Vorsätzlich zerstört? –
Cerrillo Blanco (Porcuna) – der bedeutendste Fund in der Iberischen Archäologie

Porcuna – das Erbe der antiken Kulturregion Ipolca Oretana

Die südspanische Kleinstadt Porcuna (ca. 6000 Einwohner) liegt im Westen der Provinz Jaén, in der Autonomen Gemeinschaft Andalusien, ungefähr 70 km westlich von Córdoba. Sie ist das Erbe der antiken iberischen Kulturregion Ipolca Oretana, die sich nach dem 7. Jh. v. Chr. entwickelte (keltische Einflüsse).
Die hier gefundenen archäologischen Überreste beweisen jedoch bereits eine stabile Besiedlung seit Beginn der Eisenzeit. Außer Zweifel steht, dass Porcuna, das im Quellgebiet mehrerer Bäche liegt, viele Jahrhunderte lang das wirtschaftliche Zentrum des Gebiets zwischen den Städten Cástulo und Córdoba war – mitunter jedoch mit seinen Besitzern den Namen wechselte.
Laut dem antiken griechischen Geschichtsschreiber Strabon waren die ersten Siedler in dieser Gegend die sog. TARTESSER (s. unten). Sie befestigten das Dorf und gaben ihm den Namen NELIA. Im 8. Jh. v. Chr. sorgten die PHÖNIZIER für den weiteren Ausbau der Befestigungsanlagen.
In IBERISCHER ZEIT (s. unten) hieß der Ort OBULCO und war ein Agrar- und Handelsdorf, das seine eigenen Münzen prägte (mit einer Kornähre als Symbol).
Im Jahr 38 v. Chr., also während der RÖMISCHEN HERRSCHAFT (206 – 19 v. Chr.), bereitete Julius Cäsar im Oppidum Obulco seine Armee auf die berühmte Schlacht von Munda vor. (Die Schlacht von Munda war die letzte Schlacht im Bürgerkrieg zwischen Cäsar und den konservativen Republikanern.)
Der Ort ist nun durch römisch geprägte Münzen nachweisbar – sowie durch die Erwähnung als eine der Stationen der Via Herculea, später Via Augusta genannt.
WESTGOTISCHE Zeugnisse über den Ort fehlen.
Während der muslimischen Herrschaft (AL-ANDALUS 711 – 1492 n. Chr.) wurde Obulco in BOLCUNA umbenannt.
Seinen heutigen Namen PORCUNA erhielt der Ort schließlich im Jahr 1238, in der Zeit der RECONQUISTA (christliche Rückeroberung 792 – 1492 n. Chr.).

(Porcuna wurde später zur Verteidigung und zur Wiederbesiedlung dem Orden von Calatrava übergeben. Dieser Orden gehörte ursprünglich zur Familie der Zisterzienserorden.)

Die Ausgrabungsstätte Cerrillo Blanco

Der von ausgedehnten Olivenhainen umgebene Tumulus (Grabhügel) Cerrillo Blanco, 4 km nördlich der Kleinstadt Porcuna, geht auf das 7. Jh. v. Chr. zurück, auf die Zeit der sog. Tartesser (s. unten) .
Er weist 24 Einzelgräber in Gruben auf – und eine iberische Nekropole, die über einer Nekropole aus der späten Bronzezeit errichtet wurde: Ein sog. Megalith-Grab für zwei Personen (Doppelbestattung).

Im Grabhügel von Cerrillo Blanco haben die Archäologen im Jahr 1975 eine sensationelle Entdeckung gemacht …

In einem mit großen Steinplatten bedeckten Graben fanden sie 40 iberische, künstlerisch hochwertige Skulpturen aus weißem Sandstein:

Bildnisse von mythologischen Tieren, von Göttern, von heldenhaften Kämpfen zwischen Mensch und Tier, von Jagdszenen und Pferden – sowie eine Figurengruppe, die vermutlich auf die Familiengeschichte der damaligen Aristokratie abzielt, d.h. es könnte sich um reale Abbildungen der Herrscher von Porcuna aus dem 5. Jh. v. Chr. gehandelt haben.

Soweit so gut (oder so erfreulich, möchte man meinen), wenn – ja, wenn all diese prachtvollen Skulpturen nicht vorsätzlich zerstört gewesen wären, ja, teilweise sogar regelrecht verstümmelt!

Der seinerzeit verwendete weiße Sandstein stammte aus den Steinbrüchen von Santiago de Calatrava, südlich von Porcuna. Er wurde nach der Bearbeitung von dem Künstler/den Künstlern so lange geschliffen und poliert, bis eine hohe ästhetische Qualität erreicht worden war.

Rache? Antiker Vandalismus?

Wie im Rausch hatten die Zerstörer den teils über 1 m hohen menschlichen Figuren ihre Identität genommen, ihnen vorzugsweise Arme, Hände oder Füße abgeschlagen.
Es war nicht nur blinde Wut, es muss etwas Persönliches dahintergesteckt haben – denn ganz besonders gründlich waren die Gesichter zerschlagen worden!

Einer der “weißen Damen” (heute genannt Woman with Child) schlug man sogar das Kind auf dem Arm ab; einer anderen kopf- und armlosen Frau (Woman with Snake) beließ man einzig die Schlange, die noch immer ihre Schulter schmückt.

Was war diesem beispiellosen Vandalismus vorausgegangen, dem auch die mythologischen Figuren und Götter zum Opfer fielen?
Tyrannei? Grausamkeit? Blasphemie? Vielleicht ein allzu ausschweifender Lebenswandel der adligen Herrscher von Porcuna?
Oder war diese Familie gewaltsam durch eine andere Elite (mit anderer Götterwelt?) ersetzt worden?
Vorgänger müssen nicht selten die Rache ihrer Nachfolger fürchten!

Es gibt aber noch einen anderen Verdacht: Dieses merkwürdige Vorkommnis könnte im Zusammenhang mit einer mysteriösen, zwischen 520 und 480 v. Chr. in mehreren iberischen Gebieten verbreiteten Zerstörung von Kultstätten stehen.
Zeitlich käme es hin, gesichert ist jedoch nichts …

Die Rettung der Fragmente im 5. Jh. v. Chr. – Schwerstarbeit!

Es muss jedoch damals in Porcuna mindestens eine Person – besser eine Gruppe von Menschen – gegeben haben, die diese Zerstörung missbilligte.
Diese Leute transportierten nämlich – womöglich bei Nacht und Nebel und unter Gefahr für das eigene Leben ? – die insgesamt mehrere 100 Kilo schweren Fragmente hinaus zum Tumulus – also zur 4 km entfernten alten Nekropole, die hier im 7. Jh. v. Chr. angelegt worden war.
In einer von ihnen wieder hergerichteten alten Grablege bestatteten sie anschließend die 1400 Fragmente – “mit größter Sorgfalt!”, wie es aus Archäologenkreisen heißt.
Zuletzt bedeckten sie das Versteck noch mit großen, schweren Steinplatten.

Eine wirklich spannende Geschichte aus der Antike – zumal es sich bei diesem Fund nicht nur um die bislang bedeutendste und monumentalste Ausbeute in der iberischen Archäologie handelt, sondern zugleich um einen wichtigen Schlüssel zum Verständnis des damaligen Totenkults und der damaligen Kultur.

Heute zählen die Skulpturen zum Bestand des Museo Arqueológico Nacional de España in Madrid und können im Provinzmuseum von Jaén besichtigt werden (s. nachstehende Fotos).

Verschiedene Urnen, Vasen, Schalen – Fundstücke, die in der Grablege aus der Jungsteinzeit entdeckt wurden
(Brandbestattung 4. – 2. Jh. v. Chr.), können heute ebenfalls im Museum von Jaén bewundert werden.

Das sagenhafte Tartessos – das “Atlantis” Spaniens?

Das sagenhafte Königreich Tartessos (oder die Hafenstadt Tartessos) wird noch immer gesucht. Es gilt als Spaniens “Atlantis”!
Was weiß man heute darüber?
Das Kerngebiet lag vermutlich im unteren Guadalquivir-Tal – westlich der Straße von Gibraltar.
Der im Alten Testament mehrfach erwähnte Ort Tarschisch soll mit Tartessos identisch sein.
In der Antike war Tartessos für seinen sagenhaften Metall-Reichtum (vor allem Silber) bekannt.
Der deutsche Althistoriker und Archäologe Adolf Schulten suchte zeitlebens wie besessen nach Tartessos, einem Ort, von dem der griechische Geschichtsschreiber Herodot um 460 v. Chr. schrieb:

Kolaios von Samos wollte nach Ägypten segeln, doch ein Ostwind trieb sie von ihrer Route und sie hielten, von einem Gott geführt, nicht eher als hinter den Säulen des Herkules, so kamen sie nach Tartessos. Die Gegend war damals noch nicht ausgebeutet und sie kamen zurück mit der wertvollsten Ladung, die bis dahin je ein Grieche erlangte …”

Tartessos entdeckte Adolf Schulten nicht, wohl aber (im Jahr 1924) die Ruinen einer eigenständigen Vorgängerkultur aus dem 26. – 13. Jh. v. Chr.

In der heutigen Geschichtsschreibung bezeichnet man die endbronzezeitliche und früheisenzeitliche Kultur Südspaniens als tartessisch. Die Entwicklung dieser Kultur ist aber auch vom Handel mit den Phöniziern (Tyros) geprägt. Im 6. bzw. frühen 5. Jh. v. Chr. bricht die tartessianische Kultur jäh ab. Möglicherweise wurde sie von den Karthagern zerstört, die die phönizische Kolonie Gadir (heute Cadiz) übernommen hatten.
Die Tartessos stellten kunstvolle Objekte und Dekorationsgegenstände her, wie die nachstehenden Bilder zeigen:
Das Tartessische Gesicht von El Turuñuelo (Badajoz) und eine Keramik aus der tartessianischen Epoche (um 850–550 v. Chr.)

Wer waren die Iberer?

Die Iberer, die vermutlich aus Nordafrika kamen, waren ab dem 6. Jahrhundert v. Chr. bis um das 1. Jh. v. Chr. die vorrömischen Bewohner des Ostens und Südens der Iberischen Halbinsel, darunter das heutige Andalusien, die Provinzen Murcia und Valencia, Teile von Aragon und Katalonien. Der Name Iberia ist zwar erst zur Zeit des 2. Punischen Krieges (218 – 201 v. Chr.) nachweisbar, ist jedoch älter als die Bezeichnung Hispania. Er geht vermutlich auf die antike Benennung des Flusses Ebro (griechisch Iber) zurück. Ursprünglich bedeutete Iberia nur das von den Iberern besiedelte Gebiet – seit dem 2. Jh. v. Chr. wird jedoch die ganze Pyrenäenhalbinsel so benannt. Die Iberer besaßen eine eigene, nicht indogermanische Sprache, die sie in einem eigenen Schriftsystem aufzeichneten, das noch nicht dechiffriert werden konnte. Es existierten sog. Stadtstaaten mit einer Elite aristokratischer Krieger, die ihre Macht über die Bauern und Handwerker ausübten. Sie besaßen auch eine eigene Währung und hatten Fertigkeiten in der Metallverarbeitung, auch in der Verarbeitung von Bronze. Ihre künstlerischen Hinterlassenschaften (griechische Ausbildung der Bildhauer?) bestehen in der Hauptsache aus Skulpturen (Beispiele: Die Dama de Elche, die Dama de Guardamar oder die Dama de Baza. Ihre Werke kann man in Jaén, in Córdoba oder aber in Madrid bewundern (Museo Arquelógico Nacional de España).

Das Empfangszentrum von Cerrillo Blanco

Die archäologische Stätte Cerrillo Blanco – eine der Stationen der Kulturroute “Viaje al tiempo de los Ìberos” (eine Reise in die Zeit der Iberer) – verfügt über ein
modernes Empfangszentrum, das sich an der Straße von Porcuna nach Arjonilla am Kilometerpunkt 1 befindet.
Eintritt frei; geführte Besichtigungen möglich;

Öffnungszeiten bitte im Netz erfragen.

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