“Tod oder Taufe!” Der Jude Baruch vor dem Inquisitor Jacques Fournier

Hervorgehoben

Während meiner Recherche für meinem Historischen Roman “Béatris – Kronzeugin der Inquisition” (Montaillou-Prozess) zog mich neben den Hauptfiguren Béatris von Planisolles und Jacques Fournier noch eine weitere Person in ihren Bann: Der Jude Baruch David Neumann. Sein Verfahren (Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Zwangstaufe in Toulouse) wurde parallel zum Prozess gegen die Einwohner des Bergdorfes Montaillou verhandelt. Der Jude Baruch ist damit nur eine Nebenfigur in meinem Roman, sein Schicksal trägt jedoch wesentlich zum Zeitverständnis dieser Epoche bei.

Der Fall des Juden Baruch David Neumann befindet sich im Inquisitions-Register (3. Kapitel), in dem Jacques Fournier (der spätere Papst Benedikt XII.) sämtliche Geständnisse und Zeugenaussagen während seines Wirkens in Pamiers (Dép. Ariège, Okzitanien) gewissenhaft aufgezeichnet hat.
Das Original-Register wird in der Vatikanischen Bibliothek aufbewahrt.

Eingangsfoto: Romanschauplatz Pamiers,
Kathedrale St. Antonin, 12. Jh.

Wer war Jacques Fournier? – Teil I.

Der Inquisitor Jacques Fournier (1285 – 1342) begann seine Ausbildung als Novize im Mutterkloster Morimond/Boulbonne (Dép. Haut-Garonne).
Er studierte in Paris, schloss mit dem Doktorat ab, wurde Abt in der Abtei Fontfroide und schließlich Bischof von Pamiers und Mirepoix.  

Seine Ernennung als Bischof umfasste zugleich den Auftrag der Bekämpfung der Katharer-Häresie.
Sein Hauptaugenmerk lag dabei auf den (letzten verbliebenen) Katharern im Bergdorf Montaillou und dem Fall des Juden Baruch David Neumann.

Im Gegensatz zur oft korrupten päpstlichen Inquisition in Carcassonne (Dominikaner), führte Jacques Fournier (Zisterzienser) in Pamiers vergleichsweise unkonventionelle Verhöre.
Er war nicht wie die Dominikaner auf eine schnelle Verurteilung der angeklagten Häretiker aus, denen meist der Scheiterhaufen drohte. Vielmehr interessierten Fournier die Vorgeschichten der Angeklagten und ihre Glaubensvorstellungen. Kurz: Er wollte stets im Detail wissen, was und wer die Dörfler von Montaillou dazu gebracht hatte, sich von Rom abzuwenden.
Sein Vorgehen vor Gericht war dabei immer gleich: Geradezu akribisch fragte er nach, ging den Dingen hartnäckig auf den Grund – um am Ende freilich den zwingenden Beweis zu erbringen, dass sich die Juden und Ketzer im Irrtum befänden.
Alle Fragen und alle Antworten – selbst die Ausflüchte und Lügen – ließ er gewissenhaft aufzeichnen und für die Nachwelt aufbewahren. Damit hielt er sich streng an den alten römischen Rechtsgrundsatz: Quod non est in actis non est in mundo!
(Was nicht in den Akten steht, ist nicht in der Welt!)

Heute sind diese unorthodoxen Verhöre ein einzigartiges Zeitzeugnis und zugleich eine Fundgrube für Historiker und/oder Schriftsteller von Historischen Romanen.

Tod oder Taufe!
Der Fall des Juden Baruch

Was war seinerzeit passiert?
Baruch David Neumann, ein ausgezeichneter Kenner des Alten Testaments, der judaischen Gesetze und des Talmuds war in Deutschland seines Glaubens wegen verfolgt worden und hatte sich nach Südfrankreich geflüchtet – wo sich ihn jedoch die sogenannten Pastoureux schnappten, um ihn einer Zwangstaufe zu unterziehen.

Die Pastoureux – überwiegend junge Leute, die sich Hirten nannten (“Vierzigtausend an der Zahl”, versicherte Baruch dem Gericht), waren mit langen Messern, fliegenden Fahnen und viel Geschrei in Toulouse eingedrungen, hatten dort alles kurz und kleingeschlagen und die Juden, (wie zuvor schon in Deutschland) der Vergiftung der Brunnen und Weiden bezichtigt.

Sinn und Zweck des sog. Hirtenkreuzzugs, auf dem sich diese Leute befanden, war die Bekämpfung der Mauren, die sich auf der Iberischen Halbinsel niedergelassen hatten, sowie letztendlich die Eroberung von Jerusalem.
Ihre Hoffnung war dabei, dass der französische König sie anführen würde. Doch als sich Philipp V., auch der “Lange” genannt (1293 – 1322) strikt weigerte, die “Schafshirten” auch nur anzuhören, schlug sich ihre Enttäuschung in maßlose Wut um.

Kurzer Romanauszug zum Fall des Juden Baruch
(aus “Béatris, Kronzeugin der Inquisition”, Seite 34 ff.)

“Nach dieser Abfuhr”, erzählte Baruch, “also nach acht togn, schlug ihr Zorn auf den König in blinde Wut um, und es traf halt den jid. Wen sonst! Wie Ihr wisst, Euer Gnaden, ist es uns erst seit kurzem wieder erlaubt, uns hier niederzulassen, und seitdem gelten wir wohl als … Günstlinge des Königs.”

“Die Gerichtsbarkeit der Stadt Toulouse sah sich offenbar außerstande, euch Juden zu schützen?”, fragte der Inquisitor.

Baruch drehte die Handflächen nach oben. “Oi jojoj”, ging es wieder. “Als wir hörten, dass das Gesindel auf seinem Weg bereits fünfhundert Juden in einen Turm eingekerkert und lebendig verbrannt hat, ergriffen aus unserer Judaria viele die Flucht. Am darauffolgenden Sonntag ging erstmals die Kunde, man hätte die schuldigen Pastoureux verhaftet und in vierundzwanzig Karren fortgebracht. Die Judaria atmete auf. Doch als die Gefangenen ausgerechnet nach Toulouse gebracht wurden, begann der Zores: Diejenigen Hirten, die in den hintersten Karren saßen, schrien plötzlich um Hilfe. Sie plärrten, man würde sie ins Gefängnis stecken, obwohl sie doch den Tod von Christus hätten rächen wollen.

“Und was geschah daraufhin?”

“Nun einige aus der Menge der Tolosaner schlugen sich auf die Seite der Pastoureux. Sie durchtrennten die Seile, mit denen die Hirten gefesselt waren. Die Teufel sprangen heraus und fingen sofort wieder zu schreien an: “Tötet sie, tötet sie, man soll die Juden töten! ... Mit den Waffen, die ihnen die Tolosaner zusteckten massakrierten sie jeden jid, der sich nicht auf der Stelle taufen ließ. Tod oder Taufe, hieß es. Mir selbst schlugen sie fast den Schädel ein … Über und über mit Blut besudelt, gab ich es schließlich zu, dass man mich taufte. Amen – so ist es gewesen.”

“Genauer, Meister Baruch! Wo hat man euch gefasst und wo wurde die Taufzeremonie vollzogen?”

“Nun, die Wilden – sie trugen auf ihren Gewändern Kreuze aus Ziegenhaar – drangen bei mir ein, stahlen mein Hab und Gut, zertrampelten und zerrissen meine Bücher. ‘Lass dich taufen, Jud’, schrien sie, ‘oder wir klopfen dir sämtliche Buchweisheiten aus dem Kopf.’ Sie ergriffen mich, schlugen mich, bis das Blut rann, und zerrten mich mit sich. Quer durch die Stadt. Ich sah die Feuersäulen aus der Judaria, und überall lagen Leichen. Die meisten schwer verstümmelt.
Vor der Kathedrale Saint-Étienne, wo die Taufe vollzogen wurde, lag auf einem Eckstein – ein Anblick, der mich selbst versteinern ließ, Euer Gnaden – ein blutiges Herz, das viele Schaulustige bestaunten. Man sagte mir, es sei das Herz eines Juden, der sich nicht hätte taufen lassen. Vor meinen Augen schlachteten sie den Juden Ascher ab. Er war erst zwanzig Jahre alt gewesen. Als zwei Priester aus der Kathedrale gerannt kamen, hielt ich sie an und bat um Schutz. Vergeblich.
Die ´Hirten` zerrten mich in die Kirche. Dort brannten Kerzen. Juden lagen auf den Knien, die blutverschmierten Hände zum Gebet erhoben.
Ich wandte mich an meine Widersacher, bat um einen Aufschub. Ich wolle auf meine Söhne warten, sagte ich, doch als diese nicht kamen, stellte man mich endgültig vor die Wahl: Taufe oder Tod …
Da stimmte ich zu, mich taufen zu lassen. Man zog mich zum Taufbecken, stieß meinen Kopf ins Wasser, so dass ich schon dachte, man würde mich darin wie einen Hund ertränken wollen. Danach vollzog einer der Priester die notwendigen Zeremonien. Ein anderer flüsterte mir dabei ins Ohr, ich müsse laut bestätigen, dass ich mich freiwillig der Taufe unterzogen hätte, sonst würde ich umgebracht. So bekräftigte ich, obwohl es genau umgekehrt war, dass ich alles aus freiem Willen getan hätte. Man gab mir den Namen Johannes, und eine Frau nähte mir ein Kreuz aus Ziegenhaar auf die Brust.”

Der Inquisitor dankte. “Wir wissen”, sagte er, “dass der Heilige Vater inzwischen die Order erteilt hat, den unseligen Schafskreuzzug aufzuhalten. Wollen wir hoffen, dass es bald gelingt. Zurück zu Eurer Taufe. Seid Ihr hier in Pamiers, wohin man Euch unter Gewaltandrohung gebracht hat, wieder zum Judentum zurückgekehrt, gemäß den Formen und Riten des mosaischen Glaubens?”

“Nein, bei einer Zwangstaufe braucht nicht nach der Vorschrift des Talmud verfahren zu werden, da die Taufe als nichtig gilt.”

“Ihre behauptet also noch immer, sie sei nicht rechtens?”

Baruch nickte. “Es ist eine Sünd für einen jid, sich taufen zu lassen, Euer Gnaden. Auch unter Druck.”

Ein Windstoß stieß eines der Fenster auf und ein nachfolgender Donnerschlag ließ alle zusammenfahren.

“Soso, eine Sünd …”, sagte Jacques Fournier, nachdem die Diener die Läden zugezogen hatten … Er atmete flach und wischte sich zum wiederholten Mal den Schweiß von der Stirn. Als er einen prüfenden Blick in die Runde warf, sah er Unmut in den Mienen einiger Geistlicher. Mehrere flüsterten miteinander, anderen stand sehr deutlich ins Gesicht geschrieben, dass sie wohl selbst gern den “jid” totschlagen würden.
“Ich mache euch einen Vorschlag, Meister Baruch”, fuhr er nach kurzer Beratung mit seinen Beisitzern fort, “es ist schon spät, ein langer Tag liegt hinter uns, bald läutet die erste Gebetsglocke. Auch Ihr braucht Zeit, um noch einmal gründlich über den Sinn Eurer Worte nachzudenken. Wir beenden diese Beratung und lassen Euch wieder rufen.”

Baruch David Neumann zweifelte also vor dem Inquisitor an der Richtigkeit und Rechtmäßigkeit seiner Zwangstaufe, die ihn in Toulouse ereilt hatte.
Im Verlauf der weiteren Verhöre stellte er auch das Dogma der Dreieinigkeit infrage. Der nachfolgende Disput mit dem Bischof, das dieser ebenfalls akribisch aufzeichnen ließ, und in dem noch weitere Fragen des Dogmas, der Trinität, der menschlichen und göttlichen Natur usw. behandelt wurden, dauerte mit Unterbrechungen ganze 58 Tage.
Überall im Land waren Wetten abgeschlossen worden, wer wohl als Sieger aus diesem Glaubensdisput herausgehen würde.

Nun, Jacques Fournier, der Inquisitor von Pamiers, war von seinem Sieg überzeugt …

Wer war Jacques Fournier? – Teil II.
“Ihr habt einen Esel gewählt!”

Jacques Fourniers Karriere als Inquisitor endete im Jahr 1334, als man ihn – den ehemaligen Sohn eines Bäckers (oder Müllers?) – zum Papst ernannte:
Benedikt XII. (1334 – 1342)
Seine Antwort nach der Papstwahl zeichnete sich nicht durch viel Geschwätz oder Eigenlob aus:
“Ihr habt einen Esel gewählt!”.

Der “Esel Jacques” residierte allerdings nicht in Rom – sondern in Avignon.
Als avignonesisches Papsttum wird der Zeitraum zwischen den Jahren 1309 und 1376 oder 1377 bezeichnet, in dem sieben Päpste ihren Sitz in der südfranzösischen Stadt Avignon hatten.

Konsequent schob Benedikt XII. auch in Avignon der Gewinnsucht und der Bestechlichkeit im Klerus einen Riegel vor.
Er reformierte die Kurie und drang auf eine strengere Zucht in den Klöstern.
Noch während seines Pontifex begann der Bau des Papstpalastes in Avignon.

Wie die Prozesse gegen die Katharer von Montaillou
und den Juden Baruch David Neumann ausgingen,
erfahren Sie hier:
Béatris, Kronzeugin der Inquisition.

Zurück zu: Autorin/Vita – Romane

Link zu den Reiseblogs
Frankreich
Südfrankreich

Spanien
Götter & Antike

Link zu: Leseproben Thriller und Historische Romane von Helene L. Köppel

AD 1215 – Die Proklamation des “Leibhaftigen” (4. Laterankonzil)

“Nach Rom wohl nie das Netzwerk ging, mit dem Sankt Peter Fische fing. Sein Netz wird dort missachtet.
Römisches Netzwerk trachtet nach Silber, Golde, Burgen, Land. Dies war Sankt Peter unbekannt.”

(Freidanks Bescheidenheit, 152, 16 / vor dem Jahr 1233)

Das 4. Laterankonzil (lat. Concilium Lateranense IV.) wird als das bedeutendste Konzil des Mittelalters gesehen.
Zur Eröffnungszeremonie am 11. November 1215 versammelte sich in Rom alles was Rang und Namen hatte: Über 400 Bischöfe, mehr als 800 Äbte und Prioren, die Vertreter der Ostkirche sowie die Gesandten der meisten Könige und vieler Stadtrepubliken. Die Patriarchen von Antiochien und Alexandrien waren durch zahlreiche Abgesandte vertreten – wie auch der römisch-deutsche König (und spätere Kaiser Friedrich II.), der Kaiser des lateinischen Kaiserreichs von Konstantinopel Heinrich sowie die Könige von Frankreich, England, Aragon, Ungarn, Zypern und Jerusalem.

Ein kleiner Auszug aus meinem Historischen Roman “Sancha – Das Tor der Myrrhe”
(Ort: Rom, auf dem Weg in den Lateran)

“Rom. Glockengeläut. Hosiannarufe auf den mit Palmzweigen ausgelegten Straßen. Tausende von Bischöfen, Äbten, Priestern und Legaten sowie Abgesandte von Kaisern, Königen und Fürsten machen sich auf den Weg zur Basilika des Heiligen Erlösers. Das Volk schaut und staunt: Schwere Mitren und Kronen, farbenprächtige Umhänge, purpurrote Gewänder, spitzenbesetzte Alben und Pallien. Allüberall Samt und Seide, Pelz und Feh. Geglitzer und Gegleiß …
Die Hauptrolle maßt sich an diesem Tag jedoch der kalte, störrische Novemberwind an, der seit Tagen Römern wir Fremden den Atem nimmt. Übermütig fährt er in die Gewänder, bauscht die Seiden auf, zerrt eifersüchtig an den mitgeführten Baldachinen, die schon gefährlich knarzen. Kruzifixe, Monstranzen und Standarten bringt er zum Schwanken. Fahnen, Banner, Wimpel zum Knattern, und die langschwänzigen Banderolen überschlagen und verknoten sich. Frech treibt er sogar einen grünen Kardinalshut vor sich her, dessen Träger vergessen hat, ihn mit der Kordel unter dem Kinn festzuzurren. Bei dem unglaublichen Gedränge und Geschiebe wird der Bischof von Amalfi – seit Jahren am Stock gehend – niedergetrampelt und kommt zu Tode.

Doch daran trägt der Wind keine Schuld …”
(S. 312 ff)

Innozenz III. – „Owê, der bâbest ist ze junc. Hilf, hêrre, dîner cristenheit“) …

„Owê, der bâbest ist ze junc. Hilf, hêrre, dîner cristenheit“, beklagte im Jahr 1198 Walter von der Vogelweide, als Lothar Graf von Segni im Alter von “nur” 37 Jahren zum Papst gewählt wurde. Sein Papstname war Innozenz III.
Innozenz war von 1198 bis 1216 Papst der römisch-katholischen Kirche und gilt als einer der bedeutendsten Päpste des Mittelalters.

Im Verlauf des Konzils, das Innozenz III. am 19. April 1213 einberief und das vom 11. – 30. November 1215 in Rom tagte, ging es, um nur einige Punkte aufzuzählen, um die Rechtmäßigkeit des römisch-deutschen Königs, die Rückeroberung der biblischen Stätten um Jerusalem (die die muslimischen Sarazenen besetzt hielten), um Reformen im kanonischen Recht – wie die Wiederherstellung der Ordensdisziplin (mit dem Ziel einer sittlichen Verbesserung des Klerus) sowie um das Verbot des Handels mit Reliquien.
Ausführlich befasste man sich auch mit den Juden, untersagte ihnen Wuchergeschäfte; schloss sie von allen öffentlichen Ämtern aus und gebot ihnen sogar, ihre Kleidung zu so zu kennzeichnen (!), “dass sich Christen und Juden nicht irrtümlich miteinander einließen”.

Die Wahrung der Einheit der Kirche, lag Innozenz III. ganz besonders am Herzen. Und das kam nicht von ungefähr …
Im Süden Frankreichs (Okzitanien), aber auch in einigen Städten Ober- und Mittelitaliens, standen sich seit kurzem zwei christliche Kirchen gegenüber:
Die der Katharer (der sog. “Reinen”) und die der römisch-katholischen Kirche – wobei letztere, weil zunehmend korrupt, ständig an Einfluss verlor. In Scharen zog es die Menschen zu den friedfertigen “guten Christen”, den boni christiani, wie sich die Katharer selbst nannten. Die Häretiker fanden dabei breite Unterstützung beim okzitanischen Kleinadel, wo Unzufriedenheit über den Zehnt herrschte. Der Adel blute aus, hieß es, während die römische Kirche immer reicher würde. Und die Kirche der “Reinen” verlangte nun mal keine Abgabe des Zehnt.

Cuius regio, eius religio – wer das Land besitzt, bestimmt über den Glauben, befand hingegen Innozenz. Um “seine Macht” zu sichern und den Glauben der römischen Kirche “rein” zu halten, hatte er bereits im Jahr 1199 (also 16 Jahre vor dem 4. Laterankonzil) mit der Dekretale Vergentis die Häresie (Abweichung vom rechten Glauben) zum Majestätsverbrechen erklärt, auf das die Todesstrafe und die Konfiskation sämtlicher Besitztümer und Güter der Häretiker, der Ketzer, stand.
Doch diese Drohung zeigte kaum Wirkung. Die päpstlichen Legaten, die Innozenz für vier Jahre nach Südfrankreich geschickt hatte, “um die Füchse zu fangen, die den Weingarten des HERRN verwüsteten”, berichteten ihm, dass es die Menschen weiter in Scharen zu den Katharern ziehe. Man müsse wohl das Schwert sprechen lassen …

Der “Alptraum” des Papstes vom Verlust der Macht
und andere “Träume”

Auf dem nachstehenden Gemälde ist der in der Legenda aurea* geschilderte Traum des Papstes Innozenz III. dargestellt, in dem der Heilige Dominikus die Laterankirche vor dem Sturz bewahrt. 
Der Heilige wird begleitet von dem ihm zugehörigen «Hund des Herrn» (Domini canis) – dessen Existenz lustigerweise ebenfalls auf einen “Traum” zurückgeht:
Der Überlieferung nach hatte Dominikus’ Mutter vor der Geburt ihres Kindes im Traum einen schwarz-weißen Hund gesehen, der mit einer brennenden Fackel um die Welt lief – was auf die “göttliche Redekunst” des späteren Ordensgründer hindeuten sollte.

*Legenda aurea: das bekannteste und am weitesten verbreitete geistliche Volksbuch des Mittelalters, verfasst vom Dominikaner Jacobus de Voragine.

“Nehmt ihnen ihre Länder weg!”

Die Gefahr, dass die römisch-katholische Kirche ernsthaft ins Rutschen kommen könnte, wuchs noch weiter an, als man erfuhr, dass die Katharische Kirche bereits eigene Bistümer und eigene Bischöfe eingesetzt hatte – geduldet vom überaus toleranten Grafen Raymond VI. von Toulouse* (1156 – 1222), der, zum Leidwesen des Papstes, über verwandtschaftliche Verbindungen zum französischen König verfügte: Philipp II. August war Raymonds Onkel und zugleich sein Oberlehensherr.

Im Jahr 1209 (nun sechs Jahre vor dem 4. Laterankonzil) ließ Innozenz III. seinen Drohungen dennoch Taten folgen:
Die verwandtschaftlichen Bande ignorierend, forderte er den französischen König zu einem Kreuzzug gegen die Katharer und namentlich gegen den “abtrünnigen” Neffen auf:

» … nehmt ihnen ihre Länder weg, damit katholische Einwohner an die Stelle der vernichteten Ketzer treten können!”

Dieser Kreuzzug (1209 – 1229) entwickelte sich im Verlauf der Jahre zu einem brutalen Eroberungsfeldzug und bereitete letzten Endes den Weg für die im Jahr 1233 eingesetzte Inquisition, an der dann maßgeblich der Orden der Dominikaner beteiligt war.

*Der Toulouser Hof zählte im Mittelalter zu den zivilisiertesten Stätten des Abendlandes. Die damals ca. dreißigtausend Einwohner zählende Stadt Toulouse – “von allen Städten die Blume und die Rose” – war die Hauptstadt der gleichnamigen Grafschaft Toulouse, eines der mächtigsten Fürstentümer, die in der Folge vom Kreuzzug gegen die Katharer bedroht waren.
(Zu den umfangreichen Ländereien der Raimundiner-Grafen gehörte u.a. auch die Provençe.)

Rom im Jahr 1215: Die Proklamation der “leibhaftigen” Existenz des Teufels

Auf dem 4. Laterankonzil im November 1215 – also während in Südfrankreich bereits seit sechs Jahren der Kreuzzug gegen die Katharer tobte – verabschiedete Innozenz III., den viele Menschen hoffnungsvoll das “Licht der Welt” nannten, noch ein weiteres Dekret – eines, das jedoch eng mit der Glaubenswelt der Katharer im Zusammenhang stand:
Es ging darin um nichts weniger als die Proklamation der leibhaftigen Existenz des Teufels.

Unter Hinzuziehung der Glaubensbekenntnisse von Nizäa und Konstantinopel sowie des sog. Athanasischen Glaubensbekenntnisses bestimmte Papst Innozenz III. im 1. Canon, dass der Teufel und die anderen Dämonen “von Gott geschaffen” worden seien, dass sie ursprünglich gut gewesen, dann jedoch aus sich selbst heraus böse geworden wären, so dass der Mensch seither auf Veranlassung des Teufels sündigen würde.

Foto oben: Der Teufel sieht bei der Taufe zu: Taufkapelle in der Kathedrale von Medina Sidonia, Spanien


“Wir sind nicht von dieser Welt!”

Die neue päpstliche Bestimmung von der “Erschaffung des Teufels durch Gott” stand im höchsten Widerspruch zur Glaubensvorstellung der von Rom bekämpften Katharer, die – als Dualisten – nicht an die Existenz eines “leibhaftigen” Teufels oder eines guten Gottes “in menschlicher Gestalt” glaubten.

Die Katharer (“Wir sind nicht von dieser Welt“) wiesen in ihrer Glaubensvorstellung auf den Mythos von den “Gefallenen Engeln” hin, die seit ihrem Sturz aus dem Himmel in Menschenkörpern gefangen seien: Luzifer (oder der böse Gott, das dunkle Prinzip) sei dabei ein wertvoller Stein aus der Krone gefallen (der in späterer Zeit mit dem Gral in Verbindung gebracht wurde).
Der sog. Engelfall (auch Höllensturz genannt) galt den Katharern als Auslöser der Trennung von Gut und Böse.
Die These der Katharischen Bischöfe und Perfekten lautete:

Das gute Prinzip, der gute Gott des Lichts, schuf alle unsichtbaren Dinge, die Seele, den Geist.
Das böse Prinzip, Satan, schuf alle sichtbaren Dinge, die Erde und das, was sich darauf befindet – auch die menschlichen Körper.

Die Zweiteilung von Gott und Welt

Die Wurzeln des sog. Dualismus (vereinfacht, die Zweiteilung) reichen tausend Jahre vor Christus zurück: Gut und Böse, Hell und Dunkel, Oben und Unten – oder, um beim Glauben zu bleiben: Gott und Welt.
Stark beeinflusst wurde dieser Glaube auch von der Antike: Platon und Aristoteles vertraten z.B. gnostisch-dualistische Ansichten.


Der Ursprung des Katharerglaubens geht jedoch vermutlich auf einen persischen Propheten namens Mani (3. Jh n. Chr.) zurück, der sich als Gesandter Christi sah.
Mani gilt als Stifter des nach ihm benannten “Manichäerglaubens”. Er fasste das Denken von Zarathustra (Zoroaster), Buddha und Jesus zusammen und hatte bereits 800 Jahre vor den Katharern Rom das Fürchten gelehrt. Prominentester Anhänger der dualistischen Lehre war der spätere Kirchenvater Augustinus (354 – 430).
Auch damals war ein schwerer Kampf um die Vormachtstellung entbrannt: 
Manichäismus oder Katholizismus?

Kein Wunder, dass Papst Innozenz III. – nach allem, was ihm aus Südfrankreich zu Ohren kam – an Alpträumen litt und irgendwann zur Tat schritt.
Kein Wunder auch, dass Rom die Frauen der Katharer, die große Rechte besaßen und wie die Männer lehren und predigen durften, als “Töchter des Teufels” beschimpfte.

Kirchenvater Augustinus im Gespräch mit dem Bischof der Manichäer Faustus

Jeder Mensch ist fehlbar, selbst “der Herre Papst”!

In einem weiteren Auszug aus “Sancha, das Tor der Myrrhe” geht es um ein “vertrauliches Gespräch” zwischen zwei befreundeten Knappen des Grafen von Toulouse:
Olivier von Termes (entrechteter Sohn eines von den Kreuzfahrern getöteten Katharers) und Damian von Rocaberti, (rechtgläubiger Katholik).
Die beiden befinden sich während der Tagung des o.g. Laterankonzils in Rom, wo in der Gesindeküche ihrer Unterkunft die Gerüchte brodeln …

»Ich sag dir, das geht eindeutig gegen meine Leute«, raunte Olivier Damian zu, als sie eines späten Abends mit einer Handvoll anderer Diener in der warmen Küche des Palazzos saßen.
“Gegen die Katharer?”
“Pst! Nicht hier! Komm mit raus!”
Die beiden erhoben sich unauffällig und nahmen den Ausgang linker Hand, der zum Ehrenhof führte. Obwohl die Diener des Conte von Scarpo auch hier Fackeln aufgesteckt hatten, lag der kleine Arkadengang, in den sie schlichen, weitgehend im Dunkeln. Nur einige der schlanken Marmorsäulen schimmerten im Mondlicht sanft rosafarben.
“Aber wieso”, fragte Damian, als sie sich nebeneinander an den Trinkbrunnen lehnten. “Ich seh hier keinen Widerspruch. Gerade ihr Katharer behauptet doch, dass die Erde und alles, was darauf ist, der Teufel erschaffen hat.”
Olivier hob in gespielter Verzweiflung die Hände. “Aber wir glauben nicht an eine lächerliche Gestalt aus Fleisch und Blut und mit Hörnern auf dem Kopf, wie sie uns der ‘Herre Papst’ weismachen will. Unser guter Gott des Lichts ist eine rein geistige Kraft, und sein Widersacher, der Demiurg, der Schöpfergott, ebenfalls. Und läuft dir beispielsweise dreimal hintereinander eine Elster über den Weg, so hat auch das keinerlei Bedeutung. Sie ist weder von Gott noch vom Demiurgen geschickt, um dich kleinzukriegen. Beim bärtigen Ganymed, Damian, sieh mich nicht wieder so zweifelnd an! Nur alte Weiber nehmen solche Zeichen ernst. Du selbst bist für dich und deine Taten verantwortlich. Natürlich ist jeder Mensch auch fehlbar, selbst der ‘Herre Papst’, und mag er noch so oft das Gegenteil beteuern
…”

(Seite 313 ff)

Weiter zu: Was Sie schon immer mal über die Katharer wissen wollten.

Links zu den Leseproben
“Töchter des Teufels”: bitte hier klicken!

Link zu den Reiseblogs
Frankreich
Südfrankreich

Spanien
Götter & Antike

Link zu den weiteren Romanen: Thriller von Helene L. Köppel

NEUER ROMAN: “Adieu, Marie!”: Die Briefe

Hervorgehoben

Einige Jahre nach der Erstausgabe meines Rennes-le-Château-Romans “Die Erbin des Grals” (2003, Rütten & Loening, Berlin), überließ mir ein guter Freund aus der Schweiz Kopien von 9 handschriftlichen Briefen aus dem Jahr 1911:
Sehr persönliche, ja teils berührende Briefe, die Bérenger Saunière, der Priester von Rennes-le-Château, während seiner Strafversetzung, an „seine Marie“ schrieb.

Dass ich diese Briefe nicht nur ins Deutsche übersetzen, sondern sie irgendwann auch veröffentlichen würde, stand für mich außer Zweifel. Nichts macht mehr Spaß als das Schreiben von spannenden Büchern! Aber würde man den angedachten neuen Roman auch ohne große Vorkenntnisse lesen können? Ohne Insider-Wissen?
Es gab eine Lösung: Die Rahmenhandlung (fiktiv) musste in Rennes-le-Château angesiedelt und eine verlässliche Erzählerin gefunden werden, die – Brief für Brief sozusagen – die Geschichte transportiert und bisweilen den Vorhang lüftet, hinter dem sich die Geheimnisse von Rennes verbergen.
Für diese Rolle konnte ich mir niemand Geeigneteren vorstellen als Marie Dénarnaud selbst! (Schließlich hatte die “Erbin des Grals” auch im wahren Leben Saunières Briefe gehütet und damit für die Nachwelt aufbewahrt!)

Augenzwinkernd vorweg: Dass der Herzensbrecher und Feinschmecker Saunière (der sich selbst als Priester mit einer “Künstlerseele” sah) in seinem turbulenten Leben als Seelsorger den “Gral” fand, ist nicht gesichert, dass er als “findiger Geschäftsmann” Geld scheffelte und dabei bisweilen in den “Fettnapf” trat – nun, wer will es ihm heute noch verübeln!

Manchmal ein Narr zu sein, macht einen noch lange nicht zum Narren, meint Marie dazu.
Recht hat sie!

“Und woher willst DU das alles wissen, schlaue Marie?”, fragt Henriette.
Marie lacht auf. „Diese Antwort geht mir leicht von der Zunge, neugierige Henriette:
Weil die schlaue Marie es immer verstanden hat, ihre Augen und Ohren offenzuhalten!

Viel Vergnügen und gute Unterhaltung mit “Adieu, Marie! – Die Briefe”!

“ADIEU, MARIE!: Die Briefe”
TASCHENBUCHAUSGABE 2024, 250 Seiten,
VERLAG BoD, Norderstedt –
ISBN 978-3-7597-9995-1

Quelle zu Abbé Boudet
in der deutschen Übersetzung, mit Anmerkungen von Olaf Jacobskötter:
“DIE WAHRE SPRACHE DER KELTEN und der Kromleck von Rennes-les-Bains”:

ISBN 978-3-00-021219-2

Zur Leseprobe – bitte hier klicken!

LESERSTIMMEN und REZENSIONEN ZU: “DIE ERBIN DES GRALS
NEUAUFLAGE “MARIE – DIE ERBIN DES GRALS”, 2019, BOD-PRINT + E-BOOK, 460 Seiten, ISBN 978-3-7494-5381-8)

Georg Hirschelmann – Mitteldeutsche Zeitung, 20. 3. 2004: … Haben Sie etwas gelernt? Vielleicht etwas vorgeführt bekommen: Wie man verbürgte Geschichte flott und sauber mit eigenem Erleben (Köppel hat einige Zeit in Südfrankreich recherchiert) und einiger Spekulation mixt und daraus ein spannendes Buch macht …

Lectures pour Tous – Lesezeit, La Voix, Luxemburger Wort, 26. 11. 2003 :… wer aber nach der Lektüre der virtuos erzählten Geschichte von der Erbin des Grals Freude daran hat, die Originalschauplätze zu besuchen – sie haben die Stürme der Zeiten bis zum heutigen Tag überstanden …

Nürnberger Nachrichten, 18./19.10.2003: Geschichtslehrer liegen voll daneben, wenn sie uns immer nur mit Daten, Namen und Ereignissen aus der Vergangenheit füttern. Romane müssen sie schreiben, Geschichten, die uns Geschichte miterleben lassen! Auch wenn es Tausende solcher Schmöker gibt, alte Zeiten ziehen immer. Eine schöne bunte Geschichte aus dem 19. Jahrhundert erzählt der Roman „Die Erbin des Grals

(E-book; TB + Printausgaben: “DIE ERBIN DES GRALS”
Rütten & Loenig, Berlin 2003, 457 Seiten,
Aufbau-Taschenbuch-Verlag, Berlin 2005, 459 Seiten,

NEUAUFLAGE “MARIE – DIE ERBIN DES GRALS”, 2019 BOD-PRINT 460 Seiten, ISBN 978-3-7494-5381-8

Rennes-le-Château – ein Romanschauplatz vom Feinsten!


“In der verfallenden Dorfkirche von Rennes-le-Château fand Abbé Saunière Ende des 19. Jahrhunderts einen Schatz!”

LEGENDE? WAHRHEIT?

Schon als ich im Jahr 2003 den ersten deutschsprachigen Roman über Rennes schrieb, stand eines für mich außer Zweifel:

Über diesen südfranzösischen Ort (im Département Aude gelegen) kann man beständig seine Website füllen, Filme drehen –
oder aber Bücher schreiben! 🙂

BÜCHER?
Vielleicht sogar einen zweiten Roman über Rennes?
Gedacht, getan?
Nun, so einfach war es nicht …

Die Vorgeschichte

Vor einigen Jahren hatte ich von “persönlichen Briefen” erfahren, die der Priester Bérenger Saunière während einer Strafversetzung im Jahr 1911 “seiner Marie” schrieb. Und schon damals hatte sich die Idee in meinem Kopf eingenistet, diese Briefe irgendwann ans Licht der Öffentlichkeit zu bringen. Dass ich für das neue Projekt wieder Marie Dénarnaud an Bord holen würde (die Ich-Erzählerin in meinem ersten Roman über Rennes), stand außer Frage, schließlich war Marie es gewesen, die diese Briefe bis zu ihrem Tod im Jahr 1953 gehütet hat.
Doch erst nach der Veröffentlichung meines Thrillers “Abkehr” konnte ich mich mit “Marie 2”, wie mein Arbeitstitel hieß, näher befassen.
Nun wurden Saunières Briefe ins Deutsche übersetzt, Zusammenhänge recherchiert, neue Hinweise, Namen und Orte überprüft. Das eigentliche Schreiben brauchte die Reifezeit, die es immer braucht, bis alles passt – ganz im Gegensatz zur Titelsuche, denn Saunières Grußformel am Ende seiner Briefe lautete nicht selten: “Adieu, Marie!”

Die aktuellen Cover der beiden Romane

Die Protagonisten in der Geschichte von Rennes-le-Château

Roman 1 – “Die Erbin des Grals” (Ausgaben 2003, 2005 und neu 2019 + E-book)
Text auf der Rückseite des Schutzumschlages:

Am Rande der Pyrenäen ruht der Gralsschatz:
von den Merowingern zusammengetragen, von den Katharern versteckt und von einem besessenen Abbé aufgespürt …

In ihrem faszinierenden Roman enthüllt Helene Luise Köppel eines der tiefsten Geheimnisse des Abendlandes, auf dessen Spur sie intensive Recherchen wie glückliche Zufälle führten.

Die Anfänge der unglaublichen, aber verbürgten Geschehnisse in dem versteckten südfranzösischen Ort Rennes-le-Château, die den ehrgeizigen Landpfarrer Bérenger Saunière fast den Verstand und ganz gewiss das Leben kosteten, reichen bis zu den Katharern, den Merowingern und schließlich zu Jesus selbst zurück.

Als Saunière im Jahr 1886 einen unermesslichen Schatz findet und von da an ein Leben in Luxus führt, gibt es eine Zeugin: seine Haushälterin und Geliebte Marie Dénarnaud. Die Last ihres Mitwissens treibt sie dazu, alles heimlich aufzuschreiben.

Roman 2: “Adieu, Marie – Die Briefe” (Ausgabe 2024; auch E-book)
Die Handlung spielt im Jahr 1920, also drei Jahre nach Saunières Tod.

Kurzer Textauszug aus
“Adieu, Marie – Die Briefe”

Den Blick auf die Kassette gerichtet, beißt sich Marie auf die Unterlippe. Allmählich fühlt sie sich wie eine Maus vor der Falle, die Katze im Rücken. Aber was tun, um sich nicht mit der lieben Henriette zu überwerfen? „Du bist ja wie besessen von dieser Frage“, sagt sie lächelnd, nur einen leisen Vorwurf in der Stimme … 

Zu den jeweiligen Leseproben

Leseprobe “Marie – Die Erbin des Grals

Leseprobe “Adieu, Marie – Die Briefe”

Ich wünsche Ihnen ein spannendes Lesevergnügen!

Helene L. Köppel

Limoux (Aude) – und die rätselhafte Kapelle der Augustiner

Limoux, eine kleine, quirlige Gemeinde in Südfrankreich, liegt am ausgeuferten Flussbett der Aude, ungefähr zwanzig Kilometer südlich von Carcassonne. Die Geschichte der Stadt geht bis auf das Jahr 844 zurück, als Karl der Kahle Limoux der nahegelegenen Abtei Saint-Hilaire übertrug. Im 10. Jahrhundert zählte Limoux zur Grafschaft des Razès. Im 13. Jahrhundert – der Zeit der Katharer – wurde der Ort von Simon de Montfort eingenommen, dem Anführer des Albigenserkreuzzuges. Montfort übergab Limoux seinem treuen Ritter Lambert de Thury. Im Jahr 1296 zählte Limoux dann zur französischen Krone. Dies nur kurz zur Geschichte …

Limoux und die Blanquette
Ein Glas dieses exzellenten Schaumweins in einer der gemütlichen Bars auf der Place de la République sollte man sich schon gönnen, wenn man Limoux besucht. Hier ist nämlich die Heimatstadt der Blanquette, erfunden von den Mönchen der benachbarten Abtei Saint-Hilaire, und gekeltert aus einer Gutedeltraube, die hier wächst.

Übrigens: In Limoux serviert man Ihnen die Blanquette gerne mit einem kleinen Teller Grieben, d.h. ausgelassenem Schweinespeck!

Limoux und sein Karneval
Die Stadt ist nicht zuletzt durch ihre Karnevalsumzüge berühmt geworden, wobei sich hier die Saison über zwei Monate erstreckt. Von Mitte Januar bis Mitte März finden an jedem Samstag und Sonntag spektakuläre Umzüge statt, bei denen man auch die geheimnisvollen weißen Pierrotkostüme bewundern kann.
Die Traditionen, in denen früher die örtlichen Müller eine Rolle spielten, reichen bis ins 16. Jahrhundert zurück. Leider ging es dabei nicht immer “lustig” zu!
Emmanuel le Roy Ladurie schreibt über den Karneval von Limoux folgendes:

“Vom 16. bis 20. Jahrhundert hat der Karneval des Languedoc (Montpellier, Limoux), ganz wie der römische, in völligem Einklang mit dem damaligen Katholizismus, die unglücklichen Juden oder Marranen* der Gegend verspottet …”

*Marranen: Spanische Juden und Muslime, die unter Zwang zum Christentum bekehrt wurden.

Doch nun zum eigentlichen “Schatz” von Limoux – der rätselhaften Augustiner-Kapelle

Der Bettelorden der Augustiner, benannt nach dem Kirchenvater Augustinus von Hippo, wurde im Jahr 1244 in Rom gegründet. Erste Mönche kamen bereits im Jahr 1306 nach Limoux, wo der Orden rasch an Ansehen und Bedeutung gewann: Eine Kirche wurde gebaut, ein Kloster und eine Schule errichtet – sowie jene kleine “Kapelle des Ordens der Augustiner”, die äußerlich heute ein eher bescheidenes Dasein fristet – eingequetscht zwischen zwei neueren Häusern.
Das Altarbild, der Hochaltar und die Kanzel stammen noch aus dem Jahr 1695 und stehen seit 1970 unter Denkmalschutz.

Kurzbeschreibung des Portals:

Direkt über dem Eingang verläuft ein schöner Fries mit Akanthusblättern. Die beiden Heiligenfiguren oberhalb der Fabeltiere zeigen (rechts) Barbara mit dem Turm, (links ?). Im steinernen Schnitzwerks des Giebelfeldes befindet sich, getragen von zwei Engeln, ein Wappen mit der Christuskrone und zwei brennenden Herzen.
Dem ersten Portal folgt ein zweites aus Holz, das die lateinische Inschrift trägt: DOMUS MEA DOMUS ORATIONIS EST – und damit an eine der Inschriften vor der Eingangstür der Magdalenenkirche in Rennes-le-Château erinnert: DOMUS MEA DOMUS ORATIONIS VOCABITUR.

Diese (unvollständigen) Inschriften stammen aus zwei verschiedenen Quellen, besagen aber ungefähr dasselbe: “Mein Haus ist ein Bethaus … ihr aber habt’s gemacht zu einer Räuberhöhle.

Folgen Sie mir nun ins Innere der rätselhaften Kapelle, die mit ihren farbenprächtigen Wandbemalungen und Gemälden nicht wenige Parallelen zur Dorfkirche Sainte Marie-Madeleine in Rennes-le-Château aufweist, und zugleich an die Basilika Notre-Dame-de-Marceile (nahe Limoux) erinnert.

Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden, (bei Interesse unabdingbar!)

Die nächsten drei Fotos

Fußbodenmosaik mit herrlichen Fünfzack-Sternen, die aber auch Lilien darstellen können.
Säulen aus rotem Marmor aus Caunes, Goldverzierungen, kniend die Heilige Philomena mit dem Anker
Bunte Wandbemalung, Fenster Maria Himmelfahrt, Wappen mit Freimaurersymbolen, Monogramm “BS”, Silberdisteln als Symbol für Kraft

Der Höhepunkt in der Augustiner-Kapelle von Limoux
ist das Altarbild eines anonymen Malers.
– Der Versuch einer Deutung –

Die Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!

Erst als ich meine Fotografie aus dem Jahr 2006 (links) daheim bearbeitete, erkannte ich, dass es sich bei dem Gemälde hoch oben im Altarbild, um eine Kreuzigungsdarstellung handelt – und um die Geschichte des Heiligen Augustinus (354-430 n. Chr.). Erleuchtet vom Heiligen Geist, der als Taube über ihm schwebt, widerfährt dem römischen Bischof und Kirchenlehrer sein wahres Bekehrungserlebnis. Er legt Bischofsmütze und Stab ab, kniet nieder und unterwirft sich Christus.
Doch es befindet sich noch jemand auf diesem Bild: Eine junge Frau, die ihr Kind stillt. Spontan denkt man an die Mutter Gottes mit dem Jesuskind – nur nicht in diesem Kontext, also sitzend vor ihrem erwachsenen gekreuzigten Sohn, den sie zeitgleich als Kind auf dem Schoß hält.

Leben und Tod als Gegenpol?

Was hat sich der unbekannte Maler, der wohl im Auftrag der Mönche arbeitete, dabei gedacht? Gewiss hatte er sich zuvor eingehend mit dem Heiligen Augustinus befasst. Demzufolge wusste er, dass Augustinus in Karthago eine langjährige Verbindung zu einer Konkubine unterhielt, die ihm einen Sohn gebar, den er “Adeodatus” nannte (“Der von Gott gegebene”). Kenntnis hatte der Maler bestimmt auch darüber, dass sich Augustinus zeitweise der “ketzerischen” Lehre der Manichäer anschloss. Die Manichäer waren strenge Dualisten*, die an die widerstreitenden Kräfte von Gut und Böse glaubten, von Geist (Gott) und Materie, von Licht und Finsternis. Die demzufolge auch Leben und Tod als Gegensatz sahen. Und gerade dies spiegelt das rätselhafte Gemälde für mich wider: Leben und Tod als Gegenpol – wie eben auch das Göttliche und das Weltliche. Und in diesem Sinne kann auch die Darstellung der eher schlichten jungen Mutter mit Kind als weltliches Pendant zur Mutter Gottes mit dem Jesuskind gesehen werden.
Dass für den Künstler der Heilige Augustinus die wohl wichtigste Person auf dem Gemälde war, bezweifelt vermutlich niemand, trägt er doch als einziger einen Heiligenschein.

*Dualismus: philosophisch-religiöse Lehre von der Existenz zweier Grundprinzipien des Seins, die sich ergänzen oder sich feindlich gegenüberstehen (z. B. Gott – Welt; Leib – Seele)

Die Türme

Der Heilige Augustinus soll einmal über sich selbst geschrieben haben: “In deinen Augen, Herr, mein Gott, bin ich mir zum Rätsel geworden!” (Conf. X 33,50).
Rätselhaft ist auch der Fensterausschnitt auf dem obigen Altargemälde, der den Blick freigibt auf einen sich hinaufschlängelnden Weg und eine Stadt mit vielen Türmen.

Handelt es sich um Jerusalem? Gut möglich. Sogar sehr wahrscheinlich, wobei Augustinus auch hier die Gegenpole erkannte: Jerusalem verstand er als “Reich der caritas”, der Liebe, Babylon hingegen als “Reich der cupiditas”, der Habsucht und Geldgier.

Auch im Rätsel von Rennes-le-Château, (unweit von Limoux) stoßen wir auf einen auffälligen Turm: Den Tour Magdala, erbaut vom damaligen Pfarrer Bérenger Saunière. Maria Magdalena, eine frühe Anhängerin von Jesus, stammte bekanntlich aus Magdala (Migdal).
Migdal (hebräisch) bedeutet wie Magdala (aramäisch) Turm, Wachturm, Zitadelle – aber auch Fischturm: Migdal Nunayya). Nun, Migdal liegt am Westufer des fischreichen See Genezareth. Das Fischsymbol in der christlichen Tradition kennt heute jeder. Der Blick auf die Türme im Altarbild könnte zugleich ein Blick auf die Türme von Magdala sein. Das Große und das Kleine …

Links: Dieses dramatisch anmutende Gemälde, auf dem eine verzweifelte Maria Magdalena das Kreuz wie einen rettenden Turm umarmt, hängt ebenfalls in der Kapelle der Augustiner.


Übrigens, auch die Heilige Barbara (Portal am Eingang) wird stets mit einem Turm dargestellt. Doch dahinter steckt eine andere Geschichte …

Ein weiterer Deutungsversuch in Sachen Altargemälde, anhand einer lateinischen Inschrift:
“HINC LACTOR AB UBERE”

Unterhalb des kleinen Fensters befindet sich eine lateinische Inschrift, die neugierig macht: HINC LACTOR AB UBERE. Übersetzt heißt dies: “Ich nähre mich an ihrer Brust”. Es soll sich um eine mariologische* Aussage handeln. Bedeutet dies, dass es sich bei der stillenden Jungfrau (auch Isis wurde früher so gezeigt) um eine “Maria-Lactans-Darstellung” handelt? Um einen Hinweis des unbekannten Malers auf den Heiligen Bernhard von Clairvaux (1090-1153), den berühmten Kreuzzugsprediger? Der Legende nach war Bernhard von Maria mit einigen Tropfen Milch “erquickt” worden, worauf ihm eine “honigfließende Beredsamkeit” zuteil wurde.
Ein Zusammenhang besteht: Bernhardt von Clairvaux folgte der Prädestinationslehre* des Kirchenvaters Augustinus.

*Die Mariologie (die Lehre von Maria) ist ein Teilbereich der katholischen Dogmatik, die sich mit Maria, der Mutter Jesu befasst.
** Die Prädestination ist die Lehre von der Vorherbestimmung als Gottes unabänderlicher Ratschluss.

Der Isis-Knoten –
Ein letztes klärungsbedürftiges Detail auf dem Altargemälde

Ein letzter Blick noch auf den Lendenschurz des Gekreuzigten: Diese auffällige Knotenart war bereits bei den Ägyptern als heiliges Symbol bekannt. Man nennt ihn heute den “Isis-Knoten”. Er stellt in der Kunst eine Allegorie für das Heilige dar. Viele berühmte Maler griffen bei ihren Kreuzigungsdarstellungen darauf zurück, z.B. Caravaggio (“Kreuzabnahme”). Auch Maria Magdalena (Bild rechts) wird in der Kunst manchmal mit dem Isis-Knoten um den Leib dargestellt.

Eine kleine Schlussbemerkung

“Das Schönste, was wir erleben können, ist das Geheimnisvolle”, hat Albert Einstein einmal gesagt. Die südfranzösischen Kirchen stecken voller Geheimnisse, voller Mystik, und das Spannende daran ist, dass sich jeder Besucher selbst am Versuch einer Deutung beteiligen kann, wenn er das möchte.
Zum Schluss noch zwei eher stimmungsvolle Fotos aus Limoux, mit denen ich mich herzlich für Ihr Interesse bedanken möchte!


Weitere magische Geschichten über Limoux? 

Die Mönche der Abtei Saint-Hilaire und die Blanquette de Limoux

Limoux (Aude) – und die Madonna ohne Kopf

Zusätzliche Quellen:
Rennes-le-château-archive com
Emmanuel Le Roy Ladurie, Die Bauern des Languedoc, Stuttgart 1983
//symboldictionary.net/?p=531

LESEN hält wach, garantiert!
“Abkehr”, Thriller (Romanschauplätze: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Marokko
“Adieu, Marie! – Die Briefe” (Historisch: Rennes-le-Château-Roman 2)

Zurück zu: Autorin/Vita – Romane

 

Die Basilika Notre-Dame de Marceille
und das fehlende “yod”

Vorweg genommen: Notre-Dame de Marceille hat mit der Stadt “Marseille” nichts  zu tun!

Die einsam gelegene Basilika Notre-Dame de Marceille, die seit 1948 unter Denkmalschutz steht, findet man ein Stück außerhalb der südfranzösischen Kleinstadt Limoux, in der Nähe des bekannten Bergnestes Rennes-le-Château. Sie liegt in der Aude-Region, einem uralten Siedlungsgebiet. Der Ortsname “Marceille” soll sich von einer gallo-römischen Villa (einst im Besitz eines Marcellus?) ableiten. Diese könnte in der Nachbarschaft der heutigen Basilika gestanden haben. Notre-Dame de Marceille wurde im 14. – 15. Jh. im Mozarabischen Stil erbaut, aber sie hat eine noch viel ältere Geschichte.

Inschrift der Sonnenuhr von ND de Marceille: “Verflossene Stunden kommen nicht wieder und Tote kehren nicht zurück.”

Notre-Dame de Marceille – Romanschauplatz In meinem Roman “Die Affäre C.” besucht die Protagonistin Sandrine Feuerbach die Örtlichkeit und beschreibt ihre Eindrücke folgendermaßen:

“Die Kirche sah auf der Eingangsseite seltsam verbaut aus. Ein schmaler achteckiger, minarettartiger Turm sowie mehrere kleine Giebeltürmchen auf dem Schiff. Fenster, die eher an ein Wohn- als an ein Gotteshaus erinnerten … Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkten wir, dass das Licht nur durch drei hohe bunte Glasfenster über dem Altar hereinfiel. An den Beichtstühlen vorbei, tasteten wir uns langsam nach vorne. Keine Menschenseele war zu sehen, es war geradezu unheimlich … Auf einem kleinen Tisch in einer Nische flackerten Kerzen. Wir kamen an alten, sehr dunklen Gemälden vorüber, auf denen man kaum Details erkennen konnte, betrachteten Heiligenfiguren, naiv-schöne Wandmalereien und Votivgaben von Pilgern – darunter ein schwerer Stein, der an einer eisernen Kette von der Decke hing –, dann zeigte uns S. ein Bodenmosaik … ein Pentagramm in einem gleichschenkligen Kreuz. Über der Orgel hingen hölzerne Medaillons. Auf einem sei die Bundeslade – foederis arca – abgebildet, versicherte uns S. … Als wir das nördliche Querschiff betraten, ging plötzlich das Licht an. Gold blitzte uns entgegen, Gold wohin man nur sah. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und einer dicken Glasscheibe saß die Schwarze Madonna …

Notre-Dame de Marceille – ein früher Wallfahrtsort

Fromme Pilger zog es bereits früh an diesen Ort, weil sich dort eine heilkräftige Quelle befand (Linderung von Augenkrankheiten). Und nachdem Wunderquellen, Brunnen und Madonnen einander offenbar bedingen, entdeckte man im 11. Jh. in der Nähe der Quelle auch eine Schwarze Madonna. Die Legende berichtet, ein Ochse hätte sie beim Pflügen gefunden. Vom Bauern nach Hause gebracht, verschwand sie wieder. Ganze dreimal und immer über Nacht. Sie war erst zufrieden, als man ihr eine Kapelle mitten auf dem Feld baute. Seit dem Jahr 1280 ist Notre-Dame de Marceille als Wallfahrtsort bezeugt und machte Furore: Selbst katharisch-gläubige Frauen (Béatris – Kronzeugin der Inquisition) suchten diese Kirche auf (AD 1308), um die Madonna zu besuchen, zu beichten und dabei ihre “Rechtgläubigkeit” zu bekunden, wenn sie unter Beobachtung der Inquisition standen.

Die Schwarze Madonna von ND de Marceille, (bevor Vandalen ihr 2007 den Kopf abschlugen). (Näheres hierzu in meinem  Artikel “Schwarz bin ich, aber schön …)

Notre-Dame de Marceille besticht nicht zuletzt durch die Farbenpracht ihrer Wände, Decken und Fußböden:

(Fotos zum Vergrößern bitte anklicken!)

NDMarceille2016a

Notre-Dame de Marceille – und das fehlende “yod” In und unter dieser Kirche werden seit grauer Zeit verborgene Schätze, düstere Geheimgänge, verlassene Gräber und verschlüsselte Geheimnisse vermutet. Was ist davon zu halten? Meine Romanheldin und ihre Freunde entdecken eines dieser Geheimnisse:

Die Statue hatte freundliche Augen, ein dunkelbraunes Gesicht unter Schleier und prachtvoller Krone, dazu ein anziehendes verschmitztes Lächeln, obwohl man sie eingesperrt hatte, damit sie nicht wieder davonlief … Wir kamen am Altar vorbei, dessen blaues Gewölbe mit unzähligen goldenen Sternen bemalt war, da hörte ich Steffi fragen: “Was ist denn das hier? Eine Marmorurne mit Schlüsselloch?” Sie stand in einem Seitenaltar und deutete auf einen kleinen weißen Schrein.

“Aber nein, das ist ein alter Tabernakel”, stellte Sokrates fest, “ein Aufbewahrungsort für geweihte Hostien … Das Dreieck darauf ist das Zeichen für die Dreieinigkeit, in seiner Mitte müsste sich das ´Auge Gottes` befinden … Attention!”, sagte er plötzlich … “da ist eine Gravur, hebräische Buchstaben … Seltsam”, er nahm eine der brennenden Kerzen, um besser sehen zu können. “Eigentlich müsste es sich um den Schriftzug JAWEH handeln, den Namen Gottes. Der Kranz außen herum stellt ganz eindeutig den Dornbusch dar, der brennt, aber nicht verbrennt … Doch es sind nur drei Zeichen vorhanden, also handelt es sich hier nicht um das Tetragramm des Gottesnamen! Merkwürdig … auf diesem Tabernakel fehlt der erste Buchstabe des Namens Jahwe, das ´yod`. Übrig bleibt ´Chawa` oder auch ´Chava`.

“Aber was bedeutet das?”

“Chava bedeutet Eve, Eva. Eva oder auch Leben, die Urmutter also.

“Aber wieso verehrt man hier Eva?”, fragte Steffi verwundert. “Ein Tabernakel sollte doch das Allerheiligste beinhalten, oder?”

Tabernakel-Inschrift in ND de Marceille, (hebräisch von rechts nach links zu lesen) Es fehlt das “yod” – lesbar ist “Eve” oder “Eva”

Um mich abzusichern, habe ich die Buchstaben vor Ort abgepaust: Kein “yod” vorhanden!

Fotos anklickbar zum Vergrößern!

Zum Vergleich die Tabernakel-Inschrift aus der Kirche der nahegelegenen Ortschaft Quillan: Hier ist das “yod” ist vorhanden: Lesbar ist “Jahwe”

Ein zweites fehlerhaftes Tetragramm in Kanada

Die Sache mit dem fehlenden “yod”, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und ich hätte sie wohl nicht in meinen Roman einfließen lassen, wenn mir seinerzeit nicht eine Ausgabe von “Les Carnets-Secrets” (Nr. 4, Januar-März 2006) in die Hände gefallen wäre. In diesem Heft stand ein interessanter Artikel: “Montréal, la Nouvelle Jérusalem: La survivance de l`idéal templier”, verfasst von Francine Bernier. Es geht darin um die Kathedrale von Montréal/Kanada, in der dasselbe Phänomen entdeckt wurde. Francine Bernier schreibt darüber:

 “Von allen Hinweisen, die in Montreal gefunden wurden, ist der bedeutendste und aufschlussreichste ohne Zweifel der Tetragrammaton (heiliger Name Gottes in vier hebräischen Buchstaben, YHVH, der über der Kanzel der Basilika von Notre Dame, einem Besitz der Sulpizianer von Montreal, hängt. Dieses heilige Symbol stammt aus der ersten Kirche von Notre-Dame, die 1685 von und für die Herren von Saint-Sulpice, damals die einzigen Herren von Montreal, errichtet wurde. Fotos wurden von einem Dutzend Experten aufgenommen und analysiert, darunter Rabbi Dovid Shirel von Kfar Chabads Gal Enai Institut in Israel. Ihre Analysen konnten ohne möglichen Irrtum bestätigen, dass es nicht vier Buchstaben gab, sondern drei (HVH, und dass diese, ohne den Jod des Anfangs, das weibliche Wort chavah bilden, was Eva, Frau oder Mutter allen Lebens bedeutet. Mit anderen Worten, der Schöpfer ist weiblich, ein gnostisches und ketzerisches Konzept, das zweifellos die “verborgene Seite” der von Jean-Jacques Olier gegründeten Johanniterkirche darstellt.

  Die Verfasserin Bernier merkt hierzu noch an, dass es sich beim fehlenden “yod” keineswegs um einen Fehler oder Zufall handelt, zumal sich in derselben Kathedrale (in der Kapelle der Heiligen Therese von Lisieux) ein zweites fehlerhaftes Tetragramm oberhalb der Kanzel befindet. Außerdem sei eine riesige Statue, die mit geschlossenen Augen daneben sitzen würde, “die Religion” darstellend, in Wirklichkeit eine Darstellung der androgynen Göttin Cybele, die mit Sophia (Weisheit) verbunden ist. Cybele galt als “Mutter allen Lebens”.

Was hat nun Notre-Dame de Marceille mit Kanada zu schaffen?

Das Verbindungsglied ist ein französischer katholischer Priester: Jean-Jacques Olier. Er gilt als Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, gründete die Kongregation der Sulpizianer sowie das berühmte Priesterseminar St. Sulpice in Paris, welches auch im Rätsel von Rennes-le-Château eine Rolle spielt. Im Jahr 1657 entsandte Jean-Jaques Olier Sulpizianer nach Montréal/Kanada für eine dortige Gründung. Ungefähr zeitgleich stand er in enger Verbindung mit dem damaligen Bischof von Limoux, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Notre-Dame de Marceille kontrollierte.

Die Kongregation der Sulpizianer war bekannt für ihre Marienverehrung.

 

 

(Maler unbekannt)

Kleine Schlussbemerkung  
 
Nach S.G.F. Brandon, Religion in Ancien History, New York 1969, leitet sich die Buchstabenkombination JHWH, yod-he-vau-he, von der hebräischen Wurzel HWH ab – in lateinischen Buchstaben EVE, was sowohl “Leben” wie “Frau” bedeutet. Mit dem angefügten “yod” entstand angeblich das Wort, durch das die Göttin ihren Namen als Schöpfungswort anrief – eine in Ägypten und anderen Ländern des Altertums verbreitete Vorstellung.
 
***
 
Hat Jean-Jacques Olier, der Marienverehrer und Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, über den priesterlichen Tellerrand hinausgesehen? Notre-Dame de Marceille, das fehlende “yod” und nicht zuletzt die Anwesenheit der Schwarzen Madonna könnten der Beweis dafür sein.
 
 
 
 
 
 
 
 

LESEN hält wach, garantiert! “Abkehr”, Thriller (Romanschauplätze: Deutschland, Frankreich, Spanien, Italien und Marokko “Adieu, Marie! – Die Briefe” (Historisch: Rennes-le-Château-Roman 2)

Zurück zu: Autorin/Vita – Romane

 

Links im Bild: “Die wundersame Quelle von Marceille”

Ans Herz gelegt: Notre-Dame de Marceille als Romanschauplatz Leseproben hier: “Die Affäre C.”, Thriller, “Béatris: Kronzeugin der Inquisition, Historischer Roman

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Helene Köppel