Palau-del-Vidre ist eine kleine französische Gemeinde in der Region Okzitanien, ungefähr 15 Kilometer über die D 914 von Collioure entfernt. Der Ort liegt im Tal des Flusses Tech.
Bekannt ist Palau-del-Vidre für seine Glasbläser, die hier (traditionell seit dem Mittelalter) ihre Kunst zeigen. Alljährlich im August findet in Palau-del-Vidre das internationale Festival “Les Arts du Verre” statt, zu dem Glasbläser aus ganz Europa anreisen.
Zu einiger Berühmtheit hat es auch die Kirche Saint Marie de L’Assomption (12. Jahrhundert) gebracht. Nicht zuletzt wegen einer außergewöhnlichen Madonnenstatue – die (unter meiner Mitwirkung) im Jahr 2017 auf Reisen ging, um in Österreich ausgestellt zu werden.
Aber dazu später mehr …
Palau-del-Vidre hatte ich schon vor zwanzig Jahren kennengelernt, doch bis ich die Kirche Sainte Marie de l’ Assomption betreten und die von mir seit langem gesuchte Madonna zu Gesicht bekam, war Geduld angesagt.
Viel Geduld …
Im Mai 2009 dann – nach einer sieben Jahre langen, aufwändigen Restaurierung der Kirche, des Vorplatzes und des halben Ortes, für die eine kleine Gruppe passionierter Bürger gesorgt hatte – hoffte ich erneut auf mein Glück, doch vergebens.
Immerhin entdeckte ich nun ein neues Schild mit neuen Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 17 – 18 Uhr, Freitag 11 – 12 Uhr.
Ein Blick auf meine Uhr: Es war zwar Freitag, und bereits 12.30 Uhr!
Am Montag stand ich um 17 Uhr erneut auf der Matte – mit demselben Ergebnis: Kirche zu und weit und breit niemand in Sicht!
Ich wartete. (Schließlich ticken die Uhren in Frankreich mitunter etwas anders …) Ich wartete … Nach einiger Zeit wurde ein Mann auf mich aufmerksam, den ich bereits vom Sehen kannte (er restauriert in seiner Garage alte Stühle!).
Nun warf auch er einen irritierten Blick auf das Schild und die geschlossene Tür, dann schickte er mich kurzerhand in die Mairie, also ins Rathaus.
Netter Empfang im Bürgermeisteramt. Eifriges Nicken einer jungen Sekretärin: “Pas de problème, Madame, selbstverständlich können Sie die Kirche besichtigen!”
Vorfreudig nahm ich im Vorzimmer Platz. Wartete. Es folgten zwei, drei Telefonate in meiner Angelegenheit, und irgendwann wurde eine weitere Sekretärin herbeigerufen, die sich “tout de suite” der Sache annahm und ebenfalls zum Telefon griff.
Nun ja, ich kürze an dieser Stelle ab: “Malheureusement, Madame, la clé a disparu!” Tja, wenn der Kirchenschlüssel verschwunden war! 🙂
“Ce n’est pas grave!”, sagte ich lächelnd. “Höhere Gewalt!”.
Schließlich vereinbarten wir einen festen Termin für Mittwoch.
Ich freute mich, ungelogen!
Am Mittwoch stiefelte ich direkt ins Rathaus, wo mir die kleine Tochter des Bürgermeisters mit einigen lustigen “Turnübungen” die obligatorische französische Wartezeit vertrieb. 🙂
Endlich war es soweit: Mit strahlendem Lächeln präsentierten mir die beiden Sekretärinnen des Bürgermeisters den wiederaufgefundenen Schlüssel.
“Unsere Kirche beherbergt viele Schätze”, erzählten sie mir unterwegs, “zwei gotische Altarbilder aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, ein Altarbild aus der Renaissance, einen berühmten Tabernakel, seltene Gegenstände – darunter eine geheimnisvolle, sich öffnende Jungfrau.”
Ich war gespannt wie selten zuvor, denn der Autor Ean Begg, von dem ich den Tipp mit der geheimnisvollen Madonna hatte, beschrieb diese Figur folgendermaßen:
“Eine Schwarze Madonna in der Pfarrkirche, in einer Mauernische in etwa 4 Meter Höhe. Einzigartige “Vièrge Ouvrante”, Madonna, die sich öffnet, um eine bärtige Figur in ihrem Inneren zu enthüllen. Das Kind sitzt auf ihrer linken Schulter.”
Zuerst ein Blick auf das weitere interessante Interieur in dieser Kirche …
Bitte anklicken zum Vergrößern!
„Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“ 🙂
(Katharina von Siena):
Die Madonna von Palau-del-Vidre
Wie vom Autor Begg beschrieben, stand das Ziel meiner “Begierde” – nach der jahrelangen Restaurierung der Kirche – wieder in ihrer angestammten Mauernische, gute vier Meter hoch über dem Altar.
Die Autorin Chr. Mulack (“Maria, die Geheime Göttin”, s. 64), beschreibt diese seltenen Figuren folgendermaßen:
“Die Vièrge-ouvrante-Figuren entstanden zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert. Im geschlossenen Zustand stellen sie die jungfräuliche Gottesmutter mit dem Kind auf dem Arm dar, geöffnet enthüllen sie Gott-Vater, Sohn und Heiligen Geist im Leib der Jungfrau.
Die Vorstellung, dass die männliche Dreifaltigkeit in der Jungfrau enthalten ist, weist in vorchristliche Jahrhunderte zurück, die ebenfalls die jungfräuliche Gottesmutter als Urheberin männlicher Gottheiten kennt.“
Ihre Zerstörung wurde von den Priestern von Palau del Vidre geschickt vereitelt …
” … Madonnen dieses Typs, die auch die Trinität einbeziehen, sind sehr selten. Weltweit gibt es nur noch dreizehn Exemplare.
Das hat seinen Grund: Die römisch-katholische “Mutterkirche” – trotz ihres Namens von Männern dominiert – hatte diese Art von Darstellung auf ihrem Konzil von Trient (1545-1563) verboten und sogar die Zerstörung der angeblich häretischen Figuren angeordnet.
Die Priester von Palau-del-Vidre wussten “ihre” Madonna jedoch gut zu verstecken. Im Jahr 1648 wurde sie wiederentdeckt, in einer Nische über dem Retable des Heiligen Sebastian.
(aus: H.L.Köppel, Ausstellungskatalog d. Jüd. Museums, Hohenems)
Acht Jahre später verlässt die “Geheime Göttin” Südfrankreich und geht auf Reisen …
Die Vorgeschichte zu dieser Reise:
Im Oktober 2016 erreichte mich das Schreiben einer Kuratorin aus Wien, die auf einen anderen Artikel auf meiner Website aufmerksam geworden war, der sich mit den nicht weniger rätselhaften “Schwarzen Madonnen” beschäftigt:
“Sehr geehrte Frau Köppel,
ich arbeite gerade an einer Ausstellung über die weibliche Seite Gottes. Unsere Ausstellung wird zwar in erster Linie dem Judentum gewidmet sein, möchte jedoch auch das Christentum und den Islam einschließen.
Ich bin bei der Recherche auf Beiträge von Ihnen gestoßen …“
Ich schrieb zurück und machte die Dame auf die Vièrge Ouvrante (und das freundliche Bürgermeisteramt) in Palau-del-Vidre aufmerksam.
Im Januar 2017 kam die Erfolgsmeldung aus Wien:
“Dank Ihres netten Emails sind wir jetzt tatsächlich in Kontakt mit der Gemeinde von Palau-del Vidre und haben bereits informelle Zusagen, dass wir die wunderbare Jungfrau für unsere Ausstellung ausborgen können …”
Über die bevorstehende Reise der Madonna habe ich mich natürlich sehr gefreut – aber auch über die Bitte, die man nun an mich herantrug, eine Objektbeschreibung für den Ausstellungskatalog beizusteuern. Nachstehend das Ergebnis:
Bitte anklicken zum Lesen!
Und hier – voilà – die weitgereiste Madonna aus Palau-del-Vidre, hinter Glas stehend, in der Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems (30. April bis 8. Oktober 2017)
An dieser Stelle nochmals vielen herzlichen Dank an Sabrina und Catherine, die netten Sekretärinnen des Bürgermeisters!
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Magische Orte in der Umgebung:
Collioure, Santa Maria del Vilar, Kloster Fontfroide, Saint-André de Sorède, Boule d’ Amont, Cabestany, Canal-du-Midi, Elne, Ille-sur-Têt, Marcevol, Saint-Michel-de-Cuxa, Taurinya,
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