Palau-del-Vidre – eine Madonna geht auf Reisen!

Palau-del-Vidre ist eine kleine französische Gemeinde in der Region Okzitanien, ungefähr 15 Kilometer über die D 914 von Collioure entfernt. Der Ort liegt im Tal des Flusses Tech.
Bekannt ist Palau-del-Vidre für seine Glasbläser, die hier (traditionell seit dem Mittelalter) ihre Kunst zeigen. Alljährlich im August findet in Palau-del-Vidre das internationale Festival “Les Arts du Verre” statt, zu dem Glasbläser aus ganz Europa anreisen.
Zu einiger Berühmtheit hat es auch die Kirche Saint Marie de L’Assomption (12. Jahrhundert) gebracht. Nicht zuletzt wegen einer außergewöhnlichen Madonnenstatue – die (unter meiner Mitwirkung) im Jahr 2017 auf Reisen ging, um in Österreich ausgestellt zu werden.

Aber dazu später mehr …

Palau-del-Vidre hatte ich schon vor zwanzig Jahren kennengelernt, doch bis ich die Kirche Sainte Marie de l’ Assomption betreten und die von mir seit langem gesuchte Madonna zu Gesicht bekam, war Geduld angesagt.
Viel Geduld …

Im Mai 2009 dann – nach einer sieben Jahre langen, aufwändigen Restaurierung der Kirche, des Vorplatzes und des halben Ortes, für die eine kleine Gruppe passionierter Bürger gesorgt hatte – hoffte ich erneut auf mein Glück, doch vergebens.
Immerhin entdeckte ich nun ein neues Schild mit neuen Öffnungszeiten: Montag bis Donnerstag 17 – 18 Uhr, Freitag 11 – 12 Uhr.
Ein Blick auf meine Uhr: Es war zwar Freitag, und bereits 12.30 Uhr!
Am Montag stand ich um 17 Uhr erneut auf der Matte – mit demselben Ergebnis: Kirche zu und weit und breit niemand in Sicht!
Ich wartete. (Schließlich ticken die Uhren in Frankreich mitunter etwas anders …) Ich wartete … Nach einiger Zeit wurde ein Mann auf mich aufmerksam, den ich bereits vom Sehen kannte (er restauriert in seiner Garage alte Stühle!).
Nun warf auch er einen irritierten Blick auf das Schild und die geschlossene Tür, dann schickte er mich kurzerhand in die Mairie, also ins Rathaus.

Netter Empfang im Bürgermeisteramt. Eifriges Nicken einer jungen Sekretärin: “Pas de problème, Madame, selbstverständlich können Sie die Kirche besichtigen!”
Vorfreudig nahm ich im Vorzimmer Platz. Wartete. Es folgten zwei, drei Telefonate in meiner Angelegenheit, und irgendwann wurde eine weitere Sekretärin herbeigerufen, die sich “tout de suite” der Sache annahm und ebenfalls zum Telefon griff.

Nun ja, ich kürze an dieser Stelle ab: Malheureusement, Madame, la clé a disparu!” Tja, wenn der Kirchenschlüssel verschwunden war! 🙂
“Ce n’est pas grave!”, sagte ich lächelnd. “Höhere Gewalt!”.
Schließlich vereinbarten wir einen festen Termin für Mittwoch.
Ich freute mich, ungelogen!

Am Mittwoch stiefelte ich direkt ins Rathaus, wo mir die kleine Tochter des Bürgermeisters mit einigen lustigen “Turnübungen” die obligatorische französische Wartezeit vertrieb. 🙂
Endlich war es soweit: Mit strahlendem Lächeln präsentierten mir die beiden Sekretärinnen des Bürgermeisters den wiederaufgefundenen Schlüssel.
“Unsere Kirche beherbergt viele Schätze”, erzählten sie mir unterwegs, “zwei gotische Altarbilder aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, ein Altarbild aus der Renaissance, einen berühmten Tabernakel, seltene Gegenstände – darunter eine geheimnisvolle, sich öffnende Jungfrau.”
Ich war gespannt wie selten zuvor, denn der Autor Ean Begg, von dem ich den Tipp mit der geheimnisvollen Madonna hatte, beschrieb diese Figur folgendermaßen:

Eine Schwarze Madonna in der Pfarrkirche, in einer Mauernische in etwa 4 Meter Höhe. Einzigartige “Vièrge Ouvrante”, Madonna, die sich öffnet, um eine bärtige Figur in ihrem Inneren zu enthüllen. Das Kind sitzt auf ihrer linken Schulter.”

Zuerst ein Blick auf das weitere interessante Interieur in dieser Kirche …

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„Nicht das Beginnen wird belohnt, sondern einzig und allein das Durchhalten.“ 🙂
(Katharina von Siena):

Die Madonna von Palau-del-Vidre


Wie vom Autor Begg beschrieben, stand das Ziel meiner “Begierde” – nach der jahrelangen Restaurierung der Kirche – wieder in ihrer angestammten Mauernische, gute vier Meter hoch über dem Altar.
Die Autorin Chr. Mulack (“Maria, die Geheime Göttin”, s. 64), beschreibt diese seltenen Figuren folgendermaßen:

“Die Vièrge-ouvrante-Figuren entstanden zwischen dem 13. und 15. Jahrhundert. Im geschlossenen Zustand stellen sie die jungfräuliche Gottesmutter mit dem Kind auf dem Arm dar, geöffnet enthüllen sie Gott-Vater, Sohn und Heiligen Geist im Leib der Jungfrau.
Die Vorstellung, dass die männliche Dreifaltigkeit in der Jungfrau enthalten ist, weist in vorchristliche Jahrhunderte zurück, die ebenfalls die jungfräuliche Gottesmutter als Urheberin männlicher Gottheiten kennt.“

Ihre Zerstörung wurde von den Priestern von Palau del Vidre geschickt vereitelt …

” … Madonnen dieses Typs, die auch die Trinität einbeziehen, sind sehr selten. Weltweit gibt es nur noch dreizehn Exemplare.
Das hat seinen Grund: Die römisch-katholische “Mutterkirche” – trotz ihres Namens von Männern dominiert – hatte diese Art von Darstellung auf ihrem Konzil von Trient (1545-1563) verboten und sogar die Zerstörung der angeblich häretischen Figuren angeordnet. 
Die Priester von Palau-del-Vidre wussten “ihre” Madonna jedoch gut zu verstecken. Im Jahr 1648 wurde sie wiederentdeckt, in einer Nische über dem Retable des Heiligen Sebastian. 

(aus: H.L.Köppel, Ausstellungskatalog d. Jüd. Museums, Hohenems)

Acht Jahre später verlässt die “Geheime Göttin” Südfrankreich und geht auf Reisen …

Die Vorgeschichte zu dieser Reise:

Im Oktober 2016 erreichte mich das Schreiben einer Kuratorin aus Wien, die auf einen anderen Artikel auf meiner Website aufmerksam geworden war, der sich mit den nicht weniger rätselhaften “Schwarzen Madonnen” beschäftigt:

Sehr geehrte Frau Köppel,
ich arbeite gerade an einer Ausstellung über die weibliche Seite Gottes. Unsere Ausstellung wird zwar in erster Linie dem Judentum gewidmet sein, möchte jedoch auch das Christentum und den Islam einschließen.
Ich bin bei der Recherche auf Beiträge von Ihnen gestoßen …

Ich schrieb zurück und machte die Dame auf die Vièrge Ouvrante (und das freundliche Bürgermeisteramt) in Palau-del-Vidre aufmerksam.
Im Januar 2017 kam die Erfolgsmeldung aus Wien:

Dank Ihres netten Emails sind wir jetzt tatsächlich in Kontakt mit der Gemeinde von Palau-del Vidre und haben bereits informelle Zusagen, dass wir die wunderbare Jungfrau für unsere Ausstellung ausborgen können …”

Über die bevorstehende Reise der Madonna habe ich mich natürlich sehr gefreut – aber auch über die Bitte, die man nun an mich herantrug, eine Objektbeschreibung für den Ausstellungskatalog beizusteuern. Nachstehend das Ergebnis:

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Und hier – voilà – die weitgereiste Madonna aus Palau-del-Vidre, hinter Glas stehend, in der Ausstellung im Jüdischen Museum Hohenems (30. April bis 8. Oktober 2017)

An dieser Stelle nochmals vielen herzlichen Dank an Sabrina und Catherine, die netten Sekretärinnen des Bürgermeisters!

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Magische Orte in der Umgebung:

Collioure, Santa Maria del Vilar, Kloster Fontfroide, Saint-André de Sorède, Boule d’ Amont, Cabestany, Canal-du-Midi, Elne, Ille-sur-Têt, Marcevol, Saint-Michel-de-Cuxa, Taurinya,

Toulouse – “von allen Städten die Blume und die Rose”

LA VILLE ROSE.

“Die Stadt, die die Franzosen ihrer vielen alten Backsteinhäuser wegen La ville rose nennen, war an diesem Tag in ein eher malvenfarbenes Licht getaucht …”, erzählt Sandrine Feuerbach, als sie in Toulouse eintrifft, um ihre Tante zu beerdigen (Die Affäre Calas, Roman).
Das Farbenmeer hatte mit dem obligatorischen Veilchenfest zu tun – das auf Napoleonische Soldaten zurückgeht, die das Parmaveilchen aus Italien mitgebracht hatten. Seitdem ist diese Blume der ganze Stolz der Toulouser Blumenhändler mit ihren Gewächshäusern im Norden der Stadt, der Parfumhersteller sowie der Pâttisserien, die in dieser Zeit von kandierten Veilchenblüten geradezu überquellen.
Eine Vorliebe für Veilchen besaß Toulouse aber schon im 14. Jahrhundert, als hier erstmals die berühmten Jeux floraux* abgehalten wurden, die sog. Blumenspiele. Es handelte sich um einen Dichterwettbewerb, der sich auf die Fahne geschrieben hatte, die provenzalische Troubadourdichtung zu erhalten. Das Fest stand unter dem Schutz der damaligen Capitouls (Ratsherren). An jedem dritten Mai wurden seitdem durch die Académie de Jeux Floraux** die besten Gedichte in französischer und okzitanischer Sprache prämiert: Es winkten fünf goldene oder silberne Blumen: das Veilchen, die Heckenrose, die Ringelblume, der Amaranth und die Lilie.
Wer drei dieser Blumen erhielt, wurde zum “Meister der Dichterspiele” ernannt.

*Die Jeux floraux gehen auf die römischen Blumenspiele zurück, die zu Ehren der Göttin Flora gefeiert wurden.
**Die Académie des Jeux Floraux (okzitanisch, Acadèmia dels Jòcs Florals) ist eine literarische Gesellschaft, die 1694 von Ludwig XIV. als königliche Akademie anerkannt wurde und das 1323 in Toulouse von sieben Troubadouren gegründete Consistori del Gay Saber ablöste, das unter dem Schutz des Capitouls stand.

Der Brunnen auf dem Place Wilson wurde dem provenzalischen Dichter Pierre Godolin (17. Jh.) gewidmet.

Godolins Meisterwerk ist Ramelet Moundi, was mit “Der Strauß von Toulouse übersetzt werden kann, aber ein Titel mit mehreren Bedeutungen ist: Ramelet bedeutet auch “der Zweig”, und “Moundi” ist ein Wortspiel mit Moundi = Raymond, dem Vornamen der Grafen von Toulouse, aber auch “die Welt”, sogar “mein Gott”, und auch “mon dire” = “das, was ich sage”.
Die Veröffentlichung dieser Sammlung in okzitanischer Sprache erfolgte zwischen 1617 und 1648.

Ein kleiner Spaziergang durch die Altstadt von Toulouse

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Die berühmten “Raymonds” – die Grafen von Toulouse

“Das Glockenspiel von St. Sernin schlug gerade elf, als wir an der Mauernische mit den steinernen Sarkophagen der vier berühmten Raymonds, der Grafen von Toulouse, vorbeischlenderten. Ein Gitter versperrte uns beinahe die Sicht, der Gehsteig davor war aufgerissen, es wurden Leitungen verlegt, und wir mussten auf die Straße ausweichen …

Der bekannteste Toulouser Graf, Raymond VI., war einer der ruhm- und einflussreichsten Fürsten Frankreichs, ein Freund der Katharer wie auch sein Sohn, Raymond VII., und Toulouse zu jener Zeit – im 13. Jahrhundert – eine der größten Städte des Abendlandes …”

aus “Die Affäre Calas”, S. 181 ff

Toulouse – Luft- und Raumfahrtmetropole

Die alte Metropole Okzitaniens, einst Sitz der großen und mächtigen Grafschaft Toulouse, hat sich längst der Zukunft verschrieben: Heute ist Toulouse (mehr als 400 000 Einwohner) nicht nur die Hauptstadt der Verwaltungsregion Okzitanien sowie Verwaltungssitz des Départements Haute-Garonne – Die Stadt gilt u.a. auch als Luft- und Raumfahrtmetropole. (Fertigung der Concorde und Airbus-Flugzeuge, Trägerrakete Ariane, Raumgleiter Hermès usw.)
Unvergessen in der Bevölkerung ist die schreckliche Chemiekatastrophe in der Stadt, die sich im Jahr 2001 ereignete, eine Explosion größten Ausmaßes in der Düngemittelfabrik Azote, die zu TotalFinaElf gehörte. Sie beschädigte große Teile der Stadt, forderte 31 Todesopfer und tausende Verletzte. Bis heute ist das Unglück nicht restlos aufgeklärt. Im Jahr 2006 entschieden die Untersuchungsrichter jedoch, die Akte zu schließen; ein Jahr später lehnte das Berufungsgericht alle neuen Nachforschungsanträge ab.

Das Hôtel Clary in der Rue de la Dalbade

Unter den zahlreichen Kirchen in Toulose, (z.B. Saint-Sernin – die größte erhaltene romanische Kirche Frankreichs, an deren Außenseite die Sarkophage der Grafen stehen, Fotos oben), ist die alte Basilica minor Notre-Dame-la Daurade erwähnenswert. Sie liegt im Herzen des Stadtteils Carmes, in Flussnähe.
Auf dem Weg dorthin, durch die Rue de la Dalbade, sollte man unbedingt noch einmal innehalten, denn hier stehen die prachtvollsten Bürgerhäuser von Toulouse aus Stein, nicht wie üblich aus Ziegeln. Sehenswert ist vor allem die Fassade der Hausnummer 25 – des sog. “Hôtel Clary”. Dieses imposante Privatgebäude ist eines der Schmuckstücke der zivilen Architektur in Toulouse. Es wurde im 16. Jahrhundert für die Familie Clary von dem berühmten Architekten Nicolas Bachelier erbaut.

Die Basilica Notre Dame de Daurade und ihre Legenden

Der Name “Daurade” bezieht sich auf die Basilica Notre Dame de la Daurade. An diesem Ort stand in römischer Zeit ein Apollontempel. Die im 6. Jahrhundert erbaute Kirche Notre Dame de la Daurade wurde nach einem Brand am Ende des 15. Jahrhunderts vollständig neu errichtet. Ursprünglich war das Äußere mit Kalk bedeckt, was ihm ein makelloses Weiß verlieh. Äußerlich ist das Weiß heute nur noch im Inneren der Kirche zu finden. Bestechend hingegen das “farbenfrohe” Renaissance-Portal aus dem Jahr 1878, ein Werk von Gaston Virebent, einem berühmten Keramiker, inspiriert von der “Marienkrönung” von Fra Angelico. (Foto Mitte).
Der Turm der Kirche war mit 91 Metern lange Zeit der höchste der Stadt, stürzte aber 1926 plötzlich ein.

Der Überlieferung nach (Quelle Ean Begg) soll die Schwarze Madonna von Toulouse, die sich in der Daurade-Kirche befindet, ursprünglich eine Statue von Pallas Athene gewesen sein, der griechischen Anath, wie es heißt, die mit der Legende um die “schwimmfüßige Königin des Südens, La Reine Pédauque” verbunden wird. Der Name “La Reine Pédauque” (Königin Gänsefuß) soll auch der (dunklen) Königin von Saba zugeschrieben worden sein.

Die Daurade-Madonna hat aber noch in einer weiteren Geschichte ihre Hände im Spiel …

Der Delphi-Schatz, ein merkwürdiger Fisch und das verfluchte “Gold von Toulouse

“Daurade” (Dorade) ist bekanntlich eine Art Fisch. Doch weshalb nannte man eine christliche Madonna “La Daurade”?

Die Bezeichnung könnte auf den römischen Konsul Servilius Caepio zurückgehen, der im Jahr 106 v. Chr. nach Toulouse kam, um hier die Herrschaft Roms wiederherzustellen. Er plünderte und zerstörte die gallischen Heiligtümer (Toulouse war damals die Hauptstadt der Tektosagen) und ließ dabei an der Stelle der heutigen Daurade-Kirche auch einen See trockenlegen, weil er darin das gesuchte “Gold von Toulouse” vermutete, das die Tektosagen angeblich aus Delphi* gestohlen hatten. Doch statt des Delphi-Schatzes schwamm die Statue einer “dunklen Mutter” in der abgelassenen stinkenden Brühe des “heiligen Sees”.
Diese Statue wurde tatsächlich bis in das 5. Jh. hinein als Pallas Athene verehrt. Nach dem Verbot aller heidnischen Kulte, im Jahr 415, beschloss man, dass die “Braune”, wie sie im Volksmund genannt wurde, in Wirklichkeit Maria, die Mutter Gottes sei.
Die alte Statue wurde im 14. Jh. gestohlen und später durch eine “Schwarze Madonna” ersetzt.
*Nach Posidonius (griech. Geschichtsschreiber um 50 v. Chr.) soll es sich beim Delphi-Raub um fünfzehntausend Talenten in Gold gehandelt haben –
darunter aber auch der berühmte Omphalos, der Nabelstein von Delphi, sowie andere heilige Gegenstände.

Eine weitere Wort-Erklärung: “Daurade könnte auf “Deaurata” zurückgehen (“von Gold bedeckt”), und sich auf die prachtvollen Mosaike der ersten Kirche beziehen.
Aber auch der Fisch ist noch nicht vom Tisch: Die Daurade (Dorade) ist schließlich als “Goldbrasse” bekannt. 🙂


Das verfluchte Gold von Toulouse

Beim “verfluchten Gold von Toulouse” handelt sich um eine von vielen antiken Autoren (darunter Strabo) erzählte Geschichte, in der sich Historie und Legende vermischen.
Ob der von dem römischen Konsul Caepio gesuchte Schatz tatsächlich mit der Plünderung des Apollon-Heiligtums von Delphi (anlässlich der Großen Keltenexpedition im Jahr 279 v. Chr.) zusammenhing, weiß man nicht. Gesichert ist wohl, dass der Konsul im Jahr 106 v. Chr. etwa siebzig Tonnen Gold, wie die Autoren berichten, sowie hunderttausend Pfund in Silberbarren erbeutete – und auf den Weg nach Rom schickte, wo jedoch dummerweise nur das Silber ankam.
“Apollos Rache”? Oder was war passiert?
Caepios Karawane war zwischen Toulouse und Marseille unter die Räuber gefallen. Die gesamte Eskorte wurde massakriert und die siebzig Tonnen Gold verschwanden auf Nimmerwiedersehen. Die römische Welt stand Kopf: Caepio wurde beschuldigt, den Überfall erfunden zu haben, um das Gold für sich zu behalten. Man klagte ihn der Veruntreuung an und beschlagnahmte seinen Besitz. Einmal im Unglück, bezichtigte man ihn ferner (105 v. Chr.) die vernichtende Niederlage der Römer in Orange (Arausio) herbeigeführt zu haben, bei der 80 000 römische Soldaten von den Kimbern und Teutonen erschlagen wurden.

Kein Wunder, dass das “Gold von Toulouse” seitdem als verflucht gilt. Man sucht es übrigens noch heute – wie auch die drei Tore, von denen wiederum andere örtliche Legenden erzählen: “Das Tor des Geldes, das Tor des Goldes und das Tor der Myrrhe.
“Das verfluchte Gold” und Caepios Schicksal blieb in den Köpfen der Menschen hängen: Mit “Es un cépiou!” bezeichneten die Okzitanier noch im Mittelalter einen gierigen oder unehrlichen Menschen.

“Quintus Servilius Caepio raubt das Gold von Toulouse …”

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Musée des Augustins – Das ehemalige Augustiner-Kloster

Einer der Gründe, weshalb ich im Jahr 2004 nach Toulouse fuhr, waren die Recherchen für meinen Roman “Die Affäre Calas”. Für einen Besuch im ehemaligen Augustiner-Kloster (seit 1793 Musée des Beaux-arts, heute größtes europäisches Museum für Romanische Kunst) hatte ich mich telefonisch angemeldet. Der dortige Kurator für Gemälde, Axel Hémery, bot mir am Ruhetag des Museums eine Privatführung an und machte mich nicht nur auf die Symbolsprache des Malers Nicolas Tournier (+1639 in Toulouse) aufmerksam, sondern beantwortete mir auch geduldig meine Fragen nach den Büßern von Toulouse im 18. Jahrhundert.
Bei der späteren Auswertung bzw. Vergrößerung meiner Fotos entdeckte ich auf dem Portalwappen der Schwarzen Büßer (letztes Zeugnis dieser Bruderschaft!) merkwürdige Buchstaben, die mit bloßem Auge nicht zu sehen waren: Die Inschrift links unten lautet NIGRA SUM SED FORMOSA – Schwarz bin ich, aber schön …
– womit sich für mich im Nachhinein der Kreis zur Schwarzen Daurade-Madonna schloss.

Südländisches Treiben in Toulouse

Toulouse bietet nicht nur Flaniermeilen mit exklusiven Modeboutiquen und Schuhläden, zahlreiche Kirchen, Museen und Ausstellungen, gemütliche Straßencafés und kulinarische Köstlichkeiten (in der Markthalle oder den Restaurants mit regionaler oder internationaler Küche). Ein Hightech-Themenpark im Südosten der Stadt gehört dazu, wie auch eine Bootsfahrt auf – oder einfach nur der herrliche Sonnenuntergang an der Garonne.
Toulouse ist eine Stadt besonders für junge Leute, eine StudentInnenstadt. Schon im 12. Jh. gab es hier Universitäten, an denen mehrere Sprachen gelehrt wurden, u. a. auch Hebräisch – während zur selben Zeit im Norden Frankreichs viele Adelige nicht einmal ihren eigenen Namen schreiben konnten. Heute zählt Toulouse, nach Paris und Lyon, die meisten Studierenden in Frankreich.

Anerkannte Street art-Künstler haben sich in Toulouse einen Namen gemacht und die multikulturelle Kulturszene steht den Millionenstädten Marseille und Lyon in nichts nach. Dass tatsächlich auch südländisches “Treiben” in Toulouse herrscht, spürt man abends. Hier tanzt man in den Diskotheken schon mal nach afrikanischen oder karibischen Rhythmen – manchmal sogar draußen, mitten auf der Straße, was aber selbst von den Autofahrern lächelnd goutiert wird.

Das berühmte Château Narbonnaise, der Sitz der ruhmreichen Grafen Raymond, damals ebenfalls aus rosa Ziegelsteinen erbaut, existiert leider nicht mehr. Das ist ein echter Verlust. Vergessen haben die Toulouser (oder Tolosaner) ihre Vergangenheit jedoch nicht. Nicht die tausenden Katharer, die ihr Leben in den Albigenserkriegen verloren haben, und auch nicht den alten Tuchhändler und Hugenotten Jean Calas, der hier in den Religionskriegen (1762) auf dem Rad sein Leben lassen musste.
Überlassen wir das Schlusswort dem südfranzösischen Dichter und Geschichtsschreiber Wilhelm von Tudela (13. Jh.), der Toulouse kannte. Er beschreibt die alte Metropole Okzitaniens – die frühere Hauptstadt der Tektosagen, Galloromanen und Westgoten mit folgenden Worten:

Que de totas ciutatz es cela flors e rosa – von allen Städten ist sie die Blume und die Rose!

(s. “Sancha, Das Tor der Myrrhe”, S. 517)

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Den Kopf in den Kessel: Der Kult der Madonna von Nuría

Dass ich mich im September 2015 auf den Weg hinauf nach Nuría machte, lag mal wieder an Ean Begg. Das Sachbuch des englischen Autors “The Cult of the Black Virgin” steht seit Jahren wie festgetackert auf der Packliste für mein Handgepäck. Ean Beggs Studie über das Phänomen der Schwarzen Madonnen, die er im Jahr 1985 veröffentlichte, ging eine Fleißarbeit voraus: Mit einem von ihm entwickelten Fragebogen bereiste er diejenigen Kultplätze in Europa, die mit einer Darstellung der Schwarzen Madonna in Verbindung stehen – darunter Basiliken, Kathedralen und winzige Dorfkirchen. Er notierte alles auf, was er vor Ort erfuhr (heidnische Ursprünge in der Antike, keltische Naturreligionen, volkstümliche Überlieferungen usw.) Eine wahre Fundgrube an nützlichen Informationen, wenn man sich für alte Überlieferungen und Traditionen interessiert.

Hier ein Auszug aus seiner Beschreibung der Madonna von Nuría. Der Ort liegt in fast 2000 Meter Höhe im Norden von Katalonien (Provinz Gerona, nahe der Grenze zu Frankreich):

Der Kult der berühmten Schwarzen Madonna von Nuría (archaisch-rustikal, ohne Schleier) begann, der Legende zufolge, mit dem Einsiedler Gil und seinen Gefährten. Die Statue wurde während der maurischen Okkupation versteckt und war bis 1032 verschwunden. In diesem Jahr erhielt Amadeus, ein Verehrer der Jungfrau Maria, in Damaskus die Anweisung durch einen Engel, sich in die Pyrenäen zu begeben und dort einen Tempel an einem Ort zu errichten, wo ein weißer Stein zwischen zwei Flüssen stehe. Würde er dort graben, so fände er einen großen Schatz. Als er diesen Ort erreichte, konnten ihn die Hirten dort verstehen, obwohl er sie in syrischer Sprache anredete. Am Berghang sah man einen brüllenden Ochsen, der in der Erde grub. An dieser Stelle entdeckte man dann eine lichterfüllte Höhle, in deren Innern man eine Glocke, ein Kreuz, einen großen Tiegel und die Statue fand, die zur Heiligen Jungfrau von Nuria wurde …

Ean Begg, The Cult of the Black Virgin, S. 257 ff

Nuría und der Heilige Gil

Wie von Ean Begg geschildert, beginnt die Geschichte im 7. Jahrhundert nach Christus …
Ein frommer Kaufmann namens Gil* macht sich auf den weiten Weg von Athen in die Pyrenäen, um sich in die Einsamkeit der Berge zurückzuziehen. Sein einziger Kontakt sind fortan die Schäfer und Hirten, mit denen er seine kargen Mahlzeiten teilt. Für sie predigt er und er schnitzt ihnen aus dunklem Holz eine schlichte Madonna. Doch als die Mauren ihn bedrohen, muss er fliehen. Gil versteckt seine Schätze: die Madonna, ein Kruzifix, die Glocke, mit der er die Hirten zur Messe rief, sowie den Kessel, in dem er die Mahlzeiten zubereitete. Dann verschließt er seine Höhlenklause mit schweren Steinen.
Gils Schatz gerät in Vergessenheit …

Nach der Wiederentdeckung im 11. Jahrhundert (Amadeus, Pilger aus Damaskus) verbreitete sich schnell der Ruf, alles in Nuría müsse heilig sein: Die Menschen pulverisieren die Steine, um sie als Medizin zu verwenden. Das Wasser der Quelle neben der Höhle soll Augenkrankheiten heilen. Glocke und Kessel werden gar zum Fruchtbarkeitsritual, das sich ziemlich skurril anhört: Während der Mann die Glocke des Heiligen Gil läutet, steckt die Frau den Kopf in den Kessel und betet zur Schwarzen Madonna. (Doch Vorsicht: jedes Läuten führt angeblich zu einer Geburt! 🙂 ) Wird ein Mädchen geboren, nennt man es selbstverständlich Nuría, wird es ein Junge, heißt er Gil

Der Kult um Nostra Senyora de Nuría ist bis heute ungebrochen. Unzählige Menschen suchen Jahr für Jahr dieses hochgelegene Dorf auf, um hier Ruhe zu finden und Gebete an die alte Schutzheilige der Pyrenäenschäfer zu richten, die natürlich noch immer auch für den Kindersegen zuständig ist.
Man erzählt sich, es gäbe sehr viele Nurías in Katalonien! 🙂

*Hinter Gil steckt der Heilige Ägidius, der als Einsiedler in der Provence lebte, und um das Jahr 680, unterstützt vom Westgotenkönig Wamba, das Kloster Saint-Gilles gründete.

Sancta Maria de Nuría – heute geweißt!

In der nachgebildeten Eremitenhöhle thront die Madonna (eine Replik), um die Bittgesuche ihrer Besucherinnen und Besucher entgegenzunehmen.
Das Original befindet sich in der Kirche.

Im Netz, s. Foto oben links, existiert noch eine Abbildung der ursprünglichen schwarzen Nuría-Madonna. Diese soll bis ins 17. Jh. in der alten Einsiedelei gestanden haben.
Die heutige buntbemalte Figur mit dem netten Lächeln und den roten Wangen wird offiziell wie folgendermaßen beschrieben:

… In ihrem eigenen Heiligtum hoch in den Pyrenäen,
etwa eine Stunde von Barcelona entfernt,
7. bis 12. Jahrhundert,
56 cm, bemaltes Holz,
kürzlich bei der Restaurierung geweißt.

Nuría und der Templer-Eremit

Nachdem im Jahr 1162 eine Papstbulle den hiesigen Marienkult bestätigte, entstand hundert Jahre später (1271) eine erste Pilgerherberge oben auf dem Berg. Die Pilger wurden von einem Eremitenbruder des Templerordens bewacht und betreut. (In Katalonien gab es etliche Templerkommanderien; die u. a. auch zum Schutz der Pilger auf ihrem Weg nach Santiago de Compostela dienten. )
Zur Erinnerung an die Templerzeit schmücken in der Kirche von Nuría noch heute Tatzenkreuze selbst die Rücklehnen der Kirchenbänke.

Während des Spanischen Bürgerkriegs (1936-1939) hat man die Nuría-Madonna aus Sicherheitsgründen in einem Bankschließfach in der Schweiz untergebracht.

Nuría – die Kirche

Die heutige Kirche stammt aus dem Jahr 1911. Ein Vorgängerbau wurde 1883 auf den Grundmauern der ehemaligen Einsiedelei errichtet.
Am 1. September, am Ägidius Tag, findet alljährlich eine Wallfahrt von Hirten beiderseits der katalanisch-französischen Grenze nach Nuría statt.
Die Originalmadonna befindet sich oberhalb des Altars, gut gesichert hinter Glas. Im Jahr 1956 wurde sie zur Schutzpatronin der Diözöse von Urgel erklärt. 1967 hat man sie gekrönt, danach wurde sie offenbar, so Ean Begg, von einer “katholisch-nationalistischen Gruppe” kurzzeitig gestohlen.
Der Festtag von La Morenita (wie die Frauen ihre Schwarze Madonna liebevoll nennen) ist der 8. September. An diesem Tag feiern alle Frauen mit dem Namen Nuría ihren Namenstag, und die Jungfrau wird in einer Prozession von ihrem Thron in der Kirche zur Einsiedelei des Heiligen Gil getragen.

Die kleinen Bilder bitte anklicken!

Wie in Montserrat kann man auch in der Kirche von Nuría in einem Raum hinter dem Hauptaltar sitzen und meditieren!

Nuría – und die Cremallera, die Zahnradbahn

Das autofreie Gebirgsdorf Nuría ist nicht nur ein Ort der stillen Einkehr, es ist auch ein herrliches Wander- und Ski-Gebiet. Der sog. Camí Vell (der “alte Weg”) führt vorbei an Wasserfällen und tiefen Schluchten. Der Aufstieg (Höhenunterschied 730 Meter; trittsicheres Schuhwerk ist erforderlich) dauert etwa 2,5 – 3 Stunden.
Wem das zu beschwerlich ist, der nimmt die Zahnradbahn, die sog. Cremallera. Karten im Talort Ribes de Freser. Die Fahrt führt über Queralbs (Parkplatz) in das Hochtal. Oben in Nuría gibt es auch Hotelzimmer (Berghotel seit 1931) und Caféterias.

Vielen Dank für Ihr Interesse!

Magische Orte in der Umgebung

Ripoll
Santuari del Far
Rupit i Pruit
Sant Miquel del Fai
Sant Pere de Rodes
Cuenca



Die Basilika Notre-Dame de Marceille
und das fehlende “yod”

Vorweg genommen:
Notre-Dame de Marceille
hat mit der Stadt “Marseille” nichts  zu tun!

Die einsam gelegene Basilika Notre-Dame de Marceille, die seit 1948 unter Denkmalschutz steht, findet man ein Stück außerhalb der südfranzösischen Kleinstadt Limoux, in der Nähe des bekannten Bergnestes Rennes-le-Château. Sie liegt in der Aude-Region, einem uralten Siedlungsgebiet.
Der Ortsname “Marceille” soll sich von einer gallo-römischen Villa (einst im Besitz eines Marcellus?) ableiten. Diese könnte in der Nachbarschaft der heutigen Basilika gestanden haben.
Notre-Dame de Marceille wurde im 14. – 15. Jh. im Mozarabischen Stil erbaut, aber sie hat eine noch viel ältere Geschichte.

Inschrift der Sonnenuhr von ND de Marceille:
“Verflossene Stunden kommen nicht wieder
und Tote kehren nicht zurück.”

Notre-Dame de Marceille – Romanschauplatz

In meinem Roman “Die Affäre C.” besucht die Protagonistin Sandrine Feuerbach die Örtlichkeit und beschreibt ihre Eindrücke folgendermaßen:

“Die Kirche sah auf der Eingangsseite seltsam verbaut aus. Ein schmaler achteckiger, minarettartiger Turm sowie mehrere kleine Giebeltürmchen auf dem Schiff. Fenster, die eher an ein Wohn- als an ein Gotteshaus erinnerten … Als sich unsere Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, bemerkten wir, dass das Licht nur durch drei hohe bunte Glasfenster über dem Altar hereinfiel. An den Beichtstühlen vorbei, tasteten wir uns langsam nach vorne. Keine Menschenseele war zu sehen, es war geradezu unheimlich … Auf einem kleinen Tisch in einer Nische flackerten Kerzen. Wir kamen an alten, sehr dunklen Gemälden vorüber, auf denen man kaum Details erkennen konnte, betrachteten Heiligenfiguren, naiv-schöne Wandmalereien und Votivgaben von Pilgern – darunter ein schwerer Stein, der an einer eisernen Kette von der Decke hing –, dann zeigte uns S. ein Bodenmosaik … ein Pentagramm in einem gleichschenkligen Kreuz.
Über der Orgel hingen hölzerne Medaillons. Auf einem sei die Bundeslade – foederis arca – abgebildet, versicherte uns S. … Als wir das nördliche Querschiff betraten, ging plötzlich das Licht an. Gold blitzte uns entgegen, Gold wohin man nur sah. Hinter einem kunstvoll geschmiedeten Gitter und einer dicken Glasscheibe saß die Schwarze Madonna …

Notre-Dame de Marceille – ein früher Wallfahrtsort

Fromme Pilger zog es bereits früh an diesen Ort, weil sich dort eine heilkräftige Quelle befand (Linderung von Augenkrankheiten). Und nachdem Wunderquellen, Brunnen und Madonnen einander offenbar bedingen, entdeckte man im 11. Jh. in der Nähe der Quelle auch eine Schwarze Madonna. Die Legende berichtet, ein Ochse hätte sie beim Pflügen gefunden. Vom Bauern nach Hause gebracht, verschwand sie wieder. Ganze dreimal und immer über Nacht. Sie war erst zufrieden, als man ihr eine Kapelle mitten auf dem Feld baute. Seit dem Jahr 1280 ist Notre-Dame de Marceille als Wallfahrtsort bezeugt und machte Furore: Selbst katharisch-gläubige Frauen (Béatris – Kronzeugin der Inquisition) suchten diese Kirche auf (AD 1308), um die Madonna zu besuchen, zu beichten und dabei ihre “Rechtgläubigkeit” zu bekunden, wenn sie unter Beobachtung der Inquisition standen.

Die Schwarze Madonna von ND de Marceille,
(bevor Vandalen ihr 2007 den Kopf abschlugen).
(Näheres hierzu in meinem  Artikel “Schwarz bin ich, aber schön …)

Notre-Dame de Marceille
besticht nicht zuletzt durch die
Farbenpracht ihrer Wände,
Decken und Fußböden:

(Fotos zum Vergrößern bitte anklicken!)

NDMarceille2016a

Notre-Dame de Marceille – und das fehlende “yod”

In und unter dieser Kirche werden seit grauer Zeit verborgene Schätze, düstere Geheimgänge, verlassene Gräber und verschlüsselte Geheimnisse vermutet. Was ist davon zu halten?
Meine Romanheldin und ihre Freunde entdecken eines dieser Geheimnisse:

Die Statue hatte freundliche Augen, ein dunkelbraunes Gesicht unter Schleier und prachtvoller Krone, dazu ein anziehendes verschmitztes Lächeln, obwohl man sie eingesperrt hatte, damit sie nicht wieder davonlief … Wir kamen am Altar vorbei, dessen blaues Gewölbe mit unzähligen goldenen Sternen bemalt war, da hörte ich Steffi fragen: “Was ist denn das hier? Eine Marmorurne mit Schlüsselloch?” Sie stand in einem Seitenaltar und deutete auf einen kleinen weißen Schrein.

“Aber nein, das ist ein alter Tabernakel”, stellte Sokrates fest, “ein Aufbewahrungsort für geweihte Hostien … Das Dreieck darauf ist das Zeichen für die Dreieinigkeit, in seiner Mitte müsste sich das ´Auge Gottes` befinden … Attention!”, sagte er plötzlich … “da ist eine Gravur, hebräische Buchstaben … Seltsam”, er nahm eine der brennenden Kerzen, um besser sehen zu können. “Eigentlich müsste es sich um den Schriftzug JAWEH handeln, den Namen Gottes. Der Kranz außen herum stellt ganz eindeutig den Dornbusch dar, der brennt, aber nicht verbrennt … Doch es sind nur drei Zeichen vorhanden, also handelt es sich hier nicht um das Tetragramm des Gottesnamen! Merkwürdig … auf diesem Tabernakel fehlt der erste Buchstabe des Namens Jahwe, das ´yod`. Übrig bleibt ´Chawa` oder auch ´Chava`.

“Aber was bedeutet das?”

“Chava bedeutet Eve, Eva. Eva oder auch Leben, die Urmutter also.

“Aber wieso verehrt man hier Eva?”, fragte Steffi verwundert. “Ein Tabernakel sollte doch das Allerheiligste beinhalten, oder?”

Tabernakel-Inschrift in ND de Marceille,
(hebräisch von rechts nach links zu lesen)
Es fehlt das “yod” –
lesbar ist “Eve” oder “Eva”

Um mich abzusichern, habe ich die Buchstaben vor Ort abgepaust:
Kein “yod” vorhanden!

Fotos anklickbar zum Vergrößern!

Zum Vergleich die Tabernakel-Inschrift aus der Kirche
der nahegelegenen Ortschaft Quillan:
Hier ist das “yod” ist vorhanden:
Lesbar ist “Jahwe”

Ein zweites fehlerhaftes Tetragramm in Kanada

Die Sache mit dem fehlenden “yod”, ging mir nicht mehr aus dem Kopf, und ich hätte sie wohl nicht in meinen Roman einfließen lassen, wenn mir seinerzeit nicht eine Ausgabe von “Les Carnets-Secrets” (Nr. 4, Januar-März 2006) in die Hände gefallen wäre. In diesem Heft stand ein interessanter Artikel:
“Montréal, la Nouvelle Jérusalem: La survivance de l`idéal templier”, verfasst von Francine Bernier. Es geht darin um die Kathedrale von Montréal/Kanada, in der dasselbe Phänomen entdeckt wurde.
Francine Bernier schreibt darüber:

 “Von allen Hinweisen, die in Montreal gefunden wurden, ist der bedeutendste und aufschlussreichste ohne Zweifel der Tetragrammaton (heiliger Name Gottes in vier hebräischen Buchstaben, YHVH, der über der Kanzel der Basilika von Notre Dame, einem Besitz der Sulpizianer von Montreal, hängt. Dieses heilige Symbol stammt aus der ersten Kirche von Notre-Dame, die 1685 von und für die Herren von Saint-Sulpice, damals die einzigen Herren von Montreal, errichtet wurde. Fotos wurden von einem Dutzend Experten aufgenommen und analysiert, darunter Rabbi Dovid Shirel von Kfar Chabads Gal Enai Institut in Israel. Ihre Analysen konnten ohne möglichen Irrtum bestätigen, dass es nicht vier Buchstaben gab, sondern drei (HVH, und dass diese, ohne den Jod des Anfangs, das weibliche Wort chavah bilden, was Eva, Frau oder Mutter allen Lebens bedeutet. Mit anderen Worten, der Schöpfer ist weiblich, ein gnostisches und ketzerisches Konzept, das zweifellos die “verborgene Seite” der von Jean-Jacques Olier gegründeten Johanniterkirche darstellt.

 

Die Verfasserin Bernier merkt hierzu noch an, dass es sich beim fehlenden “yod” keineswegs um einen Fehler oder Zufall handelt, zumal sich in derselben Kathedrale (in der Kapelle der Heiligen Therese von Lisieux) ein zweites fehlerhaftes Tetragramm oberhalb der Kanzel befindet. Außerdem sei eine riesige Statue, die mit geschlossenen Augen daneben sitzen würde, “die Religion” darstellend, in Wirklichkeit eine Darstellung der androgynen Göttin Cybele, die mit Sophia (Weisheit) verbunden ist.
Cybele galt als “Mutter allen Lebens”.

Was hat nun Notre-Dame de Marceille mit Kanada zu schaffen?

Das Verbindungsglied ist ein französischer katholischer Priester: Jean-Jacques Olier. Er gilt als Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, gründete die Kongregation der Sulpizianer sowie das berühmte Priesterseminar St. Sulpice in Paris, welches auch im Rätsel von Rennes-le-Château eine Rolle spielt.
Im Jahr 1657 entsandte Jean-Jaques Olier Sulpizianer nach Montréal/Kanada für eine dortige Gründung. Ungefähr zeitgleich stand er in enger Verbindung mit dem damaligen Bischof von Limoux, der in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts Notre-Dame de Marceille kontrollierte.

Die Kongregation der Sulpizianer war bekannt für ihre Marienverehrung.

(Maler unbekannt)

Kleine Schlussbemerkung

 

Nach S.G.F. Brandon, Religion in Ancien History, New York 1969, leitet sich die Buchstabenkombination JHWH, yod-he-vau-he, von der hebräischen Wurzel HWH ab – in lateinischen Buchstaben EVE, was sowohl “Leben” wie “Frau” bedeutet. Mit dem angefügten “yod” entstand angeblich das Wort, durch das die Göttin ihren Namen als Schöpfungswort anrief – eine in Ägypten und anderen Ländern des Altertums verbreitete Vorstellung.
***

Hat Jean-Jacques Olier, der Marienverehrer und Erneuerer des religiösen Lebens im 17. Jahrhundert, über den priesterlichen Tellerrand hinausgesehen?

Notre-Dame de Marceille, das fehlende “yod” und nicht zuletzt die Anwesenheit der Schwarzen Madonna könnten der Beweis dafür sein.

 
 

Links im Bild: “Die wundersame Quelle von Marceille”

Ans Herz gelegt:

Notre-Dame de Marceille als Romanschauplatz

Leseproben hier:
“Die Affäre C.”, Thriller,
“Béatris: Kronzeugin der Inquisition, Historischer Roman

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

 

Helene Köppel

Le Puy-en-Velay
– einst ein bedeutendes Druidenzentrum

Die französische Stadt Le Puy-en-Velay ist seit dem Mittelalter einer der Ausgangspunkte zum Jakobsweg nach Santiago de Compostela. Hier führte eine der wichtigsten französischen Nord-Süd-Verbindungen vorbei, die alte via regordana.
Le Puy (wie die Stadt früher genannt wurde) liegt im Département Haute-Loire, in der Region Auvergne-Rhone-Alpes, hat knapp 20 000 Einwohner – und war in grauer Zeit ein bedeutendes Druidenzentrum!

 

Links ND de France und rechts St. Michel d’Aiguille

Zwei beeindruckende Felsspitzen beherrschen die Stadt:
Der Rocher Corneille auf dem Mont Anis, wo sich die Kathedrale mit der darüber liegenden 16 m hohen Statue von ND de France erhebt – und St. Michel d’Aiguille, wo eine romanische Johanneskapelle an die Stelle des gallischen Merkur-Tempels getreten ist; am Fuße des Berges stand früher ein Tempel der Göttin Diana.

Die Kathedrale Notre Dame
Der Bau der romanischen Kathedrale von Le Puy (mozarabischer Einfluss) stammt aus dem 11./12. Jh. Eine alte Heilquelle hinter dem Hochaltar wurde in die Konstruktion einbezogen.
Und so fing alles an: Im Jahr 1095 hielt Papst Urban VII in Le Puy ein Konzil zur Vorbereitung des Ersten Kreuzzugs ab. Gut motiviert marschierten anschließend die Kreuzfahrer unter dem Salve Regina – der Hymne von Le Puy – aus der Stadt.
In den folgenden 70 Jahren besuchten 5 Päpste diese Kathedrale sowie 15 Könige  – darunter auch der Heilige Ludwig.

Heute ist die Kathedrale Bischofssitz des Bistums Le Puy-en-Velay und trägt den Titel einer Basilica minor – einer kleinen Basilika.
Kurioses am Rande: Die Treppe, die hinauf zur Kathedrale führt, setzt sich unter der Vorhalle fort. Sie endet mit einem Absatz, auf dem sich bis ins 18. Jh. die Goldene Pforte öffnete. Von da aus führten 18 Stufen in die Mitte des Schiffs – woraufhin das Geflügelte Wort entstand: “Man trete beim Nabel ein und gehe bei den Ohren wieder hinaus!”

Alle Fotos können durch Anklicken vergrößert werden!

Der Fieberstein

La Pierre des Fièvres: Beim sog. Fieberstein von Le Puy handelt es sich um den schwarzen Deckstein eines Dolmens, der sich einst auf dem Mont Anis befand.  Der Stein, der früher auf dem Hochaltar stand, soll im Jahr 430 n. Chr. eine Witwe von einem bösartigen Fieber geheilt haben. Heute hat er eine eigene Seitenkapelle links vom Altar.
Ich stöbere auch gern mal in alten Reiseführern und fand dort über den Fieberstein folgendes:

“Nach Meinung einiger Gelehrter handelt es sich bei diesem Stein um Reste eines alten Druidenaltars, der einer gallischen Göttin geweiht war, die jungfräulich gebären musste. Diese Auffassung besitzt einige Wahrscheinlichkeit dadurch, dass in Gallien tatsächlich an mehreren Orten die Verehrung einer jungfräulich gebärenden Göttin in vorchristlicher Zeit bekannt war …

Der wundertätige Stein von Le Puy war also schon seit frühester Zeit Anziehungspunkt für fromme Pilger. Andere Legenden besagen, dass das erste christliche Heiligtum auf dem Mont Anis von Engeln eingeweiht wurde – woher sich im Mittelalter die Bezeichnung CHAMBRE ANGELIQUE für den jeweils ältesten Teil der Kathedralen ableitet.

Die Schwarze Madonna von Le Puy

Die Schwarze Madonna von Le Puy-en-Velay
mit weißen Schutzhänden

Doch nun zur Schwarzen Madonna, die in Le Puy in vielerlei Gestalt verehrt wird: Nach der Überlieferung fand eine erste Madonnenerscheinung bereits im Jahr 46 n. Chr. statt, eine weitere im Jahr 420. Im Mittelalter betete man vor einem “Heiligen Bildnis”, vor dem auf Anordnung der Grafen von Toulouse (die später den Katharern nahestanden) ein ewiges Licht aufgestellt wurde.
Bei der  Madonna, die im Hochmittelalter verehrt wurde, handelte es sich vermutlich um eine Statue der Isis, die zu den Schätzen des Großsultans von Babylon gehörte, der sie dem Heiligen Ludwig schenkte. Sie ging während der französischen Revolution verloren; die heutige Madonna ist jedoch ein getreues Abbild. (Außergewöhnlich ist, dass auch das Kind weiße Schutzhände besitzt wie seine Mutter.)

Der Kreuzgang

Beeindruckend ist auch der Kreuzgang von Le Puy mit seinen herrlichen polychromen Fassaden. Er stammt ebenfalls aus dem 12. Jh., und man erkennt auch hier deutlich den spanisch-arabischen Einfluss.

Vielen Dank für Ihr Interesse!