VOLTAIRE und die “Affäre Calas”

Correspondance Voltaire

Als im Jahr 2008 nach intensiven Quellenstudien mein Roman über den Justizskandal “Jean Calas” erschien (Aufbau-Verlag, Berlin), bat mich die Voltaire-Stiftung in Bad Liebenwerda (Correspondance Voltaire) um einen Artikel für ihre Website.
Diesen Beitrag stelle ich nun – unter Verwendung eigener Toulouse-Fotos (2004) hier auf meiner Website ein:

UM WAS GING ES IM FALL CALAS:

JEAN CALAS, Tuchhändler und Hugenotte aus Toulouse wurde am 18. November 1761 vom Toulouser Capitoul für schuldig befunden, seinen Sohn umgebracht zu haben. Man warf ihm vor, er habe verhindern wollen, daß dieser zum katholischen Glauben übertritt. Am 10.3.1762 wurde Jean Calas bei lebendigem Leib aufs Rad geflochten, wo er starb. Voltaire erreichte in einer 3 Jahre dauernden europaweiten zäh und mit erheblichen finanziellen Mitteln geführten Kampagne, daß dieser abscheuliche Justizmord als solcher anerkannt werden musste und die Angehörigen Calas eine Entschädigung erhielten.

VOLTAIRE und die “Affäre Calas”  von Helene L. Köppel

Was soll man einem Menschen antworten, der einem sagt, dass er lieber Gott gehorche als Menschen und der sich folglich sicher ist, sich den Himmel zu verdienen, wenn er einen erwürgt?“, schreibt Voltaire im Artikel ‘Fanatismus’ seines Phiolosophischen Wörterbuchs. Diese Warnung bezieht sich auf die Fundamentalisten seiner Zeit –  im besonderen Maße aber auf den Fall des Hugenotten Jean Calas, für dessen Rehabilitierung er sich 1762 mit großer Zähigkeit und erheblichem finanziellen Engagement eingesetzt hat.
 

Jean Calas, ein bis dahin rechtschaffener, unbescholtener und geachteter Tuchhändler in Toulouse, gehörte zu den wenigen Reformierten der Stadt, die es zu einem gewissen Wohlstand gebracht hatten. Er wurde gemeinsam mit seiner Familie angeklagt, seinen Sohn Marc-Antoine erhängt zu haben. Begründung des Gerichts: Marc-Antoine habe sich vom reformierten Glauben abgewandt, um zum Katholizismus überzutreten.

Eingangstür Rue des Filatiers 50

Inschrift Calas Rue des Filatiers 50

“Haus von Jean Calas wo der Leichnam seines Sohnes Marc Antoine am 13. Oktober 1761 aufgefunden wurde.”

Rue des Filatiers 50 Innenhof

Was genau geschah am 13. Oktober 1761 in Toulouse, in der Rue des Filatiers 50?

Lavaisse, ein junger Freund der Familie kommt zu Besuch. Jean Calas, seine Frau und seine Kinder laden ihn zum Abendessen ein. Man speist gemeinsam, unterhält sich über familiäre Dinge und über die “Altertümer auf dem Rathaus” (umstrittene Kunstwerke). Man lacht miteinander.

Doch die Familienidylle ist trügerisch …

Voltaire schreibt ein Jahr später über diesen Abend (er leiht seine Stimme der Ehefrau und Mutter):
“Da wir am Nachtische waren, steht dieses unglückliche Kind, ich meine meinen ältesten Sohn Marc-Antoine, von der Tafel auf und geht durch die Küche, wie es seine Gewohnheit war, hinweg. Die Magd sagt zu ihm: Frieren Sie, Herr Calas? Wärmen Sie sich hier!
Nichts weniger, antwortet er, ich bin im Gegenteil ganz erhitzt! Um ungefähr 9 3/4 Uhren nahm unser Besuch Abschied von uns, wir gaben unserem zweiten Sohn die Fackel, den Gast zu begleiten und den Weg zu weisen. Sie gingen miteinander hinunter. Im Augenblick aber, als sie drunten waren, hören wir lautes Geschrei und Lärm, konnten aber nicht unterscheiden, was man redete. Mein Mann lief hinzu, ich aber blieb zitternd auf der Galerie, ich durfte nicht hinunter gehen, ich wusste nicht, was es wohl sein möchte …”

Was es wohl sein möchte?

Marc-Antoine hängt tot am Türrahmen des im Keller befindlichen, väterlichen Kontors. Hat er sich umgebracht, weil man ihm, als Hugenotte, nach abgeschlossenem Jurastudium die Ausübung des Berufes verbot? Marc-Antoine war in den Wochen zuvor schwermütig gewesen.

Jean Calas, sein Vater, 64 Jahre alt – entsetzt, erschüttert –  weiß, wie man in Toulouse mit Selbstmördern verfährt: Sie werden mit dem Gesicht nach unten zum Richtplatz geschleift, man bewirft sie mit Steinen und hängt sie an den Galgen.
Diese Schmach will er seiner Familie und seinem toten Sohn ersparen.

Und nun begeht Jean Calas den größten Fehler seines Lebens:

Er beschließt, den Suizid als Mord hinzustellen:  Ein Fremder muss das Abscheuliche getan haben! Das ist für ihn, in dieser furchtbaren Stunde, die Wahrheit! Das Unglück spricht sich noch in der Nacht wie ein Lauffeuer herum und ruft die Bruderschaft der Weißen Büßer * auf den Plan, erbitterte Feinde der Hugenotten, fanatische katholische Glaubenswächter. Die Büßer, angetan mit weißen Kutten und langen spitzen Kapuzen mit Augenschlitzen, nutzen die Situation, um es den Hugenotten wieder einmal zu zeigen: Sie rotten sich zusammen, eilen zum Haus der unglücklichen Familie, schreien:

“Es  ist sein Vater und seine protestantische Blutsverwandtschaft, die ihn ermordet hat; er hat wollen katholisch werden, er sollte den folgenden Tag abschwören, sein Vater hat Hand an ihn gelegt und ihn erwürget. “

Die Gerichtsbüttel kommen. Die Stimmung heizt sich weiter auf. Die halbe Stadt läuft zusammen. Obwohl die katholische Magd ihren langjährigen Arbeitgeber und auch alle anderen Anwesenden entlastet, wird die gesamte Familie verhaftet, auch die Magd. Alle werden sie an “Eisen und Band” geschlossen, das Familienvermögen wird, wie es jahrhundertelang die Inquisition vorgemacht hat, eingezogen. Jean Calas klagt man des Kindesmordes an; den Hausgast Lavaisse bezichtigt man, Henker einer protestantischen Versammlung zu sein, “die jeden erwürgte, der die Religion ändern wolle”. Dies sei “die gewöhnliche Jurisprudenz der Protestanten”, heißt es in der Stadt. Gerüchte laufen von Haus zu Haus, von väterlichen Drohungen ist die Rede. Nicht wenige Leute bilden sich ein, Marc-Antoines gellende Stimme in der Nacht gehört zu haben.

Richter des Toulouser Gerichts

Das Urteil

Am 9. März 1762 sprechen die Richter mit einer Mehrheit von acht zu fünf Stimmen Jean Calas schuldig und verurteilen ihn zum Tode durch das Rad. Sein jüngster Sohn Pierre wird auf Lebenszeit aus Frankreich verbannt, die Töchter ins Kloster gesteckt, die anderen Angeklagten werden freigesprochen. Weil Jean Calas auch nach dem Urteil kein Geständnis ablegt, kommt die Folter zum Einsatz.

Mit Feuer bringt man seine Zehen und Finger zum Platzen und enthäutet sie. Doch Jean Calas bleibt standhaft.

Seine letzten Worte waren: “Ich habe die Wahrheit gesagt, ich sterbe unschuldig …” Danach zerschlug ihm der Henker mit einer Eisenstange Knochen und Rückgrat, um ihn aufs Rad flechten zu können, wo Calas noch so lange litt, bis man ihn gnädigerweise erwürgte. Seine Asche wurde in alle Winde zerstreut.

Die Rolle der Justiz im Fall Calas

Zwar war das Strafverfahren für ganz Frankreich seit dem Jahr 1670 durch die Ordonnance Criminelle einheitlich geregelt, in der Praxis sah es jedoch anders aus. Die “Capitouls” (Konsuln) von Tolouse – einige gehörten der oben genannten Bruderschaft der Weißen Büßer an  – waren die Richter der ersten Instanz. Das Strafrecht des Ancien Régime kannte keine Gewaltenteilung. Es sah keinen Anwalt für den Angeklagten, auch keine Gegenüberstellung mit den Zeugen vor. Stattdessen machte das Gericht vom sogenannten Monitoire Gebrauch, ein Aufruf zur Denunziation an jedermann. Vermutungen, Erzählungen vom Hörensagen – alles absolut geheim – wurden in Viertel- und Achtel-Beweisen umgemünzt, addiert, so daß aus 4 Viertel-Beweisen ein ganzer Beweis wurde! Jean Calas erhielt auch keine Abschriften über diese Aussagen.
Das Todesurteil stützte sich also auf reine Indizien und mehr oder weniger fingierte oder zurechtgebogene Zeugenaussagen.

“Auf diesen Wahn hat man das Urteil gegründet”, kommentierte Voltaire dies später. Die einzige Möglichkeit, das Urteil aufheben zu lassen, bestand für Calas darin, den königlichen Gerichtshof, das sog. Parlement, anzurufen, doch dieses – erzkatholisch und erzkonservativ – stützte sich einzig auf die “Fakten” aus der ersten geheimen Verhandlung. Unter solchen Bedingungen hatte der Hugenotte Jean Calas keine Chance auf eine gerechte Verhandlung.

Die Rolle der römisch-katholischen Kirche und der Weißen Büßer

Obwohl es keinen Beweis gab, dass Marc-Antoine Calas je die Absicht hatte, konvertieren zu wollen, nutzte die katholische Kirche die Gelegenheit, indem sie Gerüchte streute, ihre “eigenen Wahrheiten” verbreitete, den Pöbel aufputschte – ja, sogar veranlasste, dass Marc-AntoinDie Büsser heute - imme rnoch aktiv!e Calas als Katholik (der er nicht war!) und Märtyrer begraben wurde.
Die Weißen Büßer hielten ein feierliches Hochamt für den Jungen ab, errichten ihm ein prächtiges Grabmal, auf das man sein Bildnis stellte, mit einem Palmzweig in der Hand.
“Das Wort Kindesmörder und – was noch schlimmer war – Hugenotte ging in der ganzen Provinz von Mund zu Mund”, schreibt Voltaire in seinem Philosophischen Wörterbuch.

Was Jean Calas` Verurteilung und Hinrichtung noch beschleunigte, war, so Voltaire, die Nähe zu dem berüchtigten Fest, das die Toulouser jährlich zum Andenken an die Niedermetzelung der viertausend Hugenotten feierten (200-Jahr-Feier, 1562-1762!).
Die fanatischen Büßer erklärten dabei öffentlich, das Schafott, auf dem man Calas rädern werde, würde die größte Zierde des Festes sein, und die Vorsehung hätte dieses Schlachtopfer beschert, damit es der heiligen Religion dargebracht werden konnte.

Voltaire – das Gewissen Frankreichs – schaltet sich ein

Voltaire ist 68 Jahre alt und krank, als er von der Affäre Calas hört. Zunächst von der Schuld des Jean Calas überzeugt, beginnt er bald zu zweifeln. Er untersucht den Fall und stellt fest, dass eine solche Verschwörung unmöglich sei: “Wie hätte der Vater, selbst mit starker Beihilfe anderer, seinen Sohn an beide Flügel einer Türe auf dem untersten Stockwerk aufhängen können, ohne gewaltigen Kampf und Widerstand, ohne greulichen Tumult?”


Voltaire besitzt einflussreiche Freunde

Er ruft ein Komitee ins Leben, das ihn bei seinen Bemühungen um eine Revision unterstützt. Er will gewinnen – und zugleich die Ehre der Familie Calas wiederherstellen. Er verpflichtet Anwälte und – das Wichtigste! – er setzt ersmals in der Geschichte das ein, was heute eigentlich die PresseBrief der Witwe Calas in deutscher Überseztung übernehmen sollte:

Voltaire stellt die Öffentlichkeit her!

Er verfasst sog. Denk- und Schutzschriften im Namen der Witwe Calas und ihrer Söhne und verschickt sie auf eigene Kosten in halb Europa (auch in Deutschland). Sein Vorhaben gelingt: Endlich nimmt sich der König des Falles an und rehabilitiert die Familie Calas. Am 9.3.1765 verkündet der Kronrat posthum die Unschuld von Jean Calas. Im September 1762 antwortete Voltaire auf die Frage, warum er sich für eine Wiederaufnahme des Verfahrens im Fall Calas einsetzte: “Weil sich sonst keiner darum gekümmert hat.”

Voltaire hat zum einen die Richter angeklagt, auf das unsägliche Monitoire verwiesen (s.o.) –  und er hat den Blick auf England gerichtet, das damals bereits die Religionsfreiheit garantierte. Die Hauptschuld für diesen Justizskandal sah er jedoch bei den Fanatikern, der katholischen Kirche, den Weißen Büßern von Toulouse  – und dem “Geschrei des rasenden Pöbels”, dem unaufgeklärten, ungebildeten Volk.
(Voltaire: “… es ist nicht alles verloren, wenn man das Volk in den Stand setzt, zu merken, dass es einen Geist hat.”)

Was bleibt?

Dass Voltaire am Beispiel Calas für eine umfassende Strafrechtsreform eintrat und England, wo Gerichtsverhandlungen nicht geheim waren, als glühendes Beispiel hinstellte, hat in Frankreich dafür gesorgt, dass der Willkür der Richter ein Riegel vorgeschoben wurde.

“Unser Ziel muss sein, die Fanatiker um ihren Einfluss zu bringen!”

Dass sich Voltaire 1763 in seiner Schrift “Über die Toleranz” (Traité sur la tolérance) vehement für Religionsfreiheit aussprach und nachwies, dass Jean Calas vor allem ein Opfer des Fanatismus wurde, ist für uns alle Verpflichtung, wachsam zu sein.

Voltaire hat die Affäre Calas für die Fortführung seines eigenen Kampfes gegen Fanatismus und Aberglauben benutzt. Dabei setzte er auf Vernunft, Toleranz und Bildung – und auf öffentlichen und freien Zugang zu allen Informationen – hohe Güter, die auch heute, im 21. Jahrhundert, von uns gehegt, beschützt und verteidigt werden müssen.

Helene Luise Köppel

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Fotos: Helene L. Köppel privat

Quellen:

Authentische Briefe welche das traurige Schicksal der reformierten Familie Calas zu Toulouse nach der Wahrheit vor Augen legen”, aus dem Französischen übersetzt, 1762, 44 S. (in Privatbesitz Helene L. Köppel)

Albert Gier/Chris E. Paschold”, Voltaire. “Die Toleranz-Affäre”, Bremen, 1993

“Voltaire – Über die Toleranz, 1763, in: “Recht und Politik”, Hg. und Nachwort von Günther Mensching, Frankfurt/M. 1978

Zitate:

Voltaire “Für Wahrheit und Menschlichkeit”, Stuttgart 1939
Voltaire “Korrespondenzen aus den Jahren 1749 bis 1760, Leipzig 1978
Voltaire ” Philosophisches Wörterbuch, Leipzig 1984

Belletristik:

Helene L. Köppel, “Die Affäre Calas”, Berlin 2008; “Die Affäre C.”, 2013, Taschenbuch u. E-book

Anmerkung:

* Weiße Büßer von Toulouse: Diese Bruderschaft wurde Anfang des 13. Jahrhunderts in Toulouse gegründet, um das Kreuzfahrerheer im Kampf gegen die Katharer zu unterstützen; 1614 Neugründung; sieben eigene Häuser in Toulouse, relativ unabhängig von der römisch-katholischen Kirche; am Gründonnerstag zog die Bruderschaft in stundenlanger Prozession durch die Stadt.

 

 

ESCLARMONDE von Foix – die Jeanne d’Arc des Südens

ESCLARMONDE von Foix – Historisch

ESCLARMONDE („Licht der Welt“, französisch: éclair du monde) – die Vizegräfin von Foix (Südfrankreich, Ariège) war eine Katharerin, eine geweihte Perfekte – ja, die wohl berühmteste katharische Perfekte überhaupt. Noch heute wird sie die “Große Exclarmonde” genannt, manchmal liebevoll “princesse cathare”, und mitunter auch “Jeanne d’Arc des Südens”.

Geboren um das Jahr 1180 (?) als Tochter des Grafen Roger Bernard I. von Foix und dessen Ehefrau Cecile von Béziers, lagen mütterlicherseits ihre Wurzeln im Hause Trencavel (Carcassonne/Béziers). Sie liebte zeitlebens ihren temperamentvollen Bruder Raimond-Roger von Foix*, im Volk auch “der Zänker” genannt.
Esclarmonde war verheiratet mit dem Seigneur Jourdain III. von L’Isle-Jourdain. Die beiden hatten fünf Kinder.

Nach dem Tod ihres Mannes – um das Jahr 1200 – schloss sich Esclarmonde den Katharern an. Im Jahr 1204 erhielt sie aus der Hand des berühmten Katharerbischofs Guilhabert de Castres das Consolamentum (die Geisttaufe), womit sie in die Gemeinschaft der Perfekten (weiblich Perfektas) aufgenommen wurde.

Als Katharer parfaite gehörte Esclarmonde im Jahr 1207 der Konferenz von Pamiers an (auch Konferenz von Montréal genannt), einem der letzten friedlichen Wortgefechte zwischen Katholiken und Katharern.
Hier wurde sie von Dominikus von Guzmán** zum Schweigen und zum Bedienen ihres Spinnrockens angehalten. Es stehe einer Frau nicht an, hatte sich der katholische Bußprediger ereifert, sich in einem theologischen Disput zu äußern.

Esclarmonde

Esclarmonde eröffnete zahlreiche Häuser für Katharer-Frauen, bildete junge Mädchen aus, war verantwortlich für die Einrichtung von Schulen und Krankenhäusern in der ganzen Region, u.a. in den Pyrenäen, in Dun und in der Stadt Pamiers. Auf ihre Initiative hin wurde die Festung auf dem Montségur ausgebaut, auf die sich später die Elite der katharischen Theologen zurückzog.
Im Jahr 1208 wurde von Innozenz III. der Albigenserkreuzzug ausgerufen.

Der Montségur wurde 1243/1244 ein Jahr lang von den Kreuzfahrern belagert und dann erobert.

Ihr Testament – 28. Dezember 1229
Über den genauen Zeitpunkt ihres Ablebens war lange nichts bekannt. Heute weiß man, dass das Testament der “Ermessindis … comitissa Fuxensis ac vicecomitissa Castro-bono” datiert ist auf den 28. Dezember 1229 – auf ihrem Totenbett.

Ein Irrtum – oder eine Verwechslung?
Dass sie am 16. März 1244 den großen Scheiterhaufen bestieg, der am Fuße des Montségur errichtet worden war, ist eine Legende – vielleicht eine Verwechslung mit Esclarmonde von Pereille, der blutjungen Tochter des damaligen Verteidigers des Montségur, die sich freiwillig in die Flammen stürzte.

Nachstehend ein Foto, das die “Große Esclarmonde” als Göttin Diana zeigt, die mit dem Speer ihren Glauben verteidigt:

Anmerkungen:

*Ramon-Roger von Foix (1167-1223), Graf von Foix, genannt der Zänker oder der Liebhaber; Bruder von Esclarmonde, stritt bis zu seinem Lebensende unbeirrt für die Sache des Südens; eifriger Beschützer der Katharer, selbst aber kein Häretiker. Seine Ehefrau Philippa von Aragón-Moncade (1170-1222) hing dem waldensischen Glauben an. Kinder Cecilie, Roger-Bernhard, Esther.

**Dominikus von Guzmán: – später Der Heilige Dominikus, (1170-1221), Gründer des Predigerordens der Dominikaner, reiste – barfuß wie die Katharischen Perfekten – mit seinem Bischof Diego durch Okzitanien, um die Katharer umzustimmen, weil er erkannte, dass die übliche Predigt aufgrund des prunkvollen Auftretens der katholischen Prälaten wenig erfolgreich war. Er gründete ein Kloster für bekehrte Frauen in Prouille, als Gegenpol zu den Frauenhäusern der Katharer, in denen auch katholische Mädchen eine Ausbildung erhielten.

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ESLCARMONDE von Foix – im Roman

Mein Erstling ESCLARMONDE erschien 2002 im Aufbau-Verlag, Berlin, unter dem Titel “Die Ketzerin vom Montségur”. Das Buch hielt sich über zehn Jahre auf dem Buchmarkt und war lange Zeit nur noch antiquarisch erhältlich. Nach der Rechterückgabe im Jahr 2013 habe ich den Stoff überarbeitet, zuerst als E-book und im Jahr 2018 als Print-Neuausgabe herausgebracht. Der Roman ist eigenständig zu lesen – steht jedoch, historisch gesehen, an dritter Stelle meiner Sonderedition KATHARER-Romane:
ALIX – SANCHA – ESCLARMONDE – RIXENDE – BÉATRIS – MARIE.

“ESCLARMONDE – Die Ketzerin vom Montségur 
Kurzer Romaninhalt:

Es lebe der Gott der Liebe! Im Jahr 1244 schreibt Bertrand von Blanchefort, den sicheren Tod vor Augen, ein Testament, in dem er seine Geschichte erzählt – ein Leben im Zeichen grausamster Verfolgung von Christen durch Christen und der verbotenen Liebe zu einer Ketzerin.

Ein Kreuzritterheer zieht im 13. Jahrhundert im Namen des Papstes seine blutige Spur durch Südfrankreich. Das Land ist gespalten in Katholiken und Katharer. In dieser grausamen Zeit begegnen sich die Katharerin Esclarmonde und der Tempelritter Bertrand. Ihre Liebe steht unter einem schlechten Stern, denn beide sind durch ein Keuschheitsgelübde gebunden.
Als Bertrand Jahre später unter Einsatz seines Lebens den legendären Schatz des Salomon in Sicherheit bringen soll, trifft er Esclarmonde auf der Festung Montségur wieder, und sie erleben eine Liebe, die über jeden Zweifel erhaben ist.

(440 Seiten, TASCHENBUCH, E-BOOK UND KINDLE UNLIMITED)

ESCLARMONDE – Kurze Leseprobe:

” … Wie selbstverständlich hatte sich die Schwester des Grafen, jene Esclarmonde, von der bei der Papstaudienz die Rede gewesen war, manches Mal zu uns gesellt. Sieh an, das also ist eine Ketzerin, hatte ich bei mir gedacht, als ich ihr vorgestellt wurde. Die Vizegräfin war im Gegensatz zu ihrem Bruder hochgewachsen, schlank und besaß einen federnden Gang, an dem ich sie schon von weitem erkannte, wenn sie mir auf den Gängen der Burg begegnete. Zwar war sie höflich und neigte anmutig den Kopf mit den dunklen, schweren Flechten, wenn ich sie grüßte, aber sie verhielt sich ausgesprochen zurückhaltend mir gegenüber, bei manchen Gelegenheiten schien es sogar, als ob sie mich ablehnte. Nun, das konnte ich ihr nicht verübeln, schließlich war ich rechtgläubiger Tempelritter und sie Katharerin. Ich selbst ging ihr nach einer Weile aus einem bestimmten Grunde lieber aus dem Weg: mehr als einmal hatte sie Erklärungen meinerseits ausgesprochen spöttisch kommentiert, und das ist eine Eigenschaft, die ich bei den Frauen ganz und gar nicht ausstehen kann …”

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Helene L. Köppel

Ille-sur-Têt und König David

Ille-sur-Têt (auf Katalanisch Illa) ist eine lebendige französische Gemeinde im Département Pyrénées-Orientales in der Region Languedoc-Roussillon. Der Ort hat ca. fünftausend Einwohner und liegt am Fuße der Pyrenäen, südlich der Têt, etwa 25 km westlich von Perpignan – und mitten im Zentrum des Pfirsichanbaus.
(alle Fotos HLK, 2013 bzw. 2008)

Unübersehbar ist die Kirche St. Etienne, 17. Jh. Sie steht im Ortszentrum, auf dem Platz ihrer romanischen Vorgängerkirche, von der es kaum noch Spuren gibt. Nur der imposante Turm (ein sog. “lombardischer” Turm) stammt noch aus dem Mittelalter und evtl. verschiedene Skulpturen, die man im Außenbereich der Kirche wieder angebracht hat, z.B. dieses alte Sonnensymbol:

Tausendfünfhundert Gläubige haben Platz in diesem Gotteshaus: Ein Schiff mit zwölf Kapellen und Seitenaltären.

Wie viele alte Kirchen (z.B. Limoux NDdM) – hat man auch den Vorgängerbau von St. Etienne in der Nähe eines Brunnens errichtet. Das deutet auf ein noch viel älteres, heidnisches Heiligtum hin (Brunnenheiligtum?), das sich dort einst befand.
Der “Font de la Vila”
ist noch heute zu besichtigen.

Am Eingangstor und auf den Stufen rosa Marmor, der aus dieser Gegend stammt und zwar aus Bouleternère. Fassade und Pfeiler sind aus Granit von Nefiach.

Innen und Außen ist viel Barock zu sehen. Nachstehend der Heilige Etienne (Stefan). Die roten Säulen sind aus Marmor von Caunes.

Dieses prachtvolle Fenster zeigt das Wappen/ die Flagge von Ille-sur-Têt:

Zur Baugeschichte: Die Stadtgemeinschaft von Ille-sur-Têt erhob im 17. Jahrhundert, zur Bauzeit dieser Kirche, eine eigene Steuer, um die nötigen Gelder zusammenzubringen. Verschiedene BRUDERSCHAFTEN (Sanchbrüder) – sowie Einzeltestamente von Mäzenen aus dem Bürgertum – trugen ihr Scherflein zum Bau bei.

Das Gemälde Kreuzabnahme, im nächsten Foto links, scheint eine Replik des Malers Tournier zu sein (?), das Original hängt in Toulouse.

Nachstehend einer der vielen Altäre:

König David

Und hier stieß ich auf eine ganz außergewöhnliche, vergoldete Figur, die David mit der Harfe darstellt. Der zweite König von Juda und Israel (nach König Saul), soll ein großer Sänger und Dichter gewesen sein (Psalmen). Er lebte um 1000 vor Christus.

(Anmerk.: Eine vergleichbare Statue steht in Jerusalem in der Nähe von Davids Grab auf dem Zionsberg. Diese wurde aber erst 2008 erstellt. )

Dass hier, wie in vielen Orten Kataloniens, Sanch-Prozessionen in der Karwoche stattfinden (in Ille-sur-Têt am Gründonnerstag!), davon zeugt auch dieses große Outragekreuz mit den Folterwerkzeugen. Im Hochmittelalter nannte man sie “Die Schwarzen Kreuze”.

Besondere Verehrung scheint in Ille-sur-Têt der berühmte Pfarrer von Ars zu erfahren, mit bürgerlichem Namen Jean Marie Vianney. Sein Leben wurde von dem französischen Autor Georges Bernanos (1888-1948) beschrieben, dem mit seinem Debütroman “Die Sonne Satans” der Durchbruch als Schriftsteller gelang. Bernanos galt fortan als Vertreter des neuen theologischen Romans. Seine Stoffe beschäftigen sich mit der Stellung des Menschen zwischen Gut und Böse, zwischen göttlicher und teuflischer Macht. Das Buch wurde verfilmt.

Auch ein deutscher Autor – Walter Nigg –  hat sich mit dem Pfarrer von Ars beschäftigt:Von Reise zu Reise bewahrheitet sich für mich eines immer mehr: In Südfrankreich muss man in alle Ecken gucken, selbst in die finstersten! Hilfreich ist dabei eine kleine Taschenlampe, denn die Lichtschalter in den alten Kirchen befinden sich oft an den ungewöhnlichsten Stellen.

Auch in Ille-sur-Têt hat sich meine Neugierde ausgezahlt:  In der Nische einer abseits gelegenen, dunklen Seitenkapelle entdeckte ich eine der ROMANISCHEN MADONNEN  (Schwarze Madonnen), denen ich seit Jahren hinterherlaufe. Von ihrer Existenz in St. Etienne hatte ich nichts geahnt. Umso größer war natürlich meine Freude.

Ein alter Kult

Später fand ich heraus, dass in Ille-sur-Têt ein alter örtlicher Kult der NOSTRA SENIORA DE LA LLUNA existierte (Lluna = Mond) – vielleicht in Verbindung mit dem schon erwähnten Brunnenheiligtum?


Die Herrin vom Mond also. Eine Mondgöttin? Ganz sicher ein Hinweis auf ältere Glaubenskulte in der Gegend, s. auch meinen Artikel über Mirepoix – die Stadt der Belisama. Heute haben die alten Göttinnen keine Daseinsberechtigung mehr. Für sie balanciert längst munter die Muttergottes auf der Mondsichel, z.B. in Paris, Notre Dame:

Die Orgelpfeifen

Die wohl größte (und älteste) Sehenswürdigkeit in der Umgebung von Ille-sur-Têt sind die sog. Orgues: Es handelt sich um Sandsteinfelsen aus dem Pliozän im Tertiär. Der Fluss Têt hat das Material aus den Pyrenäen hier abgelagert. Die Orgues sind – wie die alten Götter –  dem Untergang geweiht, denn die Erosion hält noch immer an:

Danke für die Aufmerksamkeit!

Helene L. Köppel

Boule d’Amont und die Gekreuzigte Frau

Boule d’ Amont

Auf meiner Pyrenäenreise im Jahr 2013 verschlug es mich u.a. in den kleinen Ort Boule d’Amont  (Département Pyrénées-Orientales, Nähe Prades). Dieser Ort war bereits in der Jungsteineit bewohnt. In der Nähe gibt es Dolmen und Menhire.
Die im Ortskern stehende Pfarrkirche Saint-Saturnin stammt aus dem 11. Jahrhundert, sie wurde 1972 in das Zusatzverzeichnis der Monuments historiques eingetragen.

In dieser Kirche entdeckte ich sonderbare Dinge – doch alles der Reihe nach. Zuerst treten Sie bitte ein …

Beginnen wir mit Gott Vater, der sich hier im Kopfschmuck des Sol invictus zeigt. Auf Sonnensymbole trifft man in den Pyrenäen häufig.

Auch Maria, die Himmelskönigin, wird in Südfrankreich gern als Sonnenkönigin dargestellt – hier mit Strahlenkranz und prachtvollen Ohrgehängen:

Die “üblichen Verdächtigen” (Antonius von Padua, St. Germaine usw.), die man in fast allen Kirchen Frankreichs findet, stelle ich in diesem Beitrag nicht vor, dafür die berühmte und hochverehrte “Madonna von den Treppen” – (die ich an diesem Tag vergeblich im Kloster Marcevol gesucht hatte; die Madonnen befinden sich leider nicht immer dort, wo sie eigentlich hingehören).

Aber da war sie nun endlich, in Boule d`Amont, gut gesichert hinter Glas:

(Nachstehend oder besser “sitzend”: Notre Dame de las Gradas, 11. Jh, romanische Sitzmadonna, Foto HLK.)

Eine weitere spannende Entdeckung in Boule d`Amont:

Jahrelang suchte ich nach ihr, deshalb freute ich mich unbeschreiblich, als ich im Juni unverhofft auf sie stieß:

“Notre Dame de Vie” (Unsere Frau vom Leben)

Ich wusste, dass es sie gab, doch wo? Das Vertrackte bei meiner Suche war gewesen, dass auch etliche Romanische Madonnen diesen Namen tragen, z.B. in Villefranche de Conflent. Mein Interesse galt aber einer ganz besonderen “Dame vom Leben”, einer ländlich-rustikalen Pyrenäenmadonna – wie ich sie nun zufällig in Boule d`Amont fand.

Die Figur mutet androgyn an. Spontan erinnerte ich mich an die Offenbarungsrede auf dem Nag Hammadi-Papyrus, in der eine weiblich-männliche Allgöttin spricht:
“Ich bin das Haupt des Alls, die ich vor einem jeden da bin .. ich bin es, der das Wasser hervorsprudeln ließ”

(s. auch “Die Affäre C.“)

Mein Interesse an dieser Madonna hängt – wie soll es anders sein – mit meiner Arbeit zusammen, der Schriftstellerei – und hier insbesondere der Cagotenforschung (Cagots = eine noch im 19. Jh verachtete Pyrenäenpopulation). Mein dritter Thriller “Talmi” beschäftigt sich im historischen Part mit diesen Cagoten. Deshalb möchte ich hier nichts verraten. Es war jedenfalls ein unbeschreibliches Gefühl für mich, als ich die Inschrift unter den Füßen dieser sonderbaren Madonna entdeckte:
Notre Dame de Vie.


Und nun zur Gekreuzigten Frau:

Es gibt sie, die Gekreuzigten Frauen, aber ich selbst hatte noch kein Abbildnis vor Ort gesehen. In den meisten Fällen handelt es sich wohl um die Heilige Kümmernis  (auch St. Wilgefortis genannt). Vom eigenen Vater (König) gezwungen, einen Heiden zu heiraten, erflehte sich die junge Christin von Gott einen Bart. Ihr Wunsch ging in Erfüllung – worauf der wütende König sie ans Kreuz nageln ließ. Soweit die Legende.

Ergänzend ist zu sagen, dass die Heilige Kümmernis in der Mythologie als Nachfahrin einer keltischen Baumgöttin gesehen wird, die einst am Querholzbaum gebunden im Wald hing – was jedoch die Kirchengeschichte nur ungern zugibt.

Eine Frage bleibt wohl für immer offen – Die goldene Kümmernis, die in Boule d’Amont ausgestellt ist, trägt KEINEN BART – hängt aber dennoch am Kreuz. Eine französische Variante der Legende? Nun, vielleicht bekomme ich es eines Tages noch heraus!

Diese gruselige Story kann man übrigens auch in der Märchensammlung der Gebrüder Grimm nachlesen: “Die Frau Kümmernis”.

 

Der österreichische Dichter, Avantgardist, Naturforscher und Sprachkundler Bodo Hell ( geb. 1943 in Salzburg ) hat ein Gedicht über die Kümmernis geschrieben, das ich irgendwann zufällig in “KUNSTUNDKULTUR” gefunden habe.

Ein kleiner Auszug:

Frau Kümmernis
wie schön gewandet stehst du da
samt deinen güldnen Schuhen,
die Hände flach ans Holz gespießt
hast keine Zeit zum Ruhen …”

Ich danke herzlich für Ihr Interesse!

Helene L. Köppel

LESEN HÄLT WACH – garantiert!

 

 

 

 


Der rätselhafte Meister von Cabestany

(Alle Fotos HLK 2009/2013)

Niemand weiß, wer sich hinter ihm verbirgt. Einig ist man sich heute, dass er ein hochbegabter Bildhauer des Romanischen Mittelalters war (12. Jh), mit einer außergewöhnlichen Spannbreite, was sein Schaffen betrifft. Als Herkunftsort vermutet man die kleine französische Gemeinde Cabestany, nahe Perpignan. Hier existiert seit einigen Jahren ein modernes Museum – eine Art Forschungszentrum –, das seine Werke angemessen und geschmackvoll präsentiert.

Als ich mich im Jahr 2009 im Kloster St. Hilaire (Aude) aufhielt, traf ich zum ersten Mal auf diesen Künstler. Denn dort befindet sich der berühmte Sarkophag des Heiligen Saturnin – ein Spätwerk des Meisters von Cabestany. Ungewöhnlich fand ich damals die vielen neugierigen Tier- und Maskenköpfe zwischen den Beinen der Figuren. Ein Hinweis auf die Kräfte des Bösen, auf das Tier, das in jedem Menschen steckt?

War der Meister von Cabestany ein seltenes Naturtalent? Oder ging er irgendwo in die Lehre?

Es ist denkbar, dass er sich während seiner Schaffenszeit an unterschiedlichen Baustellen aufhielt. Das 12. Jahrhundert war ja bekanntlich eine Epoche des Ausbaues der Klöster und Pilgerstraßen, aber auch des beginnenden Kathedralbaues – Bollwerke gegen die sich ausbreitende Katharer-Häresie.

Vielleicht hat der Meister von Cabestany seine Kunstfertigkeit sogar im nahen Toulouse erworben, als seinerzeit unzählige Bildhauer die berühmte Basilika  St. Sernin ausgestalteten. (Das imposante Gotteshaus wurde um die Mitte des 12. Jahrhunderts fertig.)

Dass man den Meister von Cabestany heute zeitlich einordnen kann – und zwar in die zweite Hälfte des 12. Jahrhunderts – ist einem Zufall zu verdanken: Auf dem Schmuckbogen der in der Nähe von Cabestany gelegenen Abtei Lagrasse, den er ebenfalls geschaffen hat, sind die Namen zweier Äbte eingemeißelt: Wilhelmus und Rotbertus, die im Jahr 1157 bzw. 1167 amtierten.

Das nachstehende Foto entstand in Barcelona, im Museu d`Art de Catalunya. Der Künstler wurde dort nicht genannt, doch mein Verdacht erhärtete sich, als ich in der Woche darauf in Cabestany den großen Pferdekopf sah. Die Ähnlichkeit kann meines Erachtens nicht geleugnet werden.

Ein Exportschlager aus dem Mittelalter?

Der immens fleißige Meister von Cabestany (mehr als 120 Werke werden ihm inzwischen zugeordnet) arbeitete stets mit dem Stein, der in seiner Umgebung vorkam (z.B. mit dem weißen Marmor von Ceret). Überall in Katalonien (Südfrankreich/Nordspanien) kann man seine Werke entdecken – vorzugsweise entlang der zahlreichen Pilgerstraßen nach Santiago de Compostela.

Überraschenderweise lassen sich aber auch in der Toskana (San Antimo bei Siena) Werke von ihm finden, z.B. die außergewöhnlichen Löwenfiguren des Meisters.

Was genau war nun der Meister von Cabestany?

Ein Berufsbildhauer? Ein einzelner Steinmetz mit herausragender Begabung? Oder gar ein Architekt (im Sinne von Anführer) – der womöglich in der Diözöse Narbonne eine große Werkstatt besaß und viele Gehilfen beschäftigte, die alle nach seinen Vorgaben arbeiteten?
Letzteres lässt sich nicht ausschließen – und es ist eine Vorstellung, die mir gefällt.
Für mich steht fest, dass der Beruf des Meisters von Cabestany zugleich seine Passion war, und dass seine Fantasie keine Grenzen kannte!
(Fotos Flötenspieler, die wie Oktobusse aussehen, Fries.)

Eine letzte These …

Nachdem sich viele seiner Werke in den bedeutendsten Benediktinerklöstern befinden, könnte der Meister von Cabestany auch ein frommer Mönch gewesen sein, der sich der Bildhauerei verschrieben hatte.  (Im nächsten Bild das berühmte Agnus Dei des Künstlers.)

Zu meiner Überraschung stellte ich bei meinem Museumsbesuch in Cabestany ( im Juni 2013) fest, dass sich der Meister von Cabestany auch mit dem Glauben der Katharer (Dualismus: die Lehre der zwei Welten) befasst hatte, denn er verwendete für den “Gefallenen Engel” (Luzifer) ausnahmsweise schwarzen Marmor.

(Das Original dieses außergewöhnlichen Kunstwerks befindet sich angeblich in Rieux-Minervois, L’Assomption-de-Notre-Dame).

Je länger ich mich mit dem unbekannten Meister beschäftigte, desto mehr faszinierten mich seineBildwerke, die er übrigens nie signiert hat. Dennoch sind sie selbst für einen Laien relativ leicht zuzuordnen: Oft bohrt er Löcher in die meist mandelförmigen Augen. Die Hände hingegen sind extrem lang – wie die der Romanischen Madonnen. Und überall tauchen diese eigentümlichen, surrealistisch anmutenden Friese auf, mit ihren Tier- und Maskenköpfen.

Nachstehend ein gelungener Widderkopf …

und immer wieder Engel …

Eine kleine Provokation?

Äußerst selten wird in der Kunst die Jungfrau Maria in einer MANDORLA dargestellt, wie man jenen mandelförmigen Rahmen um ihren Körper nennt. Üblicherweise thront nur Christus selbst (als Pantokrator oder Majestas domini) in solchen Mandorlen.
Lag der Grund für diese Abweichung in der glühenden Marienverehrung, die das 12. Jahrhundert auszeichnete?

Das Original befindet sich wie auch der “Gefallene Engel” in Rieux-Minervois.

Begeistert haben mich auch die zahlreichen Ornamente, Blüten und Blumen, die sich der Meister von Cabestany ausgedacht hat.
Hier ein immer wiederkehrendes Motiv, das mir besonders gefällt:

Das Schlüsselwerk des Künstlers …

befindet sich nicht im Museum, sondern in der Pfarrkirche von Cabestany (hinter dem Museum): Der berühmte Tympanon des Meisters!
Er ist wie die meisten seiner Arbeiten aus weißem Marmor gefertigt (im oberen Teil leider beschädigt).
Ursprünglich befand er sich wohl vor dem Haupteingang der Vorgängerkirche.
Auch hier wieder die Madonna in der Mandorla, wie man sie in Rieux-Minervois findet.

Der Tympanon birgt ein kleines Geheimnis:

Rechts und links neben dem segnenden Christus – mittig mit Bart und Schriftsatz (Hinweis auf das Neue Testament?) – stehen der Apostel Thomas und die Jungfrau Maria. Der “ungläubige Thomas” hält einen Gürtel mit mandelförmigen Symbolen in der Hand, den er der Legende nach von Maria erhalten hat.

So weit, so gut. Nur – woher hat dies der Meister von Cabestany gewusst?

Die Legenda aurea*, in der diese Begebenheit steht, ist jünger als der Bildhauer. Mehr als hundert Jahre!

Nun, der Meister von Cabestany kann es uns nicht erzählen. Er hat sich dem Schweigen verschrieben und verbleibt bis auf weiteres im Dunkel der Geschichte!

*Legenda aurea: Verfasser ist der Dominikaner Jacobus de Voraigne (1230-1298)

ERGÄNZUNG 20. NOVEMBER 2014:
Das Kloster von Sant Pere de Rodes (Katalonien), das ich im September 2014 aufsuchte, gehört zu einem der berühmtesten Baudenkmälern Kataloniens. Hier befindet sich ebenfalls ein Werk des Meisters von Cabestany:

Ich bedanke mich für Ihr Interesse und lade Sie nun nach Rieux-Minervois ein, um dort weitere Kunstwerke des Meisters zu entdecken!

 Helene L. Köppel

Limoux – Die Madonna ohne Kopf

Das Schicksal der “netten Marceillerin” mit dem verschmitzten Lächeln …

Im Sommer 2006 führte mich meine Recherchereise in eine alte, sonderbare Kathedrale in der Nähe von Limoux (Aude, Südfrankreich), von der ich u.a. wusste, dass im Mittelalter (13. Jh) sogar Frauen katharischen Glaubens regelmäßig hierher pilgerten.

In diesem Beitrag geht es speziell um sie – um die berühmte Schwarze Madonna von Marceille, die so nett lächelte. Eine erste Beschreibung fand ich bei Ean Begg (Die Unheilige Jungfrau), Bad Münstereifel 1989:

“Notre-Dame de Marceille. Statue aus hartem schwarzen Holz, 11./12. Jh. Der Reliquienschrein, auf einem Hügel außerhalb des Ortes, ist seit 1011 bekannt und seit 1380 als Wallfahrtsort bezeugt. Liegt in nur 18 km Entfernung von Rennes-le-Château, seit der Ermordung von Dagobert II. Zufluchtsort und Zentrum der merowingischen Blutlinie und damit verbundener Geheimnisse.
Die Schwarze Madonna heilt Blinde. Viele Exvotos, darunter Stücke von Brautschleiern.”

In meinem Roman “Die Affäre Calas” (E-book “Die Affäre C.), der zwei Jahre später erschien, schildere ich eine Begegnung meiner Protagonistin Sandrine (Ich-Erzählerin) und ihrer Freunde mit dieser außergewöhnlichen Madonna:

“Als wir das nördliche Querschiff betraten, ging plötzlich das Licht an. Wir rissen die Augen auf: Gold blitzte uns entgegen, Gold wohin man nur sah. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und einer dicken Glasscheibe saß die Schwarze Madonna …”

´Die hat ja ein helles Kind`, brach es aus Steffi hervor. Sie steckte die Kerze zu einem guten Dutzend anderer, die dort brannten, und stieg die Stufe hoch, um die Madonna näher zu betrachten. ´Überrascht?`, fragte Sokrates. ´Das Dunkel und das Licht. In der Nacht, als Salomon mit der Königin von Saba seinen Sohn Menelik zeugte, sah er im Traum eine hell scheinende Sonne, ein heiliges Licht aus dem Himmel kommen …`

Dieser Mann hatte eindeutig seinen Beruf verfehlt, er hätte Prediger werden sollen …

´Weiß man denn, woher diese Madonna ursprünglich kommt?`

´Ein Bauer hat sie beim Pflügen gefunden. Er nahm sie mit in seine Hütte, am nächsten Morgen war sie verschwunden. Da lief er auf den Acker zurück und fand sie erneut an Ort und Stelle, so dass die Leute beschlossen, dort eine Kathedrale zu bauen. So erzählt es die Legende. Wie es genau war, weiß ich nicht.`

Dass Sokrates einmal zugab, etwas nicht zu wissen, erfreute mich regelrecht! Als er mir Platz machte, stieg ich hoch, um durch das Gitter hindurch ein Foto zu schießen. Ich bin schwarz, aber schön – Tochter von Jerusalem, ging es mir durch den Kopf. Ein bisschen konnte ich verstehen, weshalb die Weißen Büßer sie verehrt hatten …”

(Alle Fotos HLK, 2006)

Ein Jahr nach meinem Besuch in der Kathedrale Notre-Dame de Marceille (mozarabischer Baustil) erreichte mich eine schlimme Nachricht, die mich betroffen und wütend zugleich machte:

VANDALISMUS!

In der Nacht vom 30. September auf den 1. Oktober 2007 – also noch vor dem Erscheinen meines Romans – hatten Vandalen der “netten Marceillerin” den Kopf abgeschlagen und entwendet. Auch ihr goldener Mantel wurde gestohlen. Einzig das Jesus-Kind auf ihrem Arm blieb verschont.

 

Eine Parallele zum in der Nähe gelegenen Ort Rennes-le-Château, wo ein Verrückter Jahre zuvor dem Teufel des Priesters Saunière den Kopf abschlug?

Leider weiß ich nicht mehr, wer die Aufnahme, die offenbar kurz nach dem Attentat auf die Madonna entstand, gemacht hat. Das Foto war vermutlich auf der Seite des Autors Philipp Coppens (+2012) abgedruckt, der seinerzeit schrieb, dass die Statue durch ein elektrisches Alarmsystem geschützt gewesen sei, dieses jedoch in den Wochen zuvor nicht funktioniert hätte. Schon zweimal, so Coppens, einmal während der Französischen Revolution und einmal in den 1980er Jahren, sei die Madonna gestohlen worden. Bei einem Antiquitätenhändler sei sie Monate später wieder aufgetaucht.

ENDE GUT – alles gut?

Die nette MARCEILLERIN hat natürlich längst einen neuen Kopf erhalten – doch dieser hat mich enttäuscht:

(Foto I. u. W. Dill, München – mit bestem Dank!)

Das verschmitzte Lächeln ist verschwunden – wie auch das kleine Loch auf ihrer Nase.

Schade …

Weitere magische Geschichten über Limoux? 

Die Mönche der Abtei Saint-Hilaire und die Blanquette de Limoux

Limoux (Aude) – und die rätselhafte Kapelle der Augustiner