Rätselhafte Westgoten-Einsiedelei in Andalusien!

Oratorio Rupestre de Valdecanales

Unter einem Oratorium (deutsch: “Haus der Beter”) versteht man einen privaten oder halböffentlichen Versammlungsraum früher Christen.

Die Wegbeschreibung

Dieses weitgehend unbekannte Westgoten-Oratorium – ein sog. Hypogäum* – besteht aus drei in den Felsen gehauenen Höhlen. Es befindet sich in Spanien/Andalusien, in der Provinz Jaén, ungefähr 6 km von der Gemeinde Rus und dem gleichnamigen Bach entfernt, der in den Fluss Guadalimar mündet. Der von oben nicht sichtbare Höhlenkomplex liegt unterhalb des mit Olivenbäumen und Tamarisken bewachsenen Alcobilla-Hügels zwischen Zagahón und Los Escuderos.

Warnhinweis: Valdecanales war Ende April 2024 nur über einen ungesicherten, holprig-steilen Abhang erreichbar!

*Ein Hypogäum (lat. hypogeum, gr. hypógeion, von hypo „unter“ und gẽ „Erde“, „das unter der Erde Liegende“) ist ein unterirdischer, mit einem Gewölbe versehener Grabbau.

Beschreibung der alten Stätte

Die in den Hang gehauene Hauptfassade weist eine lange Blendarkade mit klassischen Hufeisenbögen auf (Westgoten-Bauweise!) – von denen drei mit einem palmetten- oder muschelförmigen Relief verziert sind. Diese Verzierungen ähneln den westgotischen Toren, die man im Archäologischen Museum von Mérida findet.
Tritt man in den Komplex ein, entdeckt man eine Kapelle mit drei Schiffen mit Tonnengewölben auf quadratischen Pilastern. Die zwei kleineren Höhlen, ebenfalls mit Tonnengewölben und Apsidiolen, wurden vermutlich als Baptisterium (Taufkapelle) und Refektorium (Speisesaal eines Klosters) genutzt. Die dritte Höhle ist größer. Sie liegt weiter von der Haupthöhle entfernt und war wohl der Wohnraum der Bewohner, die sich dort aufhielten. Sie weist einen rechteckigen und gewölbten Grundriss auf, und liegt der Wasserquelle am nächsten.
Der Ausbau geht auf das 6. und 7. Jahrhundert zurück.

Sein kultureller Wert wurde 1968 von Rafael Vañó Silvestre und dem Eigentümer des Landes, Cesáreo Pérez Díaz entdeckt.

Kurzer geschichtlicher Abriss über die Westgoten (418 n. Chr – 725 n Chr.)


Das Reich von Tolosa wird zum Reich von Toledo

Nach der Sesshaftwerdung der Goten in Gallien um das Jahr 418 n. Chr., begann ein neuer Abschnitt in ihrer langen, wechselhaften Geschichte:
Mit dem Tolosanischen Reich (Hauptstadt Tolosa / Toulouse) hatten die Westgoten das erste barbarische* Königreich innerhalb des Römischen Imperiums gegründet.
Nach ihrer vernichtenden Niederlage gegen die Franken, im Jahr 507 (Schlacht von Vouillé), verlagerte sich ihr Schwerpunkt auf die Iberische Halbinsel – mit einem ersten wichtigen Stützpunkt in Mérida (vormals das römische Emerita Augusta).
Ein neues Reich wurde ins Leben gerufen: Das Toledanische Reich, mit der neuen Hauptstadt Toledo.
Es hatte Bestand bis zur maurischen Eroberung im Jahr 711 n. Chr., bei der die letzten Goten in alle Winde zerstreut wurden – bis auf eine Ausnahme:
Im südgallischen Septimanien (heute Le midi, der Süden Frankreichs, der sich entlang der Mittelmeerküste etwa von der Rhonemündung bis zu den Pyrenäen erstreckt) hielten sich die Westgoten noch bis zum Jahr 725.


* “barbarisch” – alle fremdsprachlichen Völker waren für die Römer Barbaren.

Valdecanales – einst eine Eremiten-Klause?

Unter der Herrschaft der Westgoten, vor allem im 6. und 7. Jahrhundert, entstanden erste kleine christliche Zufluchts- und Rückzugsorte. In der Regel handelte es sich um einsame Behausungen in abgelegenen Höhlen, die sich nach und nach zu Klöstern entwickelten.
Valdecanales war vermutlich eine sehr frühe Klause für einen Eremiten, seine Familie und/oder seine Anhänger.
Auch in Südfrankreich – im oben erwähnten Septimanien – gab es christliche Höhlen-Rückzugsorte der Westgoten, wie z.B. das alte Quellheiligtum Las Brugos/Rennes-les-Bains; s. mein Roman “Adieu, Marie! – Die Briefe”

Valdecanales – heute stark gefährdet!

Obwohl die Höhleneinsiedelei Valdecanales schon im Jahr 1970 zum historisch-künstlerischen Denkmal erklärt wurde, ist ihr Status nicht gesichert. Das Denkmal ist völlig ungeschützt und somit Witterungseinflüssen aber auch Vandalismus ausgesetzt (unzählige Einritzungen!). Die starke Erosion des Bodens am Fuße der herrlichen Hufeisenbögen hängt aber auch mit der Nutzung der drei Höhlen in den letzten Jahrhunderten zusammen: Sie dienten als Unterschlupf für Hirten, Jäger und Holzfäller, deren Viehbestand vermutlich zu dieser starken Abnutzung beigetragen hat.

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“Unterm silbernen Wasserfall” –
Sant Miquel del Fai

Die größte Troglodytenkirche des Landes
(Troglodyten=Höhlenbewohner)

Sant Miquel del Fai ist ein Benediktinerkloster in Bigues i Riells, Katalonien, Spanien. Das Kloster liegt malerisch in einem Naturschutzgebiet, umgeben von grau-rosa Felsklippen, Cingles de Bertí genannt. Im Jahr 1988 wurde Sant Miguel del Fai zum Kulturdenkmal erklärt.
Die Kirche aus dem 11. Jh. wurde in einer Höhle erbaut, der Stein selbst diente als Dach. Es ist die größte Troglodytenkirche des Landes, besitzt ein romanisches Portal, das durch einen halbkreisförmigen Bogen gebildet wird. Vom Hochaltar gibt es nur Überreste. Eine kleine Krypta wird über eine Treppe in der Nähe des Eingangs erreicht. Auf dem Boden der Kirche befinden sich Grabsteine ​​der alten Äbte.

Zur Geschichte: Im Jahre 997 kaufte Gombau de Besora, Herr der Burg von Montbui, den Grund und Boden für das geplante Kloster. Das genaue Gründungsdatum des Klosters ist unbekannt, aber im Jahre 1006 gab es eine erste Gemeinschaft von Brüdern, deren Abt Guillemund hieß. Sowohl die Grafen von Barcelona als auch Gombau selbst haben dem Kloster wichtige Güter geschenkt.
Die in San Miguel lebende Gemeinde war immer klein; es lebten hier nie mehr als fünf oder sechs Mönche. Nach dem 14. Jh. gab es sogar nur noch drei Mönche. Das religiöse Leben in del Fai endete im Jahre 1567, als es in Abhängigkeit von der Diözese von Gerona geriet. Das alte Kloster wurde in ein Heiligtum verwandelt, zu dem die Leute vor allem aus den Nachbarortschaften pilgerten. Religiöse Verrichtungen wurden bis 1936 aufrechterhalten.

Nach San Miguel del Fai gelangt man entweder direkt mit dem Auto oder zu Fuß durch eine kurzweilige Bergwanderung von Riells del Fai aus.
Die Bergwanderung dauert ca. eine Stunde. Die spektakuläre Landschaft entschädigt für alle Strapazen. Das Frühjahr ist übrigens die beste Zeit für eine Besichtigung dieses Klosters, auch weil der Wasserfall – der Fußweg führt hinter ihm hindurch! – dann mehr Wasser führt. 

Trotz des eher kleinen Klosters erhielt Sant Miquel del Fal große Spenden. Im Diözesanmuseum von Barcelona ist ein romanisches Kreuz aus geprägtem Silber konserviert (siehe Foto unten, Replik) – ein einzigartiges Werk der romanischen Goldschmiedekunst aus San Miguel. Im örtlichen Museum, im Klosterbereich, sind auch Grabsteine, Sarkophage und andere Geräte zu besichtigen, die den Reichtum zeigen, den dieses Kloster einst besaß.

Zum Reinschnuppern einige Fotos aus dem Klosterbereich:

Die Kirche hat ein romanisches Portal, das durch einen Rundbogen gebildet ist. Ein Säulenpaar wird mit Kapitellen mit Pflanzenmotiven verziert. Vom Hochaltar sind nur noch wenige Spuren erhalten. Es gibt eine kleine Krypta, die über eine Treppe in der Nähe des Eingangs zugänglich ist. Auf dem Boden der Kirche sind die Grabsteine der alten Äbte zu sehen.

(Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!)

Die Madonna und der Vogelfuß

Die Madonna del Fai ist eine der seltenen Madonnen, bei denen das Jesuskind einen Vogel in der Hand hält. Sie ist frühgotisch. Was den Vogel betrifft, so erinnert dieser an das apokryphe Kindheitsevangelium (Thomasevangelium): Nach diesem Bericht soll Jesus als Fünfjähriger am Schabbat zwölf Spatzen aus Lehm geformt und sie dann zum Leben erweckt haben. Am Schabbat, an dem jegliche Arbeit verboten war! Jesus hat sich also über die Bräuche des Judentums hinweggesetzt. (s. auch meinen Artikel “Fort mit euch – Die Vögel im verbotenen Evangelium”)

(Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!)

Die Madonna von Fai – aber auch der große Wasserfall,
die Einsiedelei und mehrere Höhlen – sind die Highlights
dieses mystischen Ortes:

“Wir sahen Schmetterlinge,
wir standen unterm silbernen Wasserfall,
wir sahen alles,
wir hielten die Muschel ans Ohr,
wir hörten das Meer,
wir hatten einfach Zeit.”

(Max Frisch, Schriftsteller)

Wer interessante Entdeckungen machen will, aber auch wer Zeit hat, Ruhe und Erholung sucht, ist in Sant Miquel del Fai gut aufgehoben!

Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit!