiden zu heiraten, erflehte sich die junge Christin von Gott einen Bart. Ihr Wunsch ging in Erfüllung – worauf der wütende König sie ans Kreuz nageln ließ. Soweit die Legende.

Ergänzend ist zu sagen, dass die Heilige Kümmernis in der Mythologie als Nachfahrin einer keltischen Baumgöttin gesehen wird, die einst am Querholzbaum gebunden im Wald hing – was jedoch die Kirchengeschichte nur ungern zugibt.

Eine Frage bleibt wohl für immer offen – Die goldene Kümmernis, die in Boule d’Amont ausgestellt ist, trägt KEINEN BART – hängt aber dennoch am Kreuz. Eine französische Variante der Legende? Nun, vielleicht bekomme ich es eines Tages noch heraus!

Diese gruselige Story kann man übrigens auch in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm nachlesen: “Die Frau Kümmernis”.

 

Der österreichische Dichter, Avantgardist, Naturforscher und Sprachkundler Bodo Hell ( geb. 1943 in Salzburg ) hat ein Gedicht über die Kümmernis geschrieben, das ich irgendwann zufällig in “KUNSTUNDKULTUR” gefunden habe.

Ein kleiner Auszug:

Frau Kümmernis
wie schön gewandet stehst du da
samt deinen güldnen Schuhen,
die Hände flach ans Holz gespießt
hast keine Zeit zum Ruhen …”

Ich danke herzlich für Ihr Interesse!

Helene L. Köppel

LESEN HÄLT WACH – garantiert!

 

 

 

 


Saint-Genis-des-Fontaines

Der beschauliche Ort Saint Genis des Fontaines (2800 Einwohner) liegt ca. 17 Kilometer von Spanien entfernt, am Fuße der Albères-Berge –  also zwischen Pyrenäenausläufern und Meer (Côte Vermeille).

Die Kirche mit ihrem lombardischen Turm, ist absolut sehenswert. Sie gehört zu einer vor dem Jahr 819 gegründeten ehemaligen Benediktinerabtei. Der Neubau wurde im Jahr 1153 eingeweiht.

Mir kam es bei meinem ersten Besuch – bei dem es nicht blieb! – auf den berühmten “Türsturz” an, von dem ich gelesen hatte, und von dem es hieß, er sei der erste seiner Art in ganz Frankreich. Dieses Basrelief stellt tatsächlich die früheste plastische Darstellung romanischer Kunst dar. Es ist aus  Marmor, 2,40 m breit  und 0,75 m hoch.

Zum genaueren Betrachten des Türsturzes von Saint-Genis-des-Fontaines  eine  weitere Abbildung, die ich eingescannt habe (aus  Les Symboles, mémo gisserot, Editions Jean-Paul Gisserot, 2008):

In der Mitte (in einer Mandorla) ein segnender Christus – Majestas Domini -, flankiert vom griechischen Alpha und Omega und getragen von zwei Engeln. Seitlich je drei Apostel. Die Umrahmung: mozarabische Palmettenornamentik.

Im Juni 2013 hatte ich dann eine bessere Kamera dabei und versuchte selbst mein Glück:

Die Werkstatt dieses Türsturzes soll im spanischen Teil der Pyrenäen gelegen haben. Ähnliche, wenngleich jüngere Werke finden sich nämlich im benachbarten St. André, in Arles-sur-Tech und im ehemaligen Kloster zu Roda. (Beiträge zu St. André und Arles-sur-Tech folgen)

Die nachträglich (um das Jahr 1020) eingefügte Inschrift des Basreliefs lautet: ANNO VIDESIMO QUARTO REGNANTE ROTBERTO REGE WILLELMUS GRATIA DEI ABBA ISTA OPERA FIERI IUSSIT IN ONORE SCI GENESII CENOBII QUE VOCANT FONTANAS.

Übersetzt: “Im vierundzwanzigsten Jahr der Regentschaft des Königs Robert befahl Guillaume, Abt von Gottes Gnaden, dass dieses Werk geschaffen werde zu Ehren des heiligen Genis (Genesius), genannt “von den Quellen”.

(Gemeint ist der Kapetingerkönig Robert der Fromme; ein Gemälde, das ihn zeigt, hängt in der Bibliothèque nationale de Paris):

Die Epitaphe mit Inschriften neben dem Eingang zur Abteikirche Saint Genis …

Links vom Eingang zwei Epitaphe, zum einen zur Erinnerung an den verstorbenen Klosterbruder Berenguer (+ 1307) und seiner Schwester Mathia; zum anderen an einen gewissen Dulce de Mont-Roig (+1271)

Rechts zwei weitere Epitaphe, die an den Klosterbruder Miguel Mesner (+1307) erinnern und an Ramon de Pollestres.

Der heutige Kreuzgang stimmt mit dem, der im 13. Jahrhundert neu erbaut wurde, nur weitgehend überein, wie man gleich hören wird …

Im Jahr 1507 wurde das Kloster Saint-Genis dem Kloster Montserrat angeschlossen. Die letzten Mönche verließen es jedoch erst im 18. Jahrhundert, in den Jahren der französischen Revolution, worauf die ursprüngliche Abteikirche 1846 zur Gemeindekirche Saint-Michel wurde.

Jetzt zum Schicksal des Kreuzgangs:

Bis zum Jahr 1913 blieb der mittelalterliche Kreuzgang weitgehend erhalten, obwohl er unter zwei bis drei Besitzern aufgeteilt war, die darin Wohnungen eingerichtet hatten und Landwirtschaft betrieben. Dann jedoch begab er sich unfreiwillig auf Wanderschaft:

DIE dreiteilige ODYSEE des Kreuzgangs von Saint-Genis-des-Fontaines  

Teil I – auf hoher See

Erste Auflösungserscheinungen zeigten sich ab dem Jahr 1913: Das Brunnenbecken, das den Hof des Kreuzgangs zierte, wurde verkauft. Lange Zeit wusste man nicht, wohin, bis man es wiederentdeckte – und zwar im Kreuzgang von Saint-Michel de Cuxa, der – wie übrigens auch der Kreuzgang von Collioure – nach Amerika verkauft und dorthin verschifft worden war.

Teil II – aus eins mach zwei

Elf Jahre später, im Jahr 1924, erwarb der geschäftstüchtige Antiquitätenhändler Paul Gouvert den (brunnenlosen) Kreuzgang von Saint-Genis, um damit das Heim eines vermögenden Schlossbesitzers zu verschönern. Dabei brachte er das Kunststück fertig, aus dem einen Kreuzgang zwei kleinere zu machen. Das zweite Objekt ging an das  Philadelphia Museum of Art. Am Schluss des lukrativen Deals überließ Gouvert großmütig (und sich vermutlich die Hände reibend) zwei Arkaden dem Louvre.

Teil III  – die glückliche Rückkehr

Erst als sich der private Eigentümer im Jahr 1982 einverstanden erklärte, “seinen” Kreuzgang an den Staat zu verkaufen, kam der “Stein” (im wahrsten Sinne des Wortes) wieder ins Rollen. Bei den Demontagearbeiten entdeckte man auf den Steinen der Säulen bestimmte Setzvermerke, die die Echtheit des Kreuzgangs und seine Herkunft bestätigten. Ähnliche Vermerke befanden sich auch auf den beiden Arkaden im Louvre, die daraufhin ebenfalls demontiert und nach Saint-Genis zurückgebracht wurden. Kopiert wurden lediglich die in den USA befindlichen Teile. Die gesamte Restaurierung des Kreuzgangs von Saint Genis wurde erst 1994 abgeschlossen.

 Interessante Säulenkapitelle aus verschiedenfarbigem Marmor …

Der weiße Marmor kommt aus der Gegend von Ceret, der roséfarbene aus Villefranche de Conflent und der schwarze aus Baixas.

Nun einige Impressionen aus dem Inneren der Kirche:

  Eine der hochverehrten Monserrat-Madonnen:Wer sich hinter der nächsten Figur verbirgt, erschließ sich mir leider bis heute nicht …

Der Heilige Judas – in der Ecke stehend:

Mein Favorit in Saint-Genis ist eine mannshohe Schwarze Witwe (Nostra Senyora Dels Dolors – schmerzensreiche Jungfrau) – die schönste, die mir bislang in den Kirchen Südfrankreichs begegnete …

… thematisiert in “Die Affäre C.” (Thriller, E-book)

Auszug: “Sieh nur, Sandrine, die ersten Schwarzen Witwen”, raunte mir Henri unauffällig zu. Und tatsächlich: Wie von Zauberhand waren sie aufgetaucht, halbmannshohe Puppen in Trauer gekleidet, das Haupt verhüllt mit einer Spitzenmantille, sieben silberne Schwerter auf der Brust aufgenäht … “Nostra Senyora Dels Dolors. Unsere schmerzensreiche Frau … Vor einem Antiquitätengeschäft in der Rue St. Vincent stand eine besonders schöne Witwe, eingerahmt von zwei weißen Stehlampen und zusätzlich mit einem Spot in Szene gesetzt. Wir traten näher. Ein schmales, edles, sehr junges Gesicht unter der schwarzen Mantille, die Hände zum Gebet gefaltet, jedoch mit auffällig rot gefärbten Lippen. Vor ihr, auf einem schwarzen Polster liegend, der tote Jesus, ihr göttlicher Sohn. “Dass man die Muttergottes schminkt und als Witwe verkleidet, habe ich noch nirgends gesehen”, sagte ich. “Es handelt sich nicht um die Muttergottes, auch wenn man den Anschein erweckt.” Henri senkte seine Stimme. “In Wirklichkeit steht hier Maria Magdalena, die um ihren Gatten Jesus trauert. Der Tod eines Kindes macht schließlich keine Mutter zur Witwe!”

Hier eine Aufnahme vom Juni 2013:

Sie altert nicht, sie wird von Jahr zu Jahr schöner! 🙂

Um wen es sich bei der schönen Witwe von Saint-Genis mit den roten Lippen auch immer handelt – Maria Magdalena fand ich ganz in ihrer Nähe, und zwar auf einem Gemälde …

Und ein weiteres Mal auf einer Kreuzweg-Station:

Einer der Altäre – und nachstehend ein wunderschöner, alter Taufstein, natürlich romanisch, aus dem 12. Jahrhundert:


Noch eine letzte Anmerkung zu “Saint Genis” – es handelt sich um den Heiligen Genesius von Rom (um 305). Er war ein christlicher Märtyrer und galt als Patron der Schauspieler, Künstler, Tänzer und Spielleute. Deshalb wird er in der Kunst oft mit einem Saiteninstrument, mit einer Maske oder einem Taufstein dargestellt.

Rennes-le-Château – Die Wahrheit hinter den vielen Legenden

Pressebericht Schweinfurter Tagblatt am 14. Juni 2012 (von Hannes Helferich)

SCHWEINFURT
Die Wahrheit hinter den vielen Legenden

Autoren lüften Südfrankreichs Geheimnisse – Helene Köppel dabei

  •  „Pommes bleues“-Treffen in Schweinfurt: Die Mitglieder aus Deutschland, den Niederlanden, Italien, Frankreich, Schweiz und Österreich beschäftigen sich seit Jahren mit den Geheimnissen Südfrankreichs. Hintere Reihe von links: Markus Menzendorff, Erik van Leenders, Stefan Köppel (Administrator), Olaf Jacobskötter, Erich Limmer, vorne von links: Hannes Stuber, Jürg Caluori, Helene Luise Köppel, Marion Boskemper und Thorsten Stute.
    Foto: Köppel
 
 Nach einem ersten Treffen im September 2005 und weiteren Konferenzen in Frankfurt, München und im französischen Rennes-les-Bains hat nun bei der Schweinfurter Autorin Helene Köppel ein zweites Arbeitstreffen der inzwischen auf fünfzehn Mitglieder angewachsenen Internet-Gruppe „Pommes bleues“ stattgefunden.

Die Mitglieder aus Deutschland, den Niederlanden, Italien, Frankreich, Schweiz und Österreich beschäftigen sich seit Jahren mit den Geheimnissen Südfrankreichs. Sie tauschen Erkenntnisse aus, stöbern in Archiven, analysieren alte Schriftstücke, „versuchen Irrtümer auszuräumen, um die Wahrheit hinter der Legende zu finden“, beschreibt die Oberndorfer Buchautorin das Tätigkeitsfeld der Gruppe.

Helene Köppel hat sich mit ihren Romanen über die Katharer einen Namen gemacht. Kürzlich legte sie einen Kriminalroman vor, ebenfalls in Südfrankreich angesiedelt. In „Die Affäre Calas“ geht es um eine Erbschaft, ein dunkles Familiengeheimnis und eine geheime Bruderschaft. Der Roman beruht zum Teil auf historischen Fakten, einem jeweils ungeklärten Justizfall Calas und Unglücksfall in einer Chemiefabrik, ebenfalls in Toulouse.

Beim aktuellen Treffen der internationalen Internet-Gruppe spielte der Ort Rennes-le-Château eine Hauptrolle. Das kleine Pyrenäennest, in dem sich auch schon François Mitterrand (1981) umgesehen habe, hat die Gruppe „gewissermaßen zusammengeführt“, erinnert Köppel. „Der Anfang des Mythos’, mit dem wir uns hauptsächlich beschäftigen, geht auf eine Geschichte aus dem 17. Jahrhundert zurück“, schildert die Schriftstellerin.

Im Jahr 1653 soll der Schafhirte Ignac Paris auf der Suche nach einem verlorenen Schaf eine Höhle entdeckt haben, in der ein Schatz lag. Er stopfte seine Taschen mit Goldstücken voll und präsentierte sie im Dorf. Der damalige Herr von Rennes-le-Château, Baron Blaise d’Hautpoul, zitierte ihn zu sich, wollte den Fundort wissen. Der Schäfer weigerte sich angeblich – und wurde zum Tod verurteilt. Es stellt sich jedoch die Frage, ob er nicht doch vor seinem Tod gesprochen hat und als Mitwisser beseitigt wurde.

Heute verdanke Rennes-le-Château seine Bekanntheit alten Pergamenten und einem Schatz, der 1887 vom örtlichen Priester Bérenger Sauniere entdeckt wurde. Gleich, woher der Schatz stammte (Westgoten, Katharer, Tempelritter): Der Fund machte den Priester reich – und löste eine Lawine weiterer Entdeckungen, Enthüllungen und Veröffentlichungen aus.

Köppel schrieb darüber 2003 den Roman „Die Erbin des Grals“ (auch als Kindle E-book unter dem Titel „Marie …“ erhältlich ). Ihre Freunde Sabina Marineo, Udo Vits und Olaf Jacobskötter verfassten mehrere Sachbücher, weitere Autorenkollegen wichtige Abhandlungen davon. Sabina Marineo, die beim diesjährigen Treffen nicht teilnehmen konnte, schreibt zur Zeit über Rennes-le-Château in ihrem jüngsten Sachbuch: „Stück um Stück zeigt sich das Dorf als die Spitze eines inzwischen hohen Berges, der aus politischen Intrigen, historischen Tatsachen und mythologischen Erzählungen besteht.“

Für Köppel steht fest: Das Geheimnis ist wesentlich komplexer, als es beispielsweise in TV-Sendungen dargestellt werde. Es sei durchsetzt von Fälschungen, merkwürdigen Funden, Inschriften, sonderbaren Andeutungen – und natürlich auch von der Symbolik, mit der Bérenger Sauniere seine Kirche versehen hat. Aber auch ein altes Grabmal spielt im Geheimnis von Rennes-le-Château eine Rolle.

Gemeinsames Ziel der Autorengruppe ist laut Helene Köppel, „die Spreu vom Weizen zu trennen, herauszufinden, was hinter den Kulissen vorging, als gewisse klerikale Kreise aus dem Languedoc sowohl im 16. als auch im 19. Jahrhundert zu plötzlichem Reichtum kamen“. Die Mitglieder wollten herausfinden, wer die Fälschungen zu verantworten hat, die mit den ersten Büchern über das Geheimnis von Rennes-le-Château (1960er Jahre) zum Vorschein kamen. „Ob uns unsere Suche irgendwann zum Ziel führt, ist dabei unwesentlich“, sagt Köppel. Es mache einfach Spaß, „sich mit guten Freunden auf den Weg dorthin zu machen“.

Übrigens: Der harte Kern der frankophilen Forscher und Autoren kennt sich heuer seit zehn Jahren. Der runde Geburtstag wurde in Schweinfurt begossen – mit fränkischem Spätburgunder und französischem Blanquette aus Limoux.

 
Von unserem Redaktionsmitglied Hannes Helferich
 
 

   

Aktualisiert mit Fotos aus dem Jahr 2017, nach der Zerstörung des Asmodi, am Eingang der Kirche, und dem Attentat auf das Magdalenen-Bild unter dem Alter, am 23. April 2017:

Saint-Gilles du Gard

Ein stiller Ort in Okzitanien

Im Mai/Juni 2009 führte mich meine Recherchereise auch nach Saint-Gilles du Gard. (Département Gard, Region Okzitanien)
Es war mein zweiter Besuch in diesem stillen Ort, nachdem beim ersten Mal die Besichtigung der berühmten Abteikirche nicht möglich war.

 

Im 11. Jh war die Basilika Saint-Gilles eine der meist besuchten Pilgerstätten neben Jerusalem, Rom und Santiago de Compostela – was an der Verehrung des Heiligen Aegidius (Saint-Gilles) lag. 

Der Heilige, der auch in der Legenda aurea erwähnt wird, hat hier im 8. Jahrhundert gelebt und gewirkt. Er entstammte einer berühmten Athener Familie, war ein Freund der Armen und tat sich durch Wunder hervor. Schon zu Lebzeiten galt er als heilig.

Und so soll er ausgesehen haben, der Heilige Aegidius oder Gilles:

 

Die nördliche u. südliche Mauer der BASILIKA stammen aus dem 12. Jh, wie auch die gesamte Portalanlage.  Ihre Gliederung – vom römischen Triumphbogen inspiriert, wie auch die Anordnung der Säulen, Figuren, Friese,  verdeutlicht, wie sehr die Kunst der Provence dem antiken Erbe verpflichtet war.

 

Während der Religionskriege wurde der zerstörte Chor aufgegeben. Die Reste des romanischen Schiffes wurden – von der Höhe der Arkaden ab – um 1650 zu einer Kirche im spätgotischen Stil ausgebaut.
Im Inneren sind viele Sehenswürdigkeiten aus dem 18. u. 19. Jh. zu bestaunen.

Mich interessierte vor allem die KRYPTA (Romanrecherche für “Alix – Das Schicksalsrad”)
Steil ging es hinunter:

 

Königlicher Empfang: Der Heilige Ludwig (Ludwig IX, Kapetinger):

 

Unzählige dunkle Ecken und alte Grablegen  – der Ort, in dem die Pilger im Mittelalter für gewöhnlich die Nacht verbrachten, bevor sie am nächsten Morgen weiterzogen …

 

Natürlich ruhen hier auch die Gebeine des Saint-Gilles …

 

Sein Steinsarg wurde 1865 von Abbé Goubier wiederentdeckt. Er trägt folgende Inschrift:

IN H TML QI
C B AEGD

“In hoc tumulo quiescit corpus beati Aegidii” – In diesem Grab ruht der Körper des glückseligen Aegidius.

Sofort nach seinem Tod im Jahr 732 pilgerten die ersten Gläubigen aus aller Herren Länder hierher. Saint-Gilles du Gard wurde Zwischenstation auf dem Weg nach Santiago de Compostela.

Der Zugang zu einem alten Brunnen (evtl. heilige, heidnische Quelle):

 

Nachstehend die sog. Äbte-Treppe, mit der es natürlich eine Bewandtnis hat:

 

Diese Treppe wurde im Jahr 1220 aus einem bestimmten Grund angelegt, nämlich um Klerikern einen eigenen Zutritt zum Grabmal des päpstlichen Gesandten Peter von Castelnau zu verschaffen – dessen Ermordung im Jahr 1208 den Anlass zum Kreuzzug gegen die Katharer gab.

Castelnau, mit weitreichenden Vollmachten ausgestattet, war von Papst Innozenz III. beauftragt worden, die Katharer in Südfrankreich zu bekehren. Als er jedoch erfuhr, dass ihm der Graf von Toulouse seine Unterstützung verweigerte, exkommunizierte er ihn und verfluchte ihn mit folgenden Worten:

Der Christenheit zur Schmach verleiht Ihr öffentliche Ämter an Juden

und haltet es mit den Feinden des wahren Glaubens.

Wer Euch beraubt, hat gut getan;

wer Euch tödlich trifft, wird gesegnet sein!

 

Doch im nasskalten Morgennebel des vierzehnten Januar 1208 wurde Peter von Castelnau selbst tödlich getroffen! Seine Begleiter hatten sich gerade bereit gemacht, über den Fluss zu setzen, als sich von hinten ein schneller Reiter näherte und mit aller Kraft eine Lanze in den Rücken des Legaten schleuderte. Im Todeskampf, so erzählte Rom später, soll sich Castelnau, noch einmal aufgebäumt und gerufen haben: „Gott vergebe dir, wie ich dir vergebe!“

 

Das nächste Foto zeigt Castelnaus Grablege, die wie gesagt, auch über die geheime Äbte-Treppe erreichbar war. Seine Gebeine sollen sich noch bis Mitte des 16. Jahrhundertes hier befunden haben, später wurden sie angeblich von den Hugenotten verbrannt.

 

Nach Castelnaus Tod rief Papst Innozenz III. zum Kreuzzug gegen die Katharer auf und forderte die vollständige Unterwerfung des Grafen von Toulouse – sowie als Unterpfand für seinen guten Willen seine sieben wichtigsten Festungen und die nördlich von Montpellier gelegene Grafschaft Melgueil. Raymond sollte sich verpflichten, die Häretiker mitsamt ihrem Besitz den Kreuzfahrern auszuliefern, und alle Juden aus ihren Ämtern zu entlassen.

Was keiner erwartet hatte, traf ein:
Der Graf von Toulouse – obwohl er stets seine Unschuld beteuerte! – streckte die Waffen und stimmte einer öffentlichen Unterwerfungszeremonie zu (was er später allerdings schwer bereute!)

So kam es, dass im Jahr 1208 die halbe Welt nach Saint-Gilles – den Schauplatz des Attentats auf Peter von Castelnau – pilgerte, um einer bösen Demütigung beizuwohnen, die sich auf den Stufen der Basilika und vor seinem Grab abspielte:

 

 

(Nachfolgend Romanauszug aus “ALIX” – Das Schicksalsrad, Copyright HLK):

“Der Platz vor der Basilika des Heiligen Ägidius war schwarz von Menschen.

Mit nacktem Oberkörper und bloßen Füßen stand der Tolosaner vor der breiten Treppe, um auf die Legaten Roms, die Erzbischöfe und Bischöfe zu warten. Als sie kamen, trugen sie Ruten in ihren Händen. Sie geleiteten ihn zur mittleren der drei roten Portaltüren hinauf, die ins Innere der Basilika führten. Auf ein Zeichen hin begannen sie ihn zu züchtigen, bis ihm das Blut den Rücken hinablief. Kein Klagelaut war zu hören, doch im stolzen Antlitz des weißhaarigen Grafen stand die Abscheu vor diesem entwürdigenden Ritual.Als sie ihn genug geschlagen hatten, hießen sie ihn sowohl auf den Leib Christi als auch auf diejenigen Heiligenreliquien schwören, die sie in goldenen Kistchen und Schreinen mit sich führten. Raymond von Toulouse gelobte mit lauter Stimme, fortan den Befehlen der Heiligen Römischen Kirche in allem zu gehorchen, und anerkannte die fünfzehn Anklagepunkte, die man gegen ihn vorgebracht hatte.

Doch damit war es noch nicht vorüber. Gleich einem Halfter, legte man ihm eine weiße Stola um den Hals und zerrte ihn unter weiteren Rutenhieben wie ein wildes Tier in die Krypta hinunter, wo der ermordete Peter von Castelnau lag. Dort musste er sich entkleiden und dem toten Legaten seine Verehrung erweisen. Auch das vollbrachte der Tolosaner mit großer Würde.”

 

Peter von Castelnau wurde zeitgleich zum “heiligen Märtyrer erklärt” und noch heute scharen sich Pilger und Touristen um sein Grab.

 

Zuletzt noch einige Fotos:

Ein prachtvoller alter Stützpfeiler …

 

 

Eine Statue der heiligen Agnes – von der man im allgemeinen sagt, dass kein Bildnis einer Heiligen älter sei, als das ihre.

Und eine Romanische Madonna – über deren Entdeckung (sie stand in einer dunklen Nische und ich hätte sie um ein Haar übersehen) ich mich besonders gefreut habe, weil ich mich seit Jahren für diese “Schwarzen Madonnen”, wie man sie auch nennt, interessiere:

 

 

Man nennt sie Mutter Gottes von Nuria. Es handelt sich um eine Katalanische Arbeit, jedoch um eine Replik. Das Original, das sich hoch oben in den Pyrenäen, im Santuari de la Mare de Déu de Núria befindet, soll dereinst Saint-Gilles geschnitzt haben.

 

Et voilá – ein prachtvoller Schlussstein  am Ende meines Artikels über den heute “stillen Ort” Saint-Gilles du Gard:

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Helene L. Köppel
My fantasy is my castle

LESEN hält wach – garantiert!

 

Interessiert auch an Arles?  “Hymnus an die Sonne von Arles”