Den Kopf in den Kessel: Der Kult der Madonna von Nuría

Dass ich mich im September 2015 auf den Weg hinauf nach Nuría machte, lag mal wieder an Ean Begg. Das Sachbuch des englischen Autors “The Cult of the Black Virgin” steht seit Jahren wie festgetackert auf der Packliste für mein Handgepäck. Ean Beggs Studie über das Phänomen der Schwarzen Madonnen, die er im Jahr 1985 veröffentlichte, ging eine Fleißarbeit voraus: Mit einem von ihm entwickelten Fragebogen bereiste er diejenigen Kultplätze in Europa, die mit einer Darstellung der Schwarzen Madonna in Verbindung stehen – darunter Basiliken, Kathedralen und winzige Dorfkirchen. Er notierte alles auf, was er vor Ort erfuhr (heidnische Ursprünge in der Antike, keltische Naturreligionen, volkstümliche Überlieferungen usw.) Eine wahre Fundgrube an nützlichen Informationen, wenn man sich für alte Überlieferungen und Traditionen interessiert.

Hier ein Auszug aus seiner Beschreibung der Madonna von Nuría. Der Ort liegt in fast 2000 Meter Höhe im Norden von Katalonien (Provinz Gerona, nahe der Grenze zu Frankreich):

Der Kult der berühmten Schwarzen Madonna von Nuría (archaisch-rustikal, ohne Schleier) begann, der Legende zufolge, mit dem Einsiedler Gil und seinen Gefährten. Die Statue wurde während der maurischen Okkupation versteckt und war bis 1032 verschwunden. In diesem Jahr erhielt Amadeus, ein Verehrer der Jungfrau Maria, in Damaskus die Anweisung durch einen Engel, sich in die Pyrenäen zu begeben und dort einen Tempel an einem Ort zu errichten, wo ein weißer Stein zwischen zwei Flüssen stehe. Würde er dort graben, so fände er einen großen Schatz. Als er diesen Ort erreichte, konnten ihn die Hirten dort verstehen, obwohl er sie in syrischer Sprache anredete. Am Berghang sah man einen brüllenden Ochsen, der in der Erde grub. An dieser Stelle entdeckte man dann eine lichterfüllte Höhle, in deren Innern man eine Glocke, ein Kreuz, einen großen Tiegel und die Statue fand, die zur Heiligen Jungfrau von Nuria wurde …

Ean Begg, The Cult of the Black Virgin, S. 257 ff

Nuría und der Heilige Gil

Wie von Ean Begg geschildert, beginnt die Geschichte im 7. Jahrhundert nach Christus …
Ein frommer Kaufmann namens Gil* macht sich auf den weiten Weg von Athen in die Pyrenäen, um sich in die Einsamkeit der Berge zurückzuziehen. Sein einziger Kontakt sind fortan die Schäfer und Hirten, mit denen er seine kargen Mahlzeiten teilt. Für sie predigt er und er schnitzt ihnen aus dunklem Holz eine schlichte Madonna. Doch als die Mauren ihn bedrohen, muss er fliehen. Gil versteckt seine Schätze: die Madonna, ein Kruzifix, die Glocke, mit der er die Hirten zur Messe rief, sowie den Kessel, in dem er die Mahlzeiten zubereitete. Dann verschließt er seine Höhlenklause mit schweren Steinen.
Gils Schatz gerät in Vergessenheit …

Nach der Wiederentdeckung im 11. Jahrhundert (Amadeus, Pilger aus Damaskus) verbreitete sich schnell der Ruf, alles in Nuría müsse heilig sein: Die Menschen pulverisieren die Steine, um sie als Medizin zu verwenden. Das Wasser der Quelle neben der Höhle soll Augenkrankheiten heilen. Glocke und Kessel werden gar zum Fruchtbarkeitsritual, das sich ziemlich skurril anhört: Während der Mann die Glocke des Heiligen Gil läutet, steckt die Frau den Kopf in den Kessel und betet zur Schwarzen Madonna. (Doch Vorsicht: jedes Läuten führt angeblich zu einer Geburt! 🙂 ) Wird ein Mädchen geboren, nennt man es selbstverständlich Nuría, wird es ein Junge, heißt er Gil

Der Kult um Nostra Senyora de Nuría ist bis heute ungebrochen. Unzählige Menschen suchen Jahr für Jahr dieses hochgelegene Dorf auf, um hier Ruhe zu finden und Gebete an die alte Schutzheilige der Pyrenäenschäfer zu richten, die natürlich noch immer auch für den Kindersegen zuständig ist.
Man erzählt sich, es gäbe sehr viele Nurías in Katalonien! 🙂

*Hinter Gil steckt der Heilige Ägidius, der als Einsiedler in der Provence lebte, und um das Jahr 680, unterstützt vom Westgotenkönig Wamba, das Kloster Saint-Gilles gründete.

Sancta Maria de Nuría – heute geweißt!

In der nachgebildeten Eremitenhöhle thront die Madonna (eine Replik), um die Bittgesuche ihrer Besucherinnen und Besucher entgegenzunehmen.
Das Original befindet sich in der Kirche.

Im Netz, s. Foto oben links, existiert noch eine Abbildung der ursprünglichen schwarzen Nuría-Madonna. Diese soll bis ins 17. Jh. in der alten Einsiedelei gestanden haben.
Die heutige buntbemalte Figur mit dem netten Lächeln und den roten Wangen wird offiziell wie folgendermaßen beschrieben:

… In ihrem eigenen Heiligtum hoch in den Pyrenäen,
etwa eine Stunde von Barcelona entfernt,
7. bis 12. Jahrhundert,
56 cm, bemaltes Holz,
kürzlich bei der Restaurierung geweißt.

Nuría und der Templer-Eremit

Nachdem im Jahr 1162 eine Papstbulle den hiesigen Marienkult bestätigte, entstand hundert Jahre später (1271) eine erste Pilgerherberge oben auf dem Berg. Die Pilger wurden von einem Eremitenbruder des Templerordens bewacht und betreut. (In Katalonien gab es etliche Templerkommanderien; die u. a. auch zum Schutz der Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela dienten. )
Zur Erinnerung an die Templerzeit schmücken in der Kirche von Nuría noch heute Tatzenkreuze selbst die Rücklehnen der Kirchenbänke.

Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) hat man die Nuría-Madonna aus Sicherheitsgründen in einem Bankschließfach in der Schweiz untergebracht.

Nuría – die Kirche

Die heutige Kirche stammt aus dem Jahr 1911. Ein Vorgängerbau wurde 1883 auf den Grundmauern der ehemaligen Einsiedelei errichtet.
Am 1. September, am Ägidius Tag, findet alljährlich eine Wallfahrt von Hirten beiderseits der katalanisch-französischen Grenze nach Nuría statt.
Die Originalmadonna befindet sich oberhalb des Altars, gut gesichert hinter Glas. Im Jahr 1956 wurde sie zur Schutzpatronin der Diözöse von Urgel erklärt. 1967 hat man sie gekrönt, danach wurde sie offenbar, so Ean Begg, von einer “katholisch-nationalistischen Gruppe” kurzzeitig gestohlen.
Der Festtag von La Morenita (wie die Frauen ihre Schwarze Madonna liebevoll nennen) ist der 8. September. An diesem Tag feiern alle Frauen mit dem Namen Nuría ihren Namenstag, und die Jungfrau wird in einer Prozession von ihrem Thron in der Kirche zur Einsiedelei des Heiligen Gil getragen.

Die kleinen Bilder bitte anklicken!

Wie in Montserrat kann man auch in der Kirche von Nuría in einem Raum hinter dem Hauptaltar sitzen und meditieren!

Nuría – und die Cremallera, die Zahnradbahn

Das autofreie Gebirgsdorf Nuría ist nicht nur ein Ort der stillen Einkehr, es ist auch ein herrliches Wander- und Ski-Gebiet. Der sog. Camí Vell (der “alte Weg”) führt vorbei an Wasserfällen und tiefen Schluchten. Der Aufstieg (Höhenunterschied 730 Meter; trittsicheres Schuhwerk ist erforderlich) dauert etwa 2,5 – 3 Stunden.
Wem das zu beschwerlich ist, der nimmt die Zahnradbahn, die sog. Cremallera. Karten im Talort Ribes de Freser. Die Fahrt führt über Queralbs (Parkplatz) in das Hochtal. Oben in Nuría gibt es auch Hotelzimmer (Berghotel seit 1931) und Caféterias.

Vielen Dank für Ihr Interesse!

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Toledo – Stadt und Kathedrale

TOLEDO liegt 65 km südsüdwestlich von Madrid auf einem Hügel oberhalb des Flusses Tajo, mitten in der Castilla-La Mancha, also in der Mitte Spaniens. Die Altstadt ist für ihre arabischen, jüdischen und christlichen Bauwerke aus dem Mittelalter bekannt und von einer Mauer umgeben.
Zusammen mit SEGOVIA UND ÁVILA gehört TOLEDO zu den drei historischen Metropolen im Einzugsbereich der spanischen Hauptstadt MADRID.
Hier lebte auch der griechische Maler El Greco.
Im Bild rechts sieht man die berühmte Brücke aus dem Mittelalter, die den Tajo überspannt.
(Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!)

Die Kathedrale von Toledo ist ein Hauptwerk der Spanischen Gotik.
Zur Geschichte: Die Kirche wurde im Jahr 1227 von Ferdinand III., genannt “der Heilige”, erbaut, nachdem er die alte Kirche der arianisch-gläubigen Westgoten (Rekkared, 6. Jh.) abreißen ließ, denn diese war von den Mauren in eine Moschee umgewandelt worden.
Die Kathedrale Santa María de la Asunción, an der Generationen gebaut haben, ist nach dem Vorbild der französischen Kathedrale von Bourges fünfschiffig ohne ausgeprägtes Querhaus erbaut worden, besitzt jedoch im Nordosten des herrlichen Chors ein kompliziertes Kapellensystem und nördlich des Langhauses einen großen Kreuzgang. Das Mittelschiff erreicht eine Höhe von 40 Metern.

Der offizielle Name der Kathedrale lautet Catedral Primada Toledo, was so viel heißt wie “erste Kirche Toledos”. Diesen Namen trägt auch die Website der Kathedrale. Der religiöse Name ist Catedral de Santa María de la Asunción. Dieser Name bringt zum Ausdruck, dass der Kirchenbau Mariä Himmelfahrt gewidmet wurde.

Im nächsten Bild sieht man das sog. “Transparente” der Kathedrale:
Ein Dachfenster lässt um die Mittagszeit das Sonnenlicht herein, das den Altar beleuchtet:

Details aus dem Inneren der Kathedrale, Statuen, Fresken und mehr …
(Fotos zum Vergrößern bitte anklicken!)

Übrigens …

“Die Jüdin von Toledo …” ist mein Lieblingsroman von Lion Feuchtwanger. Der Autor (1884-1954) beschreibt darin das Schicksal des jüdischen Kaufmannes Jehuda Ibn Esra und seiner schönen Tochter Raquel im Toledo des 12. Jahrhunderts, als König Alfonso VIII. von Kastilien die Mauren bekriegte, die damals noch weite Teile der Iberischen Halbinsel beherrschten.
Sehr empfehlenswert!

Hinter einem solchen Tor könnte die schöne Raquel gewohnt haben!

Vielen Dank für Ihr Interesse an Toledo!

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Eine Hinterlassenschaft der Tempelritter: Pontaubert

Das malerische Dorf Pontaubert liegt im Herzen des Burgund, in einem Tal, ungefähr drei Kilometer von Avallon und zehn Kilometer von Vézelay entfernt.

Das Dorf hat seinen Namen von einer Brücke – also Pons (gebaut um 840) – und einem Mann namens Aubert, Graf von Avallon, Bruder von Robert dem Starken.

Die Tempelritter waren hier

Im Jahr 1190 wurde das Land um Pontaubert den Templern übergeben, die die Pilger auf ihrem Weg von Vézelay nach Autun schützten – später geriet es in die Hände der Johanniter bzw. Hospitaliter.

Die “Arme Bruderschaft vom Tempel zu Jerusalem”

wurde im Jahr 1118 durch Hugues de Payens, Godefroy de St.Omer und sieben weiteren Rittern aus Frankreich mit der Aufgabe gegründet, die Pilgerstraßen in Jerusalem zu sichern und die Heiligen Stätten der Christenheit zu verteidigen. Ein Jahr später überlässt Balduin II., der König von Jerusalem (1118-1131), dem Orden einige Gebäude im Bereich des ehemaligen Tempels Salomons. Der Orden nennt sich nun Ritterschaft vom Tempel zu Jerusalem. Er ist der erste Mönchs- und Ritterorden in der Christlichen Geschichte.
Zu Beginn des 12. Jh. – während des zweiten Laterankonzils – werden die Tempelritter ausschließlich der Jurisdiktion des Heiligen Stuhls in Rom unterstellt. Sie werden ermächtigt, eigene Kirchen und Friedhöfe zu besitzen, und erhalten das exklusive Recht, ständig ein rotes Kreuz auf der linken Schulter – zum Gedenken an das Martyrium Christi – zu tragen.
Im Jahr 1291 – nachdem sämtliche Besitztümer der Tempelritter im Heiligen Land an die Sarazenen gefallen waren – verlegt der Orden seinen Sitz nach Zypern.
Am 13. Oktober 1307 – dem “schwarzen Freitag” – lässt König Philipp IV. unangekündigt alle Templer in Frankreich verhaftet. Es kommt zu einem aufsehenerregenden Prozess …

Der Ritterorden der Johanniter (Hospitaliter, Malteser)

Im Jahr 1191 – während der Belagerung von Akko –  beschließt die Hospitalbruderschaft vom Deutschen Haus von St.Marien zu Jerusalem dem Vorbild der Tempelritter zu folgen und sich als militärischer Orden zu konstituieren. Der Hospitaliter/Johanniter – Orden erwarb seinen Besitz weitgehend durch Schenkungen, die ihm von reichen Pilgern, Ordensrittern oder Landesherren zugewendet wurden, um seinen Ordensauftrag im Heiligen Land ausführen zu können. Am 2. Mai 1312 erhielt der Ritterorden vom Hospital St. Johannis zu Jerusalem durch päpstliche Verfügung fast den gesamten europäischen Landbesitz des damals aufgelösten Templerordens übereignet – darunter wertvolle Besitztümer und Kommandanturen in Frankreich und Deutschland.

Die Kommandantur Pontaubert war allerdings so schwer beschädigt, dass der Herzog von Burgund seinem Kommandanten Guillaume de Fontenay eine große Geldsumme gab, um sie wieder herzurichten.

 

Die Kirche Notre-Dame-de-la-Nativité
ist spätromanisch (letztes Drittel des 12. Jh.) und gilt als eine der interessantesten Bauten der Gegend. 

Notre Dame du Saulce-d’Island
(s. Fotos rechts und unten)

Hier in Pontaubert befindet sich eine von den Templern hochverehrte Madonna, die früher in der Chapelle du Saulce-d’Island stand. (gleichnamige Kommanderie, s. Foto unten). Über diese Entdeckung habe ich mich sehr gefreut!

Eine weitere Romanische Sitz-Madonna aus Stein

hätte ich in Pontaubert beinahe übersehen. Sie befand sich, nahezu unbeachtet, irgendwo im Seitenbereich der Kirche auf dem Boden.

Pontaubert – verzaubert?

Wie ist das zu verstehen? Als rätselhaftes Wortspiel aus der Zeit der ehemaligen Besitzer Pontauberts, der Tempelritter? Aber nein, diese Kirche besitzt einen herrlichen Dornröschen-Turm – und wer den nicht zauberhaft findet, dem ist wohl nicht zu helfen! 🙂

Mit einem letzten Blick hoch oben aus dem Turm – der Beweis, dass ich mich dort hinaufgetraut habe! – und dem alten Friedensgruß der Tempelritter, dem Pax tecum, verabschiede ich mich aus Pontaubert.
Ich hoffe, es hat auch Ihnen hier gefallen!

Ihre

Helene L. Köppel

Boule d’Amont und die Gekreuzigte Frau

Boule d’ Amont

Auf meiner Pyrenäenreise im Jahr 2013 verschlug es mich u.a. in den kleinen Ort Boule d’Amont  (Département Pyrénées-Orientales, Nähe Prades). Dieser Ort war bereits in der Jungsteineit bewohnt. In der Nähe gibt es Dolmen und Menhire.
Die im Ortskern stehende Pfarrkirche Saint-Saturnin stammt aus dem 11. Jahrhundert, sie wurde 1972 in das Zusatzverzeichnis der Monuments historiques eingetragen.

In dieser Kirche entdeckte ich sonderbare Dinge – doch alles der Reihe nach. Zuerst treten Sie bitte ein …

Beginnen wir mit Gott Vater, der sich hier im Kopfschmuck des Sol invictus zeigt. Auf Sonnensymbole trifft man in den Pyrenäen häufig.

Auch Maria, die Himmelskönigin, wird in Südfrankreich gern als Sonnenkönigin dargestellt – hier mit Strahlenkranz und prachtvollen Ohrgehängen:

Die “üblichen Verdächtigen” (Antonius von Padua, St. Germaine usw.), die man in fast allen Kirchen Frankreichs findet, stelle ich in diesem Beitrag nicht vor, dafür die berühmte und hochverehrte “Madonna von den Treppen” – (die ich an diesem Tag vergeblich im Kloster Marcevol gesucht hatte; die Madonnen befinden sich leider nicht immer dort, wo sie eigentlich hingehören).

Aber da war sie nun endlich, in Boule d`Amont, gut gesichert hinter Glas:

(Nachstehend oder besser “sitzend”: Notre Dame de las Gradas, 11. Jh, romanische Sitzmadonna, Foto HLK.)

Eine weitere spannende Entdeckung in Boule d`Amont:

Jahrelang suchte ich nach ihr, deshalb freute ich mich unbeschreiblich, als ich im Juni unverhofft auf sie stieß:

“Notre Dame de Vie” (Unsere Frau vom Leben)

Ich wusste, dass es sie gab, doch wo? Das Vertrackte bei meiner Suche war gewesen, dass auch etliche Romanische Madonnen diesen Namen tragen, z.B. in Villefranche de Conflent. Mein Interesse galt aber einer ganz besonderen “Dame vom Leben”, einer ländlich-rustikalen Pyrenäenmadonna – wie ich sie nun zufällig in Boule d`Amont fand.

Die Figur mutet androgyn an. Spontan erinnerte ich mich an die Offenbarungsrede auf dem Nag Hammadi-Papyrus, in der eine weiblich-männliche Allgöttin spricht:
“Ich bin das Haupt des Alls, die ich vor einem jeden da bin .. ich bin es, der das Wasser hervorsprudeln ließ”

(s. auch “Die Affäre C.“)

Mein Interesse an dieser Madonna hängt – wie soll es anders sein – mit meiner Arbeit zusammen, der Schriftstellerei – und hier insbesondere der Cagotenforschung (Cagots = eine noch im 19. Jh verachtete Pyrenäenpopulation). Mein dritter Thriller “Talmi” beschäftigt sich im historischen Part mit diesen Cagoten. Deshalb möchte ich hier nichts verraten. Es war jedenfalls ein unbeschreibliches Gefühl für mich, als ich die Inschrift unter den Füßen dieser sonderbaren Madonna entdeckte:
Notre Dame de Vie.


Und nun zur Gekreuzigten Frau:

Es gibt sie, die Gekreuzigten Frauen, aber ich selbst hatte noch kein Abbildnis vor Ort gesehen. In den meisten Fällen handelt es sich wohl um die Heilige Kümmernis  (auch St. Wilgefortis genannt). Vom eigenen Vater (König) gezwungen, einen Heiden zu heiraten, erflehte sich die junge Christin von Gott einen Bart. Ihr Wunsch ging in Erfüllung – worauf der wütende König sie ans Kreuz nageln ließ. Soweit die Legende.

Ergänzend ist zu sagen, dass die Heilige Kümmernis in der Mythologie als Nachfahrin einer keltischen Baumgöttin gesehen wird, die einst am Querholzbaum gebunden im Wald hing – was jedoch die Kirchengeschichte nur ungern zugibt.

Eine Frage bleibt wohl für immer offen – Die goldene Kümmernis, die in Boule d’Amont ausgestellt ist, trägt KEINEN BART – hängt aber dennoch am Kreuz. Eine französische Variante der Legende? Nun, vielleicht bekomme ich es eines Tages noch heraus!

Diese gruselige Story kann man übrigens auch in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm nachlesen: “Die Frau Kümmernis”.

 

Der österreichische Dichter, Avantgardist, Naturforscher und Sprachkundler Bodo Hell ( geb. 1943 in Salzburg ) hat ein Gedicht über die Kümmernis geschrieben, das ich irgendwann zufällig in “KUNSTUNDKULTUR” gefunden habe.

Ein kleiner Auszug:

Frau Kümmernis
wie schön gewandet stehst du da
samt deinen güldnen Schuhen,
die Hände flach ans Holz gespießt
hast keine Zeit zum Ruhen …”

Ich danke herzlich für Ihr Interesse!

Helene L. Köppel

LESEN HÄLT WACH – garantiert!

 

 

 

 


Limoux – Die Madonna ohne Kopf

Das Schicksal der “netten Marceillerin” mit dem verschmitzten Lächeln …

Im Sommer 2006 führte mich meine Recherchereise in eine alte, sonderbare Kathedrale in der Nähe von Limoux (Aude, Südfrankreich), von der ich u.a. wusste, dass im Mittelalter (13. Jh) sogar Frauen katharischen Glaubens regelmäßig hierher pilgerten.

In diesem Beitrag geht es speziell um sie – um die berühmte Schwarze Madonna von Marceille, die so nett lächelte. Eine erste Beschreibung fand ich bei Ean Begg (Die Unheilige Jungfrau), Bad Münstereifel 1989:

“Notre-Dame de Marceille. Statue aus hartem schwarzen Holz, 11./12. Jh. Der Reliquienschrein, auf einem Hügel außerhalb des Ortes, ist seit 1011 bekannt und seit 1380 als Wallfahrtsort bezeugt. Liegt in nur 18 km Entfernung von Rennes-le-Château, seit der Ermordung von Dagobert II. Zufluchtsort und Zentrum der merowingischen Blutlinie und damit verbundener Geheimnisse.
Die Schwarze Madonna heilt Blinde. Viele Exvotos, darunter Stücke von Brautschleiern.”

In meinem Roman “Die Affäre Calas” (E-book “Die Affäre C.), der zwei Jahre später erschien, schildere ich eine Begegnung meiner Protagonistin Sandrine (Ich-Erzählerin) und ihrer Freunde mit dieser außergewöhnlichen Madonna:

“Als wir das nördliche Querschiff betraten, ging plötzlich das Licht an. Wir rissen die Augen auf: Gold blitzte uns entgegen, Gold wohin man nur sah. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und einer dicken Glasscheibe saß die Schwarze Madonna …”

´Die hat ja ein helles Kind`, brach es aus Steffi hervor. Sie steckte die Kerze zu einem guten Dutzend anderer, die dort brannten, und stieg die Stufe hoch, um die Madonna näher zu betrachten. ´Überrascht?`, fragte Sokrates. ´Das Dunkel und das Licht. In der Nacht, als Salomon mit der Königin von Saba seinen Sohn Menelik zeugte, sah er im Traum eine hell scheinende Sonne, ein heiliges Licht aus dem Himmel kommen …`

Dieser Mann hatte eindeutig seinen Beruf verfehlt, er hätte Prediger werden sollen …

´Weiß man denn, woher diese Madonna ursprünglich kommt?`

´Ein Bauer hat sie beim Pflügen gefunden. Er nahm sie mit in seine Hütte, am nächsten Morgen war sie verschwunden. Da lief er auf den Acker zurück und fand sie erneut an Ort und Stelle, so dass die Leute beschlossen, dort eine Kathedrale zu bauen. So erzählt es die Legende. Wie es genau war, weiß ich nicht.`

Dass Sokrates einmal zugab, etwas nicht zu wissen, erfreute mich regelrecht! Als er mir Platz machte, stieg ich hoch, um durch das Gitter hindurch ein Foto zu schießen. Ich bin schwarz, aber schön – Tochter von Jerusalem, ging es mir durch den Kopf. Ein bisschen konnte ich verstehen, weshalb die Weißen Büßer sie verehrt hatten …”

(Alle Fotos HLK, 2006)

Ein Jahr nach meinem Besuch in der Kathedrale Notre-Dame de Marceille (mozarabischer Baustil) erreichte mich eine schlimme Nachricht, die mich betroffen und wütend zugleich machte:

VANDALISMUS!

In der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2007 – also noch vor dem Erscheinen meines Romans – hatten Vandalen der “netten Marceillerin” den Kopf abgeschlagen und entwendet. Auch ihr goldener Mantel wurde gestohlen. Einzig das Jesus-Kind auf ihrem Arm blieb verschont.

 

Eine Parallele zum in der Nähe gelegenen Ort Rennes-le-Château, wo ein Verrückter Jahre zuvor dem Teufel des Priesters Saunière den Kopf abschlug?

Leider weiß ich nicht mehr, wer die Aufnahme, die offenbar kurz nach dem Attentat auf die Madonna entstand, gemacht hat. Das Foto war vermutlich auf der Seite des Autors Philipp Coppens (+2012) abgedruckt, der seinerzeit schrieb, dass die Statue durch ein elektrisches Alarmsystem geschützt gewesen sei, dieses jedoch in den Wochen zuvor nicht funktioniert hätte. Schon zweimal, so Coppens, einmal während der Französischen Revolution und einmal in den 1980er Jahren, sei die Madonna gestohlen worden. Bei einem Antiquitätenhändler sei sie Monate später wieder aufgetaucht.

ENDE GUT – alles gut?

Die nette MARCEILLERIN hat natürlich längst einen neuen Kopf erhalten – doch dieser hat mich enttäuscht:

(Foto I. u. W. Dill, München – mit bestem Dank!)

Das verschmitzte Lächeln ist verschwunden – wie auch das kleine Loch auf ihrer Nase.

Schade …

Weitere magische Geschichten über Limoux? 

Die Mönche der Abtei Saint-Hilaire und die Blanquette de Limoux

Limoux (Aude) – und die rätselhafte Kapelle der Augustiner

 

Saint-Genis-des-Fontaines

Der beschauliche Ort Saint Genis des Fontaines (2800 Einwohner) liegt ca. 17 Kilometer von Spanien entfernt, am Fuße der Albères-Berge –  also zwischen Pyrenäenausläufern und Meer (Côte Vermeille).

Die Kirche mit ihrem lombardischen Turm, ist absolut sehenswert. Sie gehört zu einer vor dem Jahr 819 gegründeten ehemaligen Benediktinerabtei. Der Neubau wurde im Jahr 1153 eingeweiht.

Mir kam es bei meinem ersten Besuch – bei dem es nicht blieb! – auf den berühmten “Türsturz” an, von dem ich gelesen hatte, und von dem es hieß, er sei der erste seiner Art in ganz Frankreich. Dieses Basrelief stellt tatsächlich die früheste plastische Darstellung romanischer Kunst dar. Es ist aus  Marmor, 2,40 m breit  und 0,75 m hoch.

Zum genaueren Betrachten des Türsturzes von Saint-Genis-des-Fontaines  eine  weitere Abbildung, die ich eingescannt habe (aus  Les Symboles, mémo gisserot, Editions Jean-Paul Gisserot, 2008):

In der Mitte (in einer Mandorla) ein segnender Christus – Majestas Domini -, flankiert vom griechischen Alpha und Omega und getragen von zwei Engeln. Seitlich je drei Apostel. Die Umrahmung: mozarabische Palmettenornamentik.

Im Juni 2013 hatte ich dann eine bessere Kamera dabei und versuchte selbst mein Glück:

Die Werkstatt dieses Türsturzes soll im spanischen Teil der Pyrenäen gelegen haben. Ähnliche, wenngleich jüngere Werke finden sich nämlich im benachbarten St. André, in Arles-sur-Tech und im ehemaligen Kloster zu Roda. (Beiträge zu St. André und Arles-sur-Tech folgen)

Die nachträglich (um das Jahr 1020) eingefügte Inschrift des Basreliefs lautet: ANNO VIDESIMO QUARTO REGNANTE ROTBERTO REGE WILLELMUS GRATIA DEI ABBA ISTA OPERA FIERI IUSSIT IN ONORE SCI GENESII CENOBII QUE VOCANT FONTANAS.

Übersetzt: “Im vierundzwanzigsten Jahr der Regentschaft des Königs Robert befahl Guillaume, Abt von Gottes Gnaden, dass dieses Werk geschaffen werde zu Ehren des heiligen Genis (Genesius), genannt “von den Quellen”.

(Gemeint ist der Kapetingerkönig Robert der Fromme; ein Gemälde, das ihn zeigt, hängt in der Bibliothèque nationale de Paris):

Die Epitaphe mit Inschriften neben dem Eingang zur Abteikirche Saint Genis …

Links vom Eingang zwei Epitaphe, zum einen zur Erinnerung an den verstorbenen Klosterbruder Berenguer (+ 1307) und seiner Schwester Mathia; zum anderen an einen gewissen Dulce de Mont-Roig (+1271)

Rechts zwei weitere Epitaphe, die an den Klosterbruder Miguel Mesner (+1307) erinnern und an Ramon de Pollestres.

Der heutige Kreuzgang stimmt mit dem, der im 13. Jahrhundert neu erbaut wurde, nur weitgehend überein, wie man gleich hören wird …

Im Jahr 1507 wurde das Kloster Saint-Genis dem Kloster Montserrat angeschlossen. Die letzten Mönche verließen es jedoch erst im 18. Jahrhundert, in den Jahren der französischen Revolution, worauf die ursprüngliche Abteikirche 1846 zur Gemeindekirche Saint-Michel wurde.

Jetzt zum Schicksal des Kreuzgangs:

Bis zum Jahr 1913 blieb der mittelalterliche Kreuzgang weitgehend erhalten, obwohl er unter zwei bis drei Besitzern aufgeteilt war, die darin Wohnungen eingerichtet hatten und Landwirtschaft betrieben. Dann jedoch begab er sich unfreiwillig auf Wanderschaft:

DIE dreiteilige ODYSEE des Kreuzgangs von Saint-Genis-des-Fontaines  

Teil I – auf hoher See

Erste Auflösungserscheinungen zeigten sich ab dem Jahr 1913: Das Brunnenbecken, das den Hof des Kreuzgangs zierte, wurde verkauft. Lange Zeit wusste man nicht, wohin, bis man es wiederentdeckte – und zwar im Kreuzgang von Saint-Michel de Cuxa, der – wie übrigens auch der Kreuzgang von Collioure – nach Amerika verkauft und dorthin verschifft worden war.

Teil II – aus eins mach zwei

Elf Jahre später, im Jahr 1924, erwarb der geschäftstüchtige Antiquitätenhändler Paul Gouvert den (brunnenlosen) Kreuzgang von Saint-Genis, um damit das Heim eines vermögenden Schlossbesitzers zu verschönern. Dabei brachte er das Kunststück fertig, aus dem einen Kreuzgang zwei kleinere zu machen. Das zweite Objekt ging an das  Philadelphia Museum of Art. Am Schluss des lukrativen Deals überließ Gouvert großmütig (und sich vermutlich die Hände reibend) zwei Arkaden dem Louvre.

Teil III  – die glückliche Rückkehr

Erst als sich der private Eigentümer im Jahr 1982 einverstanden erklärte, “seinen” Kreuzgang an den Staat zu verkaufen, kam der “Stein” (im wahrsten Sinne des Wortes) wieder ins Rollen. Bei den Demontagearbeiten entdeckte man auf den Steinen der Säulen bestimmte Setzvermerke, die die Echtheit des Kreuzgangs und seine Herkunft bestätigten. Ähnliche Vermerke befanden sich auch auf den beiden Arkaden im Louvre, die daraufhin ebenfalls demontiert und nach Saint-Genis zurückgebracht wurden. Kopiert wurden lediglich die in den USA befindlichen Teile. Die gesamte Restaurierung des Kreuzgangs von Saint Genis wurde erst 1994 abgeschlossen.

 Interessante Säulenkapitelle aus verschiedenfarbigem Marmor …

Der weiße Marmor kommt aus der Gegend von Ceret, der roséfarbene aus Villefranche de Conflent und der schwarze aus Baixas.

Nun einige Impressionen aus dem Inneren der Kirche:

  Eine der hochverehrten Monserrat-Madonnen:Wer sich hinter der nächsten Figur verbirgt, erschließ sich mir leider bis heute nicht …

Der Heilige Judas – in der Ecke stehend:

Mein Favorit in Saint-Genis ist eine mannshohe Schwarze Witwe (Nostra Senyora Dels Dolors – schmerzensreiche Jungfrau) – die schönste, die mir bislang in den Kirchen Südfrankreichs begegnete …

… thematisiert in “Die Affäre C.” (Thriller, E-book)

Auszug: “Sieh nur, Sandrine, die ersten Schwarzen Witwen”, raunte mir Henri unauffällig zu. Und tatsächlich: Wie von Zauberhand waren sie aufgetaucht, halbmannshohe Puppen in Trauer gekleidet, das Haupt verhüllt mit einer Spitzenmantille, sieben silberne Schwerter auf der Brust aufgenäht … “Nostra Senyora Dels Dolors. Unsere schmerzensreiche Frau … Vor einem Antiquitätengeschäft in der Rue St. Vincent stand eine besonders schöne Witwe, eingerahmt von zwei weißen Stehlampen und zusätzlich mit einem Spot in Szene gesetzt. Wir traten näher. Ein schmales, edles, sehr junges Gesicht unter der schwarzen Mantille, die Hände zum Gebet gefaltet, jedoch mit auffällig rot gefärbten Lippen. Vor ihr, auf einem schwarzen Polster liegend, der tote Jesus, ihr göttlicher Sohn. “Dass man die Muttergottes schminkt und als Witwe verkleidet, habe ich noch nirgends gesehen”, sagte ich. “Es handelt sich nicht um die Muttergottes, auch wenn man den Anschein erweckt.” Henri senkte seine Stimme. “In Wirklichkeit steht hier Maria Magdalena, die um ihren Gatten Jesus trauert. Der Tod eines Kindes macht schließlich keine Mutter zur Witwe!”

Hier eine Aufnahme vom Juni 2013:

Sie altert nicht, sie wird von Jahr zu Jahr schöner! 🙂

Um wen es sich bei der schönen Witwe von Saint-Genis mit den roten Lippen auch immer handelt – Maria Magdalena fand ich ganz in ihrer Nähe, und zwar auf einem Gemälde …

Und ein weiteres Mal auf einer Kreuzweg-Station:

Einer der Altäre – und nachstehend ein wunderschöner, alter Taufstein, natürlich romanisch, aus dem 12. Jahrhundert:


Noch eine letzte Anmerkung zu “Saint Genis” – es handelt sich um den Heiligen Genesius von Rom (um 305). Er war ein christlicher Märtyrer und galt als Patron der Schauspieler, Künstler, Tänzer und Spielleute. Deshalb wird er in der Kunst oft mit einem Saiteninstrument, mit einer Maske oder einem Taufstein dargestellt.