Das Höhendorf Saint-Bertrand-de-Comminges (ungefähr 240 Einwohner) liegt in Südwestfrankreich, im Département Haute-Garonne der Region Okzitanien (60 km von Toulouse entfernt) – und zugleich am Jakobsweg. Gegründet vom römischen Feldherrn Gnaeus Pompeius Magnus blickt dieser malerische und meist stille Ort auf eine reiche und hochinteressante Geschichte zurück.
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Zur Geschichte des Ortes
Im Jahr 72 vor Christus gründete der römische Feldherr Gnaeus Pompeius Magnus (106-48) inmitten der herrlichen Landschaft der Vor-Pyrenäen eine römische Siedlung, genannt Lugdunum Convenarum. (Siedlung des Gottes Lugh der Konvener*) Der Plan der Römer war, das Val d´Aran (das Aran-Tal) über eine Straße in den Nordwesten Spaniens zu führen, um die Iberische Halbinsel zu schützen. Lugdunum Convenarum soll in seiner Blütezeit 10 000 Menschen, mit Umland 30 000 – 60 000 Menschen beherbergt haben.
Ganz oben auf dem Hügel – wo heute die Kathedrale Notre Dame steht – befand sich der Tempel, der dem ersten römischen Kaiser Augustus geweiht war.
Der Archäologe Prof. Simon Esmonde Cleary hat Ausgrabungen in Saint-Bertrand-de-Comminges durchgeführt und dabei Reste des Fundaments entdeckt: Der Tempel bestand aus einer Cella (Raum der Gottheit), vor dem sich ein breiter Portalvorbau mit sechs Fassadensäulen befand. Bis ins 4. Jh hinein wurde hier der offiziellen römischen Religion gehuldigt. Danach ging es mit dem Ort rapide bergab:
Im Jahr 408 n. Chr. plünderten die Vandalen Lugdunum Convenarum.
Im März 585 wurde die alte römische Stadt Opfer einer merowingischen Erbfolgekrise – in der Gundowald (angeblich natürlicher Sohn Chlodwigs des Frankenkönigs) dem Ansturm der Burgunden unter König Guntram I. erlag. Die Bewohner wurden massakriert und die Stadt war für mehrere Jahrhunderte verwüstet.
Erst im Jahr 1083 erwachte der Ort wieder zum Leben, als der hochgebildete und zugleich ritterliche Bertrand de I´Isle–Jourdain* (seit 1073 geistlicher Hirte des Comminges) hier einen neuen Bischofssitz etablierte, die Oberstadt wieder aufbauen und eine 35 m lange romanische Kathedrale errichten ließ. Er brachte den unterdrückten Bauern im Aran-Tal Hilfe und bot zugleich dem erpresserischen Kleinadel die Stirn. Bertrands Maxime war, dass jedem, wer er auch sei, sein Recht gebühre. Er starb im Jahr 1123. Als er 1222 heiliggesprochen wurde, nahm die Stadt ihm zu Ehren den Namen Saint-Bertrand de Comminges an und wurde fortan zu einem wichtigen Wallfahrtsort, zu dem die Pilger in langen Schlangen den Berg hinaufstiegen.
- Durch seine Mutter war Bertrand ein Enkel von Wilhelm III., Graf von Toulouse, und Vetter von Wilhelm IV. und Raimond IV. von Saint-Gilles.
Lugh „der Leuchtende“ oder „der Krieger“, eine Gottheit aus dem mythologischen Zyklus der Kelten. Städtenamen wie “Lugdunum” beziehen sich jedoch immer auf den Namen Lugos: Krieger. Die Gallier bezeichneten auch den als Orakel geltenden Raben als Lugos.
Relief eines dreigesichtigen Lugh (Foto aus dem Netz)
Das Forum von Lugdunum Convenarum war einer der größten des römischen Abendlandes!
Der Grund für die seinerzeitige Militärpräsenz (500 Soldaten) ist bis heute unbekannt.
Ein Blick auf die Ausgrabungen unterhalb des Hügels – die ehemaligen Römerthermen (Badeanlagen) des Forums. Das Forum war – der griechischen Agora entsprechend – der wichtigste Platz in einer römischen Stadt. (Foren waren mehr als “Marktplätze” im üblichen Sinn. Sie wurden auch für politische Kundgebungen und juristische Prozesse benutzt, die damals stets in der Öffentlichkeit stattfanden.)
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Lugdunum Convenarum – Verbannungsort des Herodes Antipas
Lugdunum Convenarum war, nach dem jüdisch-hellenistischen Historiker Flavius Josephus, der Verbannungsort des Herodes Antipas, Tetrarch in Galiläa.
(* um 20 v. Chr. in Judäa, † um 39 n. Chr. in Lugdunum Cenvenarum, Südgallien)
Zur Geschichte: Im Jahr 39 n. Chr. machte sich Herodes Antipas auf Betreiben seiner Frau Herodias* auf den Weg nach Rom, um von Caligula den Königstitel zu erhalten. Doch er hatte sich zu früh gefreut. Aufgrund von schweren Anklagen, die sein Neffe und Schwager Herodes Agrippa I. gegen ihn vorgebracht hatte, wurde er nach Südgallien in die Verbannung geschickt: Nach Lugdunum Convenarum, heute Saint-Bertrand-de-Comminges. Seine Frau Herodias – eine Tochter des jüdischen Prinzen Aristobulos – folgte ihm ins Exil, wo er auch starb; das genaue Todesdatum ist unbekannt. Im Anschluss an seinen Tod wurde sein Reich mit dem Gebiet des Herodes Agrippa vereinigt.
- Bei einem Fest soll Herodes Antipas, entzückt über einen Schleiertanz seiner Stieftochter Salome, ihr einen Wunsch freigegeben haben. Nach der Bibel hat die Tochter der Herodias, angestachelt durch ihre Mutter, die Enthauptung Johannes des Täufers erbeten.
Die Kathedrale Notre Dame de Comminges
Trutzburgähnlich erhebt sich die Kathedrale Notre Dame mit ihrem markanten, stets von Dohlen umschwärmten Karreeturm über die Dächer der darunter liegenden Häuser.
Ein weiterer Bertrand, nämlich Bischof Bertrand de Goth – der spätere Papst Clemens V. (erster Papst in Avignon) – ließ Ende des 13. Jahrhunderts die Kathedrale erstmals vergrößern und zwar vom vierten Joch an im gotischen Stil. Umfangreiche Arbeiten, die erst von seinen Nachfolgern im Jahr 1352 beendet wurden.
Das Kirchenschiff wurde dann zu Beginn des 16. Jahrhundert ein weiteres Mal ausgebaut.
Das Portal mit der geheimnisvollen Inschrift: “Far, Miron et Aspron …”
Das Tympanon mit den Heiligen Drei Königen aus dem Morgenland, der Jungfrau Maria mit Kind und, rechts, dem Segen spendenden Bischof, stammt – wie auch der Turm – aus dem 11. Jahrhundert. Eine geheimnisvolle Inschrift lädt heute zum Schmunzeln ein. Es geht darin um die “wahren” Geschenke der Heiligen Drei Könige, nämlich FAR, MIRON und ASPRON!
Übersetzt: Weißes Mehl, Myrrhe und byzantinische Schlüsselmünzen aus dem 11. Jahrhundert! – also eine Art rückgreifender Anachronismus! 🙂
In den Arkadenbögen unterhalb stehen wie aufgereiht die Zwölf Apostel.
Die Kathedrale von Saint-Bertrand war eines der ersten Gebäude, die im Jahr 1840 von Prosper Mérimée* unter Denkmalschutz gestellt wurde. Seit 1998 gehören sie und die benachbarte kleine Kirche Saint-Just de Valcabrère zum UNESCO-Welterbe auf dem Jakobsweg.
- Prosper Mérimée (Schriftsteller) wurde im Jahr 1831 zum Inspekteur der historischen Denkmäler Frankreichs ernannt, zur gleichen Zeit unternahm er ausgedehnte Reisen in französische Provinzen sowie nach Korsika, Italien, Spanien und Griechenland.
Der Kreuzgang – eine Symbiose aus Natur und Stein
Der romanische, unregelmäßig angelegte Kreuzgang bietet auf seiner Südseite einen herrlichen Ausblick auf die bewaldeten Berge. Auf den alten Kapitellen wimmelt es nur so von Darstellungen: Man entdeckt Adam und Eva (mit ihren streitbaren Söhnen Kain und Abel), Flechtwerke, Blüten, Ranken, Fabelwesen oder eine Eule mit ihrer Beute, ein Hahnenkampf und vieles andere mehr.
Einzigartig ist der sog. “Evangelistenpfeiler” – offenbar einer antiken Säulenstatue nachempfunden.
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Das Kircheninnere mit dem in Holz geschnitzten Lettner, dem Altar, der Orgel – und 66 phantasievoll geschnitzten Chorstühlen
Kurt Tucholsky, der auf dem Esel die Pyrenäen bereiste und Saint-Bertrand-de-Comminges besucht hat, schrieb über die Kathedrale später folgendes:
“Es ist eine alte Kirche mit einem verwitterten Portal. Innen steht ein Chor mit Holzstühlen und einer rechteckig herumlaufenden Holzwand. Es ist unfaßbar, was sie da gemacht haben. Es wimmelt von Figuren, Emblemen, Wappen, Köpfen, Körpern, Blumen und Gruppen. Keine Verzierung wiederholt sich auch nur einmal, alles ist bis ins letzte durchgearbeitet. … Es gibt da wilde Anhäufungen: indische Reminiszenzen; zwei Mönche, die sich um einen Bischofsstab streiten, sie haben Affenzüge und zerren am Stock, als ob sie sich damit sägen wollten, hervorragend unanständige Details; Apostel. Klappt man die Sitze hoch, so zeigt sich ein kleiner Untersitz, der aus einem Kopf besteht, und jeder Sitz hat seinen besonderen – es ist ganz erstaunlich. Adam und Eva sind zu sehen: man möchte die Konturen der Körper nachfühlen, so laufen die Linien. Ein Holzwunder, den Altar haben sie farbig zugerichtet; es soll zwanzigtausend Francs kosten, die Kolorierung und Vergoldung wieder abzukratzen….”
Ein Satz noch zu den “hervorragend unanständigen Details” (Tucholsky): 🙂
Es war angeblich dem ununterbrochenen Pilgerstrom geschuldet, dass im 16. Jahrhundert der damalige Bischof von Comminges, Jean de Mauléon, diesen prachtvollen Holz-Chor errichten ließ, der die Kanoniker streng vom Pilgervolk trennte. Man blieb wohl lieber unter sich! 🙂
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Der Altar du Saint-Sacrament – die Gegenstände des Allerheiligsten:
Schaubrote, Bundeslade, Menora, Opferaltar …
Dieses Kunstwerk wurde im Jahr 1621 durch Bischof Gilles de Souvre (Ritter des Ordens du Saint-Esprit) in Auftrag gegeben.
Cagotentür, Grüne Männer (Blattmasken) und ein stattliches Krokodil
Es waren tatsächlich echte Krokodile, die Kreuzzügler von ihren Reisen mitbrachten und sie als Votivgabe in den Kirchen aufhängen ließen, z.B. als Dank für die gesunde Heimkehr oder eine Errettung aus großer Not. Der Volksmund in Comminges hat sich seine Krokodil-Geschichte jedoch selbst gebastelt: Der Legende nach lebte in einem benachbarten Tal ein Monster*, das den Schrei von Kindern nachahmte, um diese anzulocken und zu verschlingen. Der Heilige Bertrand jedoch soll es mit seinem Bischofsstab niedergerungen haben. Es sei ihm noch bis in die Kathedrale gefolgt, dort jedoch verstorben.
- Eine Geschichte, die an die Legende von der Zähmung der Tarasque durch die Heilige Martha erinnert.
Anmerkungen und weiterführende Links zum Anklicken:
In der Eremitage/Collioure sind gleich zwei dieser Krokodile zu finden.
Näheres zum Thema Cagoten: s. mein Roman “Talmi”
Näheres zum “Grünen Mann” s. mein Artikel hierzu.
Abschließend noch ein weiterer kleiner Bummel durch die malerischen Gassen von Saint-Betrand-de-Comminges …
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Übrigens: Saint-Bertrand-de-Comminges ist einer der Romanschauplätze in meinem Thriller “Blut.Rote.Rosen”.
Magische Orte in der Umgebung und Veranstaltungen
- Auf dem Vorplatz der Kathedrale beherbergt das ehemalige Olivetan-Kloster ein Archäologiemuseum und Ausstellungen zeitgenössischer Kunst.
- Das 1975 gegründete Festival von Comminges rund um die Orgel der Kathedrale ist zu einem unumgänglichen Ereignis in der Region Midi-Pyrénées geworden. Jedes Jahr im August und September finden rund 20 Konzerte statt, die der geistlichen Musik (Orgel, Klavier, Kammermusik) gewidmet sind. Führende Komponisten und junge Musiker kommen zusammen, um an einem symbolträchtigen Ort Originalkompositionen zu erarbeiten und die Kultur in einer ländlichen Region lebendig zu halten.
- Saint-Just de Valcabrère – ein sehenswertes Totenkirchlein ganz in der Nähe.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!